Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit. Landschaft oder Ortschaft eine entscheidende Vorschrift nicht darbot; demnach (Fortsetzung folgt.) Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit. Landschaft oder Ortschaft eine entscheidende Vorschrift nicht darbot; demnach (Fortsetzung folgt.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288619"/> <fw type="header" place="top"> Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.</fw><lb/> <p xml:id="ID_481" prev="#ID_480"> Landschaft oder Ortschaft eine entscheidende Vorschrift nicht darbot; demnach<lb/> war dieses gemeine Recht nur ein „ subsidiäres" Recht, ein Hilfsrecht. Für<lb/> manche Gegenstände wurde das römische Recht überhaupt garnicht aufgenommen,<lb/> wegen seines Widerspruches mit den sittlichen Anschauungen des Volks, so z. B.<lb/> nicht die Sklaverei im römischen Sinne, oder wegen der gänzlichen Verschieden¬<lb/> heit der entsprechenden deutschen Einrichtungen und der vollständigen Unmöglich¬<lb/> keit, die fremden Gesetze auf diese heimatlichen Verhältnisse auch nur ähnlich<lb/> anzuwenden. Vor allen Dingen war dies der Fall für die politischen Verhält¬<lb/> nisse, also im Staatsrechte. Zum bessern Verständnisse des folgenden will ich<lb/> hier die in der Wissenschaft herkömmliche und in der Sache begründete Ein¬<lb/> teilung des Nechtsgebiets nach den Gegenständen einschalten. Das Recht zer¬<lb/> fällt in Privatrecht und öffentliches Recht. Das Privatrecht oder bürgerliche<lb/> Recht (jus «zivile) regelt die Verhältnisse der einzelnen Bürger in ihren Privat¬<lb/> beziehungen. Zum Privatrecht rechnet man von einem gewissen modernen<lb/> Standpunkte auch das die Verhältnisse der christlichen Kirchen und sonstigen<lb/> religiösen Genossenschaften regelnde Kirchenrecht, während es von einem andern,<lb/> wohl richtigeren Standpunkte, der der öffentlichen Wirksamkeit derselben Rechnung<lb/> trägt, dem öffentlichen Rechte einzureihen ist. Abgesehen vom Kirchenrechte<lb/> teilt man das öffentliche Recht in Staatsrecht, Strafprozeßrecht, Zivilproze߬<lb/> recht und Völkerrecht. Das Staatsrecht regelt die Rechtsverhältnisse des Staates<lb/> und seiner Organe sowie die Beziehungen der Einzelnen zum Staat. Das<lb/> Strafrecht oder Kriminalrecht bestimmt die Rechtsverletzungen, gegen welche<lb/> der Staat von Amtswegen, ohne die Verfolgung dem Verletzten allein zu über¬<lb/> lassen, mit seinen Strafen einschreitet. Das Strafprozeßrecht regelt das Ver¬<lb/> fahren, in welchem sich dies vollzieht. Das Zivilprozeßrecht regelt den bürger¬<lb/> lichen Prozeß, mittels dessen die Privatrechtsstreitigkciten zum Austrag zu<lb/> gelangen haben. Endlich bestimmt das internationale oder Völkerrecht die<lb/> Rechtsverhältnisse der einzelnen Staaten unter einander. Verletzungen des<lb/> Völkerrechts unterliegen einer Verfolgung im Wege Rechtens, namentlich vor<lb/> einem wirklichen Gerichtshofe, zur Zeit nicht. Hier geht nun einmal „Macht<lb/> vor Recht." Mittel der Selbsthilfe, vor allein der Krieg, gewähren dem, der<lb/> die Macht hat, den alleinigen Schutz seiner Interessen, nicht aber die An¬<lb/> bringung einer Klage bei einem völkerrechtlichen Gerichtshofe.</p><lb/> <p xml:id="ID_482"> (Fortsetzung folgt.)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.
Landschaft oder Ortschaft eine entscheidende Vorschrift nicht darbot; demnach
war dieses gemeine Recht nur ein „ subsidiäres" Recht, ein Hilfsrecht. Für
manche Gegenstände wurde das römische Recht überhaupt garnicht aufgenommen,
wegen seines Widerspruches mit den sittlichen Anschauungen des Volks, so z. B.
nicht die Sklaverei im römischen Sinne, oder wegen der gänzlichen Verschieden¬
heit der entsprechenden deutschen Einrichtungen und der vollständigen Unmöglich¬
keit, die fremden Gesetze auf diese heimatlichen Verhältnisse auch nur ähnlich
anzuwenden. Vor allen Dingen war dies der Fall für die politischen Verhält¬
nisse, also im Staatsrechte. Zum bessern Verständnisse des folgenden will ich
hier die in der Wissenschaft herkömmliche und in der Sache begründete Ein¬
teilung des Nechtsgebiets nach den Gegenständen einschalten. Das Recht zer¬
fällt in Privatrecht und öffentliches Recht. Das Privatrecht oder bürgerliche
Recht (jus «zivile) regelt die Verhältnisse der einzelnen Bürger in ihren Privat¬
beziehungen. Zum Privatrecht rechnet man von einem gewissen modernen
Standpunkte auch das die Verhältnisse der christlichen Kirchen und sonstigen
religiösen Genossenschaften regelnde Kirchenrecht, während es von einem andern,
wohl richtigeren Standpunkte, der der öffentlichen Wirksamkeit derselben Rechnung
trägt, dem öffentlichen Rechte einzureihen ist. Abgesehen vom Kirchenrechte
teilt man das öffentliche Recht in Staatsrecht, Strafprozeßrecht, Zivilproze߬
recht und Völkerrecht. Das Staatsrecht regelt die Rechtsverhältnisse des Staates
und seiner Organe sowie die Beziehungen der Einzelnen zum Staat. Das
Strafrecht oder Kriminalrecht bestimmt die Rechtsverletzungen, gegen welche
der Staat von Amtswegen, ohne die Verfolgung dem Verletzten allein zu über¬
lassen, mit seinen Strafen einschreitet. Das Strafprozeßrecht regelt das Ver¬
fahren, in welchem sich dies vollzieht. Das Zivilprozeßrecht regelt den bürger¬
lichen Prozeß, mittels dessen die Privatrechtsstreitigkciten zum Austrag zu
gelangen haben. Endlich bestimmt das internationale oder Völkerrecht die
Rechtsverhältnisse der einzelnen Staaten unter einander. Verletzungen des
Völkerrechts unterliegen einer Verfolgung im Wege Rechtens, namentlich vor
einem wirklichen Gerichtshofe, zur Zeit nicht. Hier geht nun einmal „Macht
vor Recht." Mittel der Selbsthilfe, vor allein der Krieg, gewähren dem, der
die Macht hat, den alleinigen Schutz seiner Interessen, nicht aber die An¬
bringung einer Klage bei einem völkerrechtlichen Gerichtshofe.
(Fortsetzung folgt.)
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