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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

besuchte er meinen Bruder in der Stadt, um zu sehen, wie er sich in die neuen
Verhältnisse einlebe, so hatte ich ihn zu begleiten. Auch daheim wurden mir
alle Geschäfte, die früher dem Bruder obgelegen hatten, übertragen. Manche
davon waren mir ganz angenehm, weil sie angel'vrnen Naturanlagen, mithin
auch meinen Neigungen, entsprachen; mit andern Wolltees mir weniger glücken,
sei es, daß ich nicht so findig wie der Bruder war. oder daß ich schon früh¬
zeitig in einer eignen Gedanken- und Gefühlswelt lebte, zu der ich niemand
Zutritt gestattete und über die ich mich gegen dritte durchaus nicht aussprach.
Das Aussprechen, überhaupt das Sichmitteilen, das Öffnen des eignen Herzens
für andre war mir nicht gegeben. Der Bruder sprach gern und wußte -- ich
weiß nicht, wie er es machte -- immer etwas zu erzählen, was den von Natur
schweigsamen Vater unterhielt oder interessirte. Diese Ansprüche machte nun
der Vater an mich, und da ich, ihm selbst vollkommen ähnlich, nur selten eine
Quelle guter Unterhaltung zu entdecken vermochte, ward er verdrießlich und ließ
mich dies merken. Das war ein großer Übelstand. Um den Vater womöglich
Zu befriedigen, sann ich Tag und Nacht über Themata nach, die den Vater
Wohl unterhalten möchten, war aber leider selten darin glücklich. Meistenteils
zeigte er eine unzufriedne Miene, und mir erstarb das ohnehin zitternde Wort
auf der Zunge, während das stoßende Blut mich zu ersticken drohte.

Kinder sind leicht einzuschüchtern, namentlich wenn sie. wie ich es war, von
nervöser Reizbarkeit sind. Ich liebte und achtete den Vater mit der ganzen Hin¬
gebung eines übervollen Herzens und kam ihm stets vertrauensvoll entgegen,
weil ich aber die betrübende Erfahrung machte, daß ich ihm nie recht genügte,
so ward ich ängstlich und verschüchtert. So kam es, daß Vater und Sohn bei
gegenseitiger hingebender Liebe sich doch nie ganz verstanden. Mit meiner un¬
vergeßlichen Mutter war ich viel besser daran. Sie war eine heitere, joviale
Natur, die das Schwere im Leben sich nicht noch mehr durch unnützes Grübeln
darüber erschwerte, sondern es entschlossen anfaßte, beiseite schob, und wenn
sie's leidlich gut überwunden hatte, sofort wieder fröhlich in die Welt blickte
und die gute Stunde mit Behagen genoß. Zu ihr nahm ich meine Zuflucht,
Wenn Wolken des Unmuth des Vaters Stirn umdüsterten. Sie tröstete mich,
verstand mich zu erheitern und goß Balsam in mein bang beklommenes Herz,
indem sie mir Geschichten erzählte und damit zugleich den Vater klug zu ent¬
schuldigen wußte. So blieb alles beim Alten. Ich that, was mir aufgetragen
ward, arbeitete wie immer unter des Vaters Aufsicht und bereitete mich zum
Eintritt in die gelehrte Schule vor.

Jeden Sonnabend um die Mittagszeit kam mein älterer Bruder nach
Hause, um den Sonntag im Elternhause zuzubringen. Ich freute much stets
sehr auf sein Kommen und ging ihm manchmal eine Strecke Weges entgegen,
um ihn eine kleine Weile ganz allein zu haben. Später nahm der Vater .du
fast ganz in Beschlag, denn der Bruder brachte aus der Stadt allerhand Neuig-


Grenzboten II. 1837.
Jugenderinnerungen.

besuchte er meinen Bruder in der Stadt, um zu sehen, wie er sich in die neuen
Verhältnisse einlebe, so hatte ich ihn zu begleiten. Auch daheim wurden mir
alle Geschäfte, die früher dem Bruder obgelegen hatten, übertragen. Manche
davon waren mir ganz angenehm, weil sie angel'vrnen Naturanlagen, mithin
auch meinen Neigungen, entsprachen; mit andern Wolltees mir weniger glücken,
sei es, daß ich nicht so findig wie der Bruder war. oder daß ich schon früh¬
zeitig in einer eignen Gedanken- und Gefühlswelt lebte, zu der ich niemand
Zutritt gestattete und über die ich mich gegen dritte durchaus nicht aussprach.
Das Aussprechen, überhaupt das Sichmitteilen, das Öffnen des eignen Herzens
für andre war mir nicht gegeben. Der Bruder sprach gern und wußte — ich
weiß nicht, wie er es machte — immer etwas zu erzählen, was den von Natur
schweigsamen Vater unterhielt oder interessirte. Diese Ansprüche machte nun
der Vater an mich, und da ich, ihm selbst vollkommen ähnlich, nur selten eine
Quelle guter Unterhaltung zu entdecken vermochte, ward er verdrießlich und ließ
mich dies merken. Das war ein großer Übelstand. Um den Vater womöglich
Zu befriedigen, sann ich Tag und Nacht über Themata nach, die den Vater
Wohl unterhalten möchten, war aber leider selten darin glücklich. Meistenteils
zeigte er eine unzufriedne Miene, und mir erstarb das ohnehin zitternde Wort
auf der Zunge, während das stoßende Blut mich zu ersticken drohte.

Kinder sind leicht einzuschüchtern, namentlich wenn sie. wie ich es war, von
nervöser Reizbarkeit sind. Ich liebte und achtete den Vater mit der ganzen Hin¬
gebung eines übervollen Herzens und kam ihm stets vertrauensvoll entgegen,
weil ich aber die betrübende Erfahrung machte, daß ich ihm nie recht genügte,
so ward ich ängstlich und verschüchtert. So kam es, daß Vater und Sohn bei
gegenseitiger hingebender Liebe sich doch nie ganz verstanden. Mit meiner un¬
vergeßlichen Mutter war ich viel besser daran. Sie war eine heitere, joviale
Natur, die das Schwere im Leben sich nicht noch mehr durch unnützes Grübeln
darüber erschwerte, sondern es entschlossen anfaßte, beiseite schob, und wenn
sie's leidlich gut überwunden hatte, sofort wieder fröhlich in die Welt blickte
und die gute Stunde mit Behagen genoß. Zu ihr nahm ich meine Zuflucht,
Wenn Wolken des Unmuth des Vaters Stirn umdüsterten. Sie tröstete mich,
verstand mich zu erheitern und goß Balsam in mein bang beklommenes Herz,
indem sie mir Geschichten erzählte und damit zugleich den Vater klug zu ent¬
schuldigen wußte. So blieb alles beim Alten. Ich that, was mir aufgetragen
ward, arbeitete wie immer unter des Vaters Aufsicht und bereitete mich zum
Eintritt in die gelehrte Schule vor.

Jeden Sonnabend um die Mittagszeit kam mein älterer Bruder nach
Hause, um den Sonntag im Elternhause zuzubringen. Ich freute much stets
sehr auf sein Kommen und ging ihm manchmal eine Strecke Weges entgegen,
um ihn eine kleine Weile ganz allein zu haben. Später nahm der Vater .du
fast ganz in Beschlag, denn der Bruder brachte aus der Stadt allerhand Neuig-


Grenzboten II. 1837.
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[0185] Jugenderinnerungen. besuchte er meinen Bruder in der Stadt, um zu sehen, wie er sich in die neuen Verhältnisse einlebe, so hatte ich ihn zu begleiten. Auch daheim wurden mir alle Geschäfte, die früher dem Bruder obgelegen hatten, übertragen. Manche davon waren mir ganz angenehm, weil sie angel'vrnen Naturanlagen, mithin auch meinen Neigungen, entsprachen; mit andern Wolltees mir weniger glücken, sei es, daß ich nicht so findig wie der Bruder war. oder daß ich schon früh¬ zeitig in einer eignen Gedanken- und Gefühlswelt lebte, zu der ich niemand Zutritt gestattete und über die ich mich gegen dritte durchaus nicht aussprach. Das Aussprechen, überhaupt das Sichmitteilen, das Öffnen des eignen Herzens für andre war mir nicht gegeben. Der Bruder sprach gern und wußte — ich weiß nicht, wie er es machte — immer etwas zu erzählen, was den von Natur schweigsamen Vater unterhielt oder interessirte. Diese Ansprüche machte nun der Vater an mich, und da ich, ihm selbst vollkommen ähnlich, nur selten eine Quelle guter Unterhaltung zu entdecken vermochte, ward er verdrießlich und ließ mich dies merken. Das war ein großer Übelstand. Um den Vater womöglich Zu befriedigen, sann ich Tag und Nacht über Themata nach, die den Vater Wohl unterhalten möchten, war aber leider selten darin glücklich. Meistenteils zeigte er eine unzufriedne Miene, und mir erstarb das ohnehin zitternde Wort auf der Zunge, während das stoßende Blut mich zu ersticken drohte. Kinder sind leicht einzuschüchtern, namentlich wenn sie. wie ich es war, von nervöser Reizbarkeit sind. Ich liebte und achtete den Vater mit der ganzen Hin¬ gebung eines übervollen Herzens und kam ihm stets vertrauensvoll entgegen, weil ich aber die betrübende Erfahrung machte, daß ich ihm nie recht genügte, so ward ich ängstlich und verschüchtert. So kam es, daß Vater und Sohn bei gegenseitiger hingebender Liebe sich doch nie ganz verstanden. Mit meiner un¬ vergeßlichen Mutter war ich viel besser daran. Sie war eine heitere, joviale Natur, die das Schwere im Leben sich nicht noch mehr durch unnützes Grübeln darüber erschwerte, sondern es entschlossen anfaßte, beiseite schob, und wenn sie's leidlich gut überwunden hatte, sofort wieder fröhlich in die Welt blickte und die gute Stunde mit Behagen genoß. Zu ihr nahm ich meine Zuflucht, Wenn Wolken des Unmuth des Vaters Stirn umdüsterten. Sie tröstete mich, verstand mich zu erheitern und goß Balsam in mein bang beklommenes Herz, indem sie mir Geschichten erzählte und damit zugleich den Vater klug zu ent¬ schuldigen wußte. So blieb alles beim Alten. Ich that, was mir aufgetragen ward, arbeitete wie immer unter des Vaters Aufsicht und bereitete mich zum Eintritt in die gelehrte Schule vor. Jeden Sonnabend um die Mittagszeit kam mein älterer Bruder nach Hause, um den Sonntag im Elternhause zuzubringen. Ich freute much stets sehr auf sein Kommen und ging ihm manchmal eine Strecke Weges entgegen, um ihn eine kleine Weile ganz allein zu haben. Später nahm der Vater .du fast ganz in Beschlag, denn der Bruder brachte aus der Stadt allerhand Neuig- Grenzboten II. 1837.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/185>, abgerufen am 17.09.2024.