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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.
2,

ne Revolution, deren aggressive Tendenz in dem napoleonischen
A Frankreich den furchtbarsten Ausdruck gefunden hatte, war bis
jetzt der Gegner gewesen, auf deren Bekämpfung Gentz all sein
"Sinnen und Trachten gewendet hatte: die Aufgabe seines Lebens
.^schien ihm damit ebenso erschöpft wie die des Zeitalters. Dies
eranderte sich nun zuerst. Der Feldzug von 1809, den aus der Nähe zu ver-
t gen ihm vergönnt war, hatte in seinen Augen Napoleon des dämonischen
-Zaubers beraubt, in welchem er ihn mit so vielen andern bis dahin gesehen
hatte. Er war ihm nicht mehr die Verkörperung des "satanischen Prinzips."
rü kine "gewöhnliche Erscheinung," die über kurz oder lang vom Schau-
p atze abtreten würde, ohne eine dauernde Spur ihres Geistes hinterlassen zu
haben. Damit verlor für ihn die große Weltkrisis sehr viel an Bedeutung,
. Interesse, ^ fortan an ihr nahm, war nicht mehr so tief und leiden-
Waftuch, daß es sein ganzes Wesen erfüllte; nur wie ein Schauspiel von dra¬
matischem Neiz verfolgte er sie fast mit ruhigem Behagen. Selten, daß die alten
Wammen noch aus der Asche sprühen. Man vergesse auch nicht, daß sich Gentz
em funfzigsten Jahre näherte. Noch war freilich seine Gestalt schlank und
' lieb, sein Auge glänzend, seine Stirn glatt, noch bezauberte er Männer
>e Frauen durch Anmut und Geist, noch handhabte er Wort und Feder mit
Negreicher Gewalt, aber nur wenig Sterblichen ist es vergönnt, alle Jugend-
wft in Empfindung und That in dieses Alter ungeschwächt mit hinüberzu-
^Mer, am wenigsten dann, wenn sie des Lebens Freuden in so reichlichem
^naße genossen hatten wie Gentz. "Ich bin unendlich alt und schlecht geworden
schreibt er im Sommer 1813 an Nadel Levin --, der innere Sinn, die
Empfänglichkeit ist abgestumpft; Sie leben, ich bin tot!" Und: "Ich bin in
^ Ketten dieser Welt so schmählich befangen, daß nicht bloß Freiheit, sondern
^ut. nach ihr zu streben, mir abgeht."

Aller Wirksamkeit im Sinne seiner frühern Schriften entsagte er nun. Als
Friedrich Perthes sich damals mit der Bitte an ihn wandte, ein neues journa-
lstlsches Unternehmen mit politischen Beiträgen zu unterstützen, schlug er es ab.
"^s hat sich nämlich seit den letzten österreichischen Friedensverhandlungen, ohne
^a" in meinen Grundsätzen oder Gesinnungen oder in meiner übrigen Lage das
Geringste verändert worden wäre, in meinem Verhältnis zur französischen Negie¬
rung eine wesentliche Veränderung zugetragen, indem die Idee, welche der Kaiser


Friedrich von Gentz.
2,

ne Revolution, deren aggressive Tendenz in dem napoleonischen
A Frankreich den furchtbarsten Ausdruck gefunden hatte, war bis
jetzt der Gegner gewesen, auf deren Bekämpfung Gentz all sein
«Sinnen und Trachten gewendet hatte: die Aufgabe seines Lebens
.^schien ihm damit ebenso erschöpft wie die des Zeitalters. Dies
eranderte sich nun zuerst. Der Feldzug von 1809, den aus der Nähe zu ver-
t gen ihm vergönnt war, hatte in seinen Augen Napoleon des dämonischen
-Zaubers beraubt, in welchem er ihn mit so vielen andern bis dahin gesehen
hatte. Er war ihm nicht mehr die Verkörperung des „satanischen Prinzips."
rü kine „gewöhnliche Erscheinung," die über kurz oder lang vom Schau-
p atze abtreten würde, ohne eine dauernde Spur ihres Geistes hinterlassen zu
haben. Damit verlor für ihn die große Weltkrisis sehr viel an Bedeutung,
. Interesse, ^ fortan an ihr nahm, war nicht mehr so tief und leiden-
Waftuch, daß es sein ganzes Wesen erfüllte; nur wie ein Schauspiel von dra¬
matischem Neiz verfolgte er sie fast mit ruhigem Behagen. Selten, daß die alten
Wammen noch aus der Asche sprühen. Man vergesse auch nicht, daß sich Gentz
em funfzigsten Jahre näherte. Noch war freilich seine Gestalt schlank und
' lieb, sein Auge glänzend, seine Stirn glatt, noch bezauberte er Männer
>e Frauen durch Anmut und Geist, noch handhabte er Wort und Feder mit
Negreicher Gewalt, aber nur wenig Sterblichen ist es vergönnt, alle Jugend-
wft in Empfindung und That in dieses Alter ungeschwächt mit hinüberzu-
^Mer, am wenigsten dann, wenn sie des Lebens Freuden in so reichlichem
^naße genossen hatten wie Gentz. „Ich bin unendlich alt und schlecht geworden
schreibt er im Sommer 1813 an Nadel Levin —, der innere Sinn, die
Empfänglichkeit ist abgestumpft; Sie leben, ich bin tot!" Und: „Ich bin in
^ Ketten dieser Welt so schmählich befangen, daß nicht bloß Freiheit, sondern
^ut. nach ihr zu streben, mir abgeht."

Aller Wirksamkeit im Sinne seiner frühern Schriften entsagte er nun. Als
Friedrich Perthes sich damals mit der Bitte an ihn wandte, ein neues journa-
lstlsches Unternehmen mit politischen Beiträgen zu unterstützen, schlug er es ab.
"^s hat sich nämlich seit den letzten österreichischen Friedensverhandlungen, ohne
^a» in meinen Grundsätzen oder Gesinnungen oder in meiner übrigen Lage das
Geringste verändert worden wäre, in meinem Verhältnis zur französischen Negie¬
rung eine wesentliche Veränderung zugetragen, indem die Idee, welche der Kaiser


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[0167] Friedrich von Gentz. 2, ne Revolution, deren aggressive Tendenz in dem napoleonischen A Frankreich den furchtbarsten Ausdruck gefunden hatte, war bis jetzt der Gegner gewesen, auf deren Bekämpfung Gentz all sein «Sinnen und Trachten gewendet hatte: die Aufgabe seines Lebens .^schien ihm damit ebenso erschöpft wie die des Zeitalters. Dies eranderte sich nun zuerst. Der Feldzug von 1809, den aus der Nähe zu ver- t gen ihm vergönnt war, hatte in seinen Augen Napoleon des dämonischen -Zaubers beraubt, in welchem er ihn mit so vielen andern bis dahin gesehen hatte. Er war ihm nicht mehr die Verkörperung des „satanischen Prinzips." rü kine „gewöhnliche Erscheinung," die über kurz oder lang vom Schau- p atze abtreten würde, ohne eine dauernde Spur ihres Geistes hinterlassen zu haben. Damit verlor für ihn die große Weltkrisis sehr viel an Bedeutung, . Interesse, ^ fortan an ihr nahm, war nicht mehr so tief und leiden- Waftuch, daß es sein ganzes Wesen erfüllte; nur wie ein Schauspiel von dra¬ matischem Neiz verfolgte er sie fast mit ruhigem Behagen. Selten, daß die alten Wammen noch aus der Asche sprühen. Man vergesse auch nicht, daß sich Gentz em funfzigsten Jahre näherte. Noch war freilich seine Gestalt schlank und ' lieb, sein Auge glänzend, seine Stirn glatt, noch bezauberte er Männer >e Frauen durch Anmut und Geist, noch handhabte er Wort und Feder mit Negreicher Gewalt, aber nur wenig Sterblichen ist es vergönnt, alle Jugend- wft in Empfindung und That in dieses Alter ungeschwächt mit hinüberzu- ^Mer, am wenigsten dann, wenn sie des Lebens Freuden in so reichlichem ^naße genossen hatten wie Gentz. „Ich bin unendlich alt und schlecht geworden schreibt er im Sommer 1813 an Nadel Levin —, der innere Sinn, die Empfänglichkeit ist abgestumpft; Sie leben, ich bin tot!" Und: „Ich bin in ^ Ketten dieser Welt so schmählich befangen, daß nicht bloß Freiheit, sondern ^ut. nach ihr zu streben, mir abgeht." Aller Wirksamkeit im Sinne seiner frühern Schriften entsagte er nun. Als Friedrich Perthes sich damals mit der Bitte an ihn wandte, ein neues journa- lstlsches Unternehmen mit politischen Beiträgen zu unterstützen, schlug er es ab. "^s hat sich nämlich seit den letzten österreichischen Friedensverhandlungen, ohne ^a» in meinen Grundsätzen oder Gesinnungen oder in meiner übrigen Lage das Geringste verändert worden wäre, in meinem Verhältnis zur französischen Negie¬ rung eine wesentliche Veränderung zugetragen, indem die Idee, welche der Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/167>, abgerufen am 17.09.2024.