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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zngenderinnerungen.

leiten mit und wußte lebhaft zu erzählen. Das war mir ganz angenehm, da
es mich der so unerquicklichen Unterhaltung überhob, die doch nie recht in Fluß
kommen wollte. Ich saß dabei, hörte zu, war aber doch eigentlich ganz über¬
flüssig. Das fühlte ich und wurde still, traurig in mir. Auch die Mutter
merkte es und umfing mich mit umso größerer Zärtlichkeit, dem Vater aber
machte sie deshalb entweder überhaupt keine Vorstellungen, oder ihre Einwen¬
dungen waren nicht eindringlich genug.

Da ich fest überzeugt war von meines Vaters inniger Liebe und treuer
Sorgfalt für uns alle, wovon zahlreiche Proben vorlagen, so blieb sich meine
kindliche Liebe und Verehrung zu ihm immer gleich; störend war es nur für
uns alle, manchmal auch für die Mutter, daß des Vaters Wort immer unum¬
stößliches Gesetz sein sollte. Dann und wann daran zu mäkeln, war fast not¬
wendig, wenigstens nicht immer zu umgehen. Geschah dies sehr vorsichtig, ohne
daß die Absicht bemerkt wurde, so fand schließlich ein solches Gebot auch
eine dem Vater genehme Auslegung. Diese leisen Verwischungen waren aber
nur durchführbar bei nicht sehr wichtigen Vorkommnissen. Handelte es sich um
Angelegenheiten ernster Natur und gar um Lebensfragen, so gestattete der Vater
in diese niemand eine Einrede. Mit der Mutter wurden sie wohl besprochen,
doch verblieb bei etwa vorhandner Meinungsverschiedenheit dem Vater der Sieg.

Zu den wichtigen Fragen im Leben eines Knaben gehört jedenfalls die
nach seinem zukünftigen Berufe. Selten legt sich der Knabe diese selbst schon
in frühem Alter bei, es müßten sich denn starke Neigungen oder Anlagen un¬
gewöhnlich zeitig in ihm entwickeln. Auch mir kam es nicht in den Sinn,
darüber zu grübeln. Ich hatte es so oft und immer wieder bei jeder Gelegen¬
heit aus dem Munde beider Eltern gehört, daß nur der Gelehrte, d. h. der
mit einem öffentlichen Amte betraute, eine sichere Lebensstellung habe, weshalb
es sich von selbst verstand, daß wir Brüder uns dem Studium ergaben, um
dermaleinst ebenfalls eine so beneidenswerte Stellung einzunehmen. Nahe lag
auch der Wunsch des Vaters, wir möchten in seine Fußtapfen treten, also
Theologie studiren.

Bei meinem ältern Bruder faud kaum ein Zweifel statt, welches Studium
er sich wählen würde. Er war früh entschlossen, sich der Theologie zu
widmen, und ist auch bei diesem Entschlüsse geblieben. An mich trat diese Frage
vorerst noch nicht heran, und so hatte ich ja Zeit, im Stillen mit mir zu Rate
zu gehen. Ab und zu, besonders wenn der Bruder bei seinen Besuchen mit
dem Vater religiöse Gegenstände berührte, dachte ich wohl daran, und es über¬
lief mich bald heiß, bald kalt, denn ich ertappte mich auf dem ketzerischen Ge¬
danken, daß ich gar kein Verlangen trüge, Prediger zu werden. Ging ich
ernstlich mit mir zu Rate, so mußte ich mir, wenn ich ehrlich gegen mich selbst
sein wollte, gestehen, daß ich überhaupt keine Neigung hätte, eine gelehrte Lauf¬
bahn einzuschlagen. Bei dieser Entdeckung klopfte mir freilich das Herz sehr


Zngenderinnerungen.

leiten mit und wußte lebhaft zu erzählen. Das war mir ganz angenehm, da
es mich der so unerquicklichen Unterhaltung überhob, die doch nie recht in Fluß
kommen wollte. Ich saß dabei, hörte zu, war aber doch eigentlich ganz über¬
flüssig. Das fühlte ich und wurde still, traurig in mir. Auch die Mutter
merkte es und umfing mich mit umso größerer Zärtlichkeit, dem Vater aber
machte sie deshalb entweder überhaupt keine Vorstellungen, oder ihre Einwen¬
dungen waren nicht eindringlich genug.

Da ich fest überzeugt war von meines Vaters inniger Liebe und treuer
Sorgfalt für uns alle, wovon zahlreiche Proben vorlagen, so blieb sich meine
kindliche Liebe und Verehrung zu ihm immer gleich; störend war es nur für
uns alle, manchmal auch für die Mutter, daß des Vaters Wort immer unum¬
stößliches Gesetz sein sollte. Dann und wann daran zu mäkeln, war fast not¬
wendig, wenigstens nicht immer zu umgehen. Geschah dies sehr vorsichtig, ohne
daß die Absicht bemerkt wurde, so fand schließlich ein solches Gebot auch
eine dem Vater genehme Auslegung. Diese leisen Verwischungen waren aber
nur durchführbar bei nicht sehr wichtigen Vorkommnissen. Handelte es sich um
Angelegenheiten ernster Natur und gar um Lebensfragen, so gestattete der Vater
in diese niemand eine Einrede. Mit der Mutter wurden sie wohl besprochen,
doch verblieb bei etwa vorhandner Meinungsverschiedenheit dem Vater der Sieg.

Zu den wichtigen Fragen im Leben eines Knaben gehört jedenfalls die
nach seinem zukünftigen Berufe. Selten legt sich der Knabe diese selbst schon
in frühem Alter bei, es müßten sich denn starke Neigungen oder Anlagen un¬
gewöhnlich zeitig in ihm entwickeln. Auch mir kam es nicht in den Sinn,
darüber zu grübeln. Ich hatte es so oft und immer wieder bei jeder Gelegen¬
heit aus dem Munde beider Eltern gehört, daß nur der Gelehrte, d. h. der
mit einem öffentlichen Amte betraute, eine sichere Lebensstellung habe, weshalb
es sich von selbst verstand, daß wir Brüder uns dem Studium ergaben, um
dermaleinst ebenfalls eine so beneidenswerte Stellung einzunehmen. Nahe lag
auch der Wunsch des Vaters, wir möchten in seine Fußtapfen treten, also
Theologie studiren.

Bei meinem ältern Bruder faud kaum ein Zweifel statt, welches Studium
er sich wählen würde. Er war früh entschlossen, sich der Theologie zu
widmen, und ist auch bei diesem Entschlüsse geblieben. An mich trat diese Frage
vorerst noch nicht heran, und so hatte ich ja Zeit, im Stillen mit mir zu Rate
zu gehen. Ab und zu, besonders wenn der Bruder bei seinen Besuchen mit
dem Vater religiöse Gegenstände berührte, dachte ich wohl daran, und es über¬
lief mich bald heiß, bald kalt, denn ich ertappte mich auf dem ketzerischen Ge¬
danken, daß ich gar kein Verlangen trüge, Prediger zu werden. Ging ich
ernstlich mit mir zu Rate, so mußte ich mir, wenn ich ehrlich gegen mich selbst
sein wollte, gestehen, daß ich überhaupt keine Neigung hätte, eine gelehrte Lauf¬
bahn einzuschlagen. Bei dieser Entdeckung klopfte mir freilich das Herz sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/186>, abgerufen am 17.09.2024.