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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz,

Napoleon von mir gefaßt hatte, eine andre Gestalt gewonnen hat; und wenn Sie
gleich nie von mir hören werden, daß ich meinen bisherigen Wandel und Charakter
verleugne, so habe ich doch Gründe, zu glauben, daß es in französischen Blättern
forthin keine Ausfülle gegen mich mehr geben wird. Den eigentlichen Zusammen¬
hang der Sache kann ich einem Briefe nicht anvertrauen; daß mir aber in der
Lage, worin die Welt nun einmal sich befindet, diese Pazisikcition nicht unwill¬
kommen sein kann, werden Sie leicht begreifen."

Diese Zeilen belehren uns, daß Gentz damals schon im Bann der Metter-
uichschen Politik stand, die zunächst auf ein friedliches Auskommen mit Na¬
poleon gerichtet war. Wouu ihn der neue Minister in sein Programm
eigentlich eingeweiht hat, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit sagen. Am
Ende des Tagebuches von 1811 merkt er an. Metternich habe ihn tief in seine
Besorgnisse und Hoffnungen schauen lassen: "So dunkel und chaotisch auch
alles noch um mich her liegen mochte, so that sich doch gerade am Schlüsse
dieses Jahres eine neue Welt vor mir auf." Eben in dieser Zeit verschaffte
ihm Metternich die Korrespondenz mit dem neuen Fürsten der Walachei, Karadja,
der beim Sultan in großem Ansehen stand und ganz von türkischen Interessen
erfüllt war. Damit mußte sich Gentz in Bezug auf die Türkei umdenken, und
dies mochte ihm nicht schwer fallen. Wohl hatte er bis ins Jahr 1810 der
allgemeinen Ansicht des großen Publikums gehuldigt, die Türken seien ein
Schandfleck für Europa und womöglich nach Asien zurückzuwerfen, aber ihrem
gefährlichsten Gegner, Nußland, brachte er noch weniger Sympathien entgegen;
sowohl in der Denkschrift von 1804, als in den Briefen, die er 1805 an
Johannes von Müller richtete, tritt eine sehr starke Abneigung gegen das
Zarenreich hervor, die sich in deu folgenden Jahre" immer mehr steigerte. In
dem Kabinet des Kaisers Franz aber waren die türkenfeindlichen Ideen der
josefinischen Zeit nie recht heimisch geworden. Stadion ebensowohl wie Metternich
suchten in der Pforte einen zuverlässigen Freund zu gewinnen, in einem
Vortrage an den Kaiser vom 11. Oktober 1810 spricht Metternich von dem
diesseits angenommenen, auf die Erhaltung des osmanischen Reiches gerichteten
System. Dieses System fand, nnn Gentz vor, als er ein oder zwei Jahre
später in ein engeres Verhältnis zur Staatskanzlei trat. Rückhaltlos schloß er
sich demselben an.*) Von nun an schien es, als ob er Rußland mehr haßte
und fürchtete als Frankreich. Selbst wcihreud der Befreiungskriege wendete er
sein Auge immer wieder von dem augenblicklichen Gegner voll Sorge dein Riesen
im Osten zu.

In die Zeit der Befreiungskriege führt uns die neueste Gentz betreffende
Veröffentlichung. Österreich hatte sich nicht leicht zum Kriege entschlossen, ob-



*) Die Wandlungen Gentzcns in der Orientfrage habe ich in der "Zeitschrift für allge¬
meine Geschichte" 1834, Ur, 6 ausführlich darzustellen versucht.
Friedrich von Gentz,

Napoleon von mir gefaßt hatte, eine andre Gestalt gewonnen hat; und wenn Sie
gleich nie von mir hören werden, daß ich meinen bisherigen Wandel und Charakter
verleugne, so habe ich doch Gründe, zu glauben, daß es in französischen Blättern
forthin keine Ausfülle gegen mich mehr geben wird. Den eigentlichen Zusammen¬
hang der Sache kann ich einem Briefe nicht anvertrauen; daß mir aber in der
Lage, worin die Welt nun einmal sich befindet, diese Pazisikcition nicht unwill¬
kommen sein kann, werden Sie leicht begreifen."

Diese Zeilen belehren uns, daß Gentz damals schon im Bann der Metter-
uichschen Politik stand, die zunächst auf ein friedliches Auskommen mit Na¬
poleon gerichtet war. Wouu ihn der neue Minister in sein Programm
eigentlich eingeweiht hat, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit sagen. Am
Ende des Tagebuches von 1811 merkt er an. Metternich habe ihn tief in seine
Besorgnisse und Hoffnungen schauen lassen: „So dunkel und chaotisch auch
alles noch um mich her liegen mochte, so that sich doch gerade am Schlüsse
dieses Jahres eine neue Welt vor mir auf." Eben in dieser Zeit verschaffte
ihm Metternich die Korrespondenz mit dem neuen Fürsten der Walachei, Karadja,
der beim Sultan in großem Ansehen stand und ganz von türkischen Interessen
erfüllt war. Damit mußte sich Gentz in Bezug auf die Türkei umdenken, und
dies mochte ihm nicht schwer fallen. Wohl hatte er bis ins Jahr 1810 der
allgemeinen Ansicht des großen Publikums gehuldigt, die Türken seien ein
Schandfleck für Europa und womöglich nach Asien zurückzuwerfen, aber ihrem
gefährlichsten Gegner, Nußland, brachte er noch weniger Sympathien entgegen;
sowohl in der Denkschrift von 1804, als in den Briefen, die er 1805 an
Johannes von Müller richtete, tritt eine sehr starke Abneigung gegen das
Zarenreich hervor, die sich in deu folgenden Jahre» immer mehr steigerte. In
dem Kabinet des Kaisers Franz aber waren die türkenfeindlichen Ideen der
josefinischen Zeit nie recht heimisch geworden. Stadion ebensowohl wie Metternich
suchten in der Pforte einen zuverlässigen Freund zu gewinnen, in einem
Vortrage an den Kaiser vom 11. Oktober 1810 spricht Metternich von dem
diesseits angenommenen, auf die Erhaltung des osmanischen Reiches gerichteten
System. Dieses System fand, nnn Gentz vor, als er ein oder zwei Jahre
später in ein engeres Verhältnis zur Staatskanzlei trat. Rückhaltlos schloß er
sich demselben an.*) Von nun an schien es, als ob er Rußland mehr haßte
und fürchtete als Frankreich. Selbst wcihreud der Befreiungskriege wendete er
sein Auge immer wieder von dem augenblicklichen Gegner voll Sorge dein Riesen
im Osten zu.

In die Zeit der Befreiungskriege führt uns die neueste Gentz betreffende
Veröffentlichung. Österreich hatte sich nicht leicht zum Kriege entschlossen, ob-



*) Die Wandlungen Gentzcns in der Orientfrage habe ich in der „Zeitschrift für allge¬
meine Geschichte" 1834, Ur, 6 ausführlich darzustellen versucht.
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[0168] Friedrich von Gentz, Napoleon von mir gefaßt hatte, eine andre Gestalt gewonnen hat; und wenn Sie gleich nie von mir hören werden, daß ich meinen bisherigen Wandel und Charakter verleugne, so habe ich doch Gründe, zu glauben, daß es in französischen Blättern forthin keine Ausfülle gegen mich mehr geben wird. Den eigentlichen Zusammen¬ hang der Sache kann ich einem Briefe nicht anvertrauen; daß mir aber in der Lage, worin die Welt nun einmal sich befindet, diese Pazisikcition nicht unwill¬ kommen sein kann, werden Sie leicht begreifen." Diese Zeilen belehren uns, daß Gentz damals schon im Bann der Metter- uichschen Politik stand, die zunächst auf ein friedliches Auskommen mit Na¬ poleon gerichtet war. Wouu ihn der neue Minister in sein Programm eigentlich eingeweiht hat, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit sagen. Am Ende des Tagebuches von 1811 merkt er an. Metternich habe ihn tief in seine Besorgnisse und Hoffnungen schauen lassen: „So dunkel und chaotisch auch alles noch um mich her liegen mochte, so that sich doch gerade am Schlüsse dieses Jahres eine neue Welt vor mir auf." Eben in dieser Zeit verschaffte ihm Metternich die Korrespondenz mit dem neuen Fürsten der Walachei, Karadja, der beim Sultan in großem Ansehen stand und ganz von türkischen Interessen erfüllt war. Damit mußte sich Gentz in Bezug auf die Türkei umdenken, und dies mochte ihm nicht schwer fallen. Wohl hatte er bis ins Jahr 1810 der allgemeinen Ansicht des großen Publikums gehuldigt, die Türken seien ein Schandfleck für Europa und womöglich nach Asien zurückzuwerfen, aber ihrem gefährlichsten Gegner, Nußland, brachte er noch weniger Sympathien entgegen; sowohl in der Denkschrift von 1804, als in den Briefen, die er 1805 an Johannes von Müller richtete, tritt eine sehr starke Abneigung gegen das Zarenreich hervor, die sich in deu folgenden Jahre» immer mehr steigerte. In dem Kabinet des Kaisers Franz aber waren die türkenfeindlichen Ideen der josefinischen Zeit nie recht heimisch geworden. Stadion ebensowohl wie Metternich suchten in der Pforte einen zuverlässigen Freund zu gewinnen, in einem Vortrage an den Kaiser vom 11. Oktober 1810 spricht Metternich von dem diesseits angenommenen, auf die Erhaltung des osmanischen Reiches gerichteten System. Dieses System fand, nnn Gentz vor, als er ein oder zwei Jahre später in ein engeres Verhältnis zur Staatskanzlei trat. Rückhaltlos schloß er sich demselben an.*) Von nun an schien es, als ob er Rußland mehr haßte und fürchtete als Frankreich. Selbst wcihreud der Befreiungskriege wendete er sein Auge immer wieder von dem augenblicklichen Gegner voll Sorge dein Riesen im Osten zu. In die Zeit der Befreiungskriege führt uns die neueste Gentz betreffende Veröffentlichung. Österreich hatte sich nicht leicht zum Kriege entschlossen, ob- *) Die Wandlungen Gentzcns in der Orientfrage habe ich in der „Zeitschrift für allge¬ meine Geschichte" 1834, Ur, 6 ausführlich darzustellen versucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/168>, abgerufen am 17.09.2024.