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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rochtseiicheit.

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sich bestrebt hat und noch bestrebt, bei einer den neuen Bedürfnissen sich an¬
passenden Fortentwicklung des Rechts solche Bildungen, die unsre Vorfahren
in ähnlicher Art schon hatten, in vaterländischen Geiste wieder zu Ehren zu
bringen, indem man an sie wieder anknüpft. Dieses wird, sofern die altdeutsche
Vorschrift an sich zweckmäßig ist, jeder Deutsche mit Freuden begrüßen. Ein
Beispiel findet man in dem durch das Gesetz des neuen deutschen Reiches vom
17- Februar 1875 für ganz Deutschland festgesetzten Alter der Großjährigkett
von einundzwanzig Jahren, welches einer alten deutschen Gewohnheit entspricht;
das römische Recht hatte als Grenze das fünfundzwanzigste Lebensjahr bestimmt.
Auch an folgendes erinnere ich: Die Kirche sah im Mittelalter jedes Zmscn-
nehmcn von ausgeliehenen Kapitalien als Wucher an. Im voraus M'is "uio-
mei wurde denn anch das Zinsennehmen verboten, und dieses Verbot von
den Gerichten beachtet. Der Rechtsverkehr jedoch, der diese Schranke, wenn
er nicht jeden Kredit aufheben wollte, nicht ertragen konnte, half sich dagegen,
bevor man das ganze Verbot vollständig beseitigte, znerst in der Welse, daß
er das Gebilde des Nentenkaufs erfand. Der Geldnehmer verpflichtete sich
nämlich dem Geldgeber gegenüber zur Zahlung einer bestimmten immerwährenden
Rente ans seinem Grundstücke als Entgelt dafür, daß der Geldgeber ihm em
Kapital gewährte, dessen Betrag sich, wenn das Zinsneh.nen erlaubt gewesen
wäre, so hoch verzinst Hütte, als -die Rente sich belief. Der Geldgeber taufte
durch das Kapital diese Rente vom Geldnehmer. In der Wirkung war hier¬
durch dasselbe wie durch das verzinsliche Darlehnsgcschäft mit Hypothek¬
bestellung erreicht, allerdings mit dem Unterschiede. daß der Geldgeber oder
dessen Erben das Verhältnis zu kündigen nicht berechtigt waren; wohl aber
durfte er seine Rente anderweit verkaufen und sich ans diese We.se das Kapital
verschaffen. Der Nenteupflichtige hatte das Recht, die Rente durch Rückzahlung
des Kapitals abzulösen. Auf diese Weise umging man das lästige Zinsverbot.
Mit der Beseitigung dieses Verbots und mit der Erlaubnis, daß der Rentenkaufer
für den Fall der Säumigkeit sich das Küudiguugsrecht ausbedingen dürfe, ant
dieses Geschäft jedoch in seiner Bedeutung und kam außer Übung. ^" auer-
neuester Zeit hat man in Preußen den Versuch gemacht, diese Rechts ildung
wieder in deu Verkehr einzuführen. Ich denke hierbei an das Gesetz vom
26. April 1886. betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen >n den Pro¬
vinzen Westpreußen und Posen.

Das römische Recht war also gemeines Recht u. Deutschland gewor ..
Es konnte aber keineswegs das einheimische Recht vollständig verdrängen, wenn¬
gleich die römischrechtlichen Juristen große Neigung dazu hatten, oa-
einheimische Recht sich behauptete, ging es dem fremden Rechte vor. no enr-
wickelte sich der Grundsatz, daß dieses gemeine Recht überhaupt ..ur da cuizn-
wenden wäre, wo das meistens dürftige und wegen Mangels schriftlicher lnf-
zeichnung oft nnr unsicher feststellbare Partiknlarrecht der betreffenden deutschen


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rochtseiicheit.

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sich bestrebt hat und noch bestrebt, bei einer den neuen Bedürfnissen sich an¬
passenden Fortentwicklung des Rechts solche Bildungen, die unsre Vorfahren
in ähnlicher Art schon hatten, in vaterländischen Geiste wieder zu Ehren zu
bringen, indem man an sie wieder anknüpft. Dieses wird, sofern die altdeutsche
Vorschrift an sich zweckmäßig ist, jeder Deutsche mit Freuden begrüßen. Ein
Beispiel findet man in dem durch das Gesetz des neuen deutschen Reiches vom
17- Februar 1875 für ganz Deutschland festgesetzten Alter der Großjährigkett
von einundzwanzig Jahren, welches einer alten deutschen Gewohnheit entspricht;
das römische Recht hatte als Grenze das fünfundzwanzigste Lebensjahr bestimmt.
Auch an folgendes erinnere ich: Die Kirche sah im Mittelalter jedes Zmscn-
nehmcn von ausgeliehenen Kapitalien als Wucher an. Im voraus M'is «uio-
mei wurde denn anch das Zinsennehmen verboten, und dieses Verbot von
den Gerichten beachtet. Der Rechtsverkehr jedoch, der diese Schranke, wenn
er nicht jeden Kredit aufheben wollte, nicht ertragen konnte, half sich dagegen,
bevor man das ganze Verbot vollständig beseitigte, znerst in der Welse, daß
er das Gebilde des Nentenkaufs erfand. Der Geldnehmer verpflichtete sich
nämlich dem Geldgeber gegenüber zur Zahlung einer bestimmten immerwährenden
Rente ans seinem Grundstücke als Entgelt dafür, daß der Geldgeber ihm em
Kapital gewährte, dessen Betrag sich, wenn das Zinsneh.nen erlaubt gewesen
wäre, so hoch verzinst Hütte, als -die Rente sich belief. Der Geldgeber taufte
durch das Kapital diese Rente vom Geldnehmer. In der Wirkung war hier¬
durch dasselbe wie durch das verzinsliche Darlehnsgcschäft mit Hypothek¬
bestellung erreicht, allerdings mit dem Unterschiede. daß der Geldgeber oder
dessen Erben das Verhältnis zu kündigen nicht berechtigt waren; wohl aber
durfte er seine Rente anderweit verkaufen und sich ans diese We.se das Kapital
verschaffen. Der Nenteupflichtige hatte das Recht, die Rente durch Rückzahlung
des Kapitals abzulösen. Auf diese Weise umging man das lästige Zinsverbot.
Mit der Beseitigung dieses Verbots und mit der Erlaubnis, daß der Rentenkaufer
für den Fall der Säumigkeit sich das Küudiguugsrecht ausbedingen dürfe, ant
dieses Geschäft jedoch in seiner Bedeutung und kam außer Übung. ^" auer-
neuester Zeit hat man in Preußen den Versuch gemacht, diese Rechts ildung
wieder in deu Verkehr einzuführen. Ich denke hierbei an das Gesetz vom
26. April 1886. betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen >n den Pro¬
vinzen Westpreußen und Posen.

Das römische Recht war also gemeines Recht u. Deutschland gewor ..
Es konnte aber keineswegs das einheimische Recht vollständig verdrängen, wenn¬
gleich die römischrechtlichen Juristen große Neigung dazu hatten, oa-
einheimische Recht sich behauptete, ging es dem fremden Rechte vor. no enr-
wickelte sich der Grundsatz, daß dieses gemeine Recht überhaupt ..ur da cuizn-
wenden wäre, wo das meistens dürftige und wegen Mangels schriftlicher lnf-
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[0165] Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rochtseiicheit. _ sich bestrebt hat und noch bestrebt, bei einer den neuen Bedürfnissen sich an¬ passenden Fortentwicklung des Rechts solche Bildungen, die unsre Vorfahren in ähnlicher Art schon hatten, in vaterländischen Geiste wieder zu Ehren zu bringen, indem man an sie wieder anknüpft. Dieses wird, sofern die altdeutsche Vorschrift an sich zweckmäßig ist, jeder Deutsche mit Freuden begrüßen. Ein Beispiel findet man in dem durch das Gesetz des neuen deutschen Reiches vom 17- Februar 1875 für ganz Deutschland festgesetzten Alter der Großjährigkett von einundzwanzig Jahren, welches einer alten deutschen Gewohnheit entspricht; das römische Recht hatte als Grenze das fünfundzwanzigste Lebensjahr bestimmt. Auch an folgendes erinnere ich: Die Kirche sah im Mittelalter jedes Zmscn- nehmcn von ausgeliehenen Kapitalien als Wucher an. Im voraus M'is «uio- mei wurde denn anch das Zinsennehmen verboten, und dieses Verbot von den Gerichten beachtet. Der Rechtsverkehr jedoch, der diese Schranke, wenn er nicht jeden Kredit aufheben wollte, nicht ertragen konnte, half sich dagegen, bevor man das ganze Verbot vollständig beseitigte, znerst in der Welse, daß er das Gebilde des Nentenkaufs erfand. Der Geldnehmer verpflichtete sich nämlich dem Geldgeber gegenüber zur Zahlung einer bestimmten immerwährenden Rente ans seinem Grundstücke als Entgelt dafür, daß der Geldgeber ihm em Kapital gewährte, dessen Betrag sich, wenn das Zinsneh.nen erlaubt gewesen wäre, so hoch verzinst Hütte, als -die Rente sich belief. Der Geldgeber taufte durch das Kapital diese Rente vom Geldnehmer. In der Wirkung war hier¬ durch dasselbe wie durch das verzinsliche Darlehnsgcschäft mit Hypothek¬ bestellung erreicht, allerdings mit dem Unterschiede. daß der Geldgeber oder dessen Erben das Verhältnis zu kündigen nicht berechtigt waren; wohl aber durfte er seine Rente anderweit verkaufen und sich ans diese We.se das Kapital verschaffen. Der Nenteupflichtige hatte das Recht, die Rente durch Rückzahlung des Kapitals abzulösen. Auf diese Weise umging man das lästige Zinsverbot. Mit der Beseitigung dieses Verbots und mit der Erlaubnis, daß der Rentenkaufer für den Fall der Säumigkeit sich das Küudiguugsrecht ausbedingen dürfe, ant dieses Geschäft jedoch in seiner Bedeutung und kam außer Übung. ^" auer- neuester Zeit hat man in Preußen den Versuch gemacht, diese Rechts ildung wieder in deu Verkehr einzuführen. Ich denke hierbei an das Gesetz vom 26. April 1886. betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen >n den Pro¬ vinzen Westpreußen und Posen. Das römische Recht war also gemeines Recht u. Deutschland gewor .. Es konnte aber keineswegs das einheimische Recht vollständig verdrängen, wenn¬ gleich die römischrechtlichen Juristen große Neigung dazu hatten, oa- einheimische Recht sich behauptete, ging es dem fremden Rechte vor. no enr- wickelte sich der Grundsatz, daß dieses gemeine Recht überhaupt ..ur da cuizn- wenden wäre, wo das meistens dürftige und wegen Mangels schriftlicher lnf- zeichnung oft nnr unsicher feststellbare Partiknlarrecht der betreffenden deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/165>, abgerufen am 17.09.2024.