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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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gewannen in dem Kammergerichte die römischrechtlich gebildete" Juristen den
entscheidenden Einfluß und verdrängten allmählich sogar den laienrichterlichen
Teil. Ein Grund dafür lag in dem Unistande, das; bei der Entscheidung über
die Appellationen die Laien, von denen jeder höchstens sein heimatliches Recht
kannte, um ein allen gemeinsames und bekanntes dafür verwendbares Recht
verlegen waren. Hier waren nun die Juristen mit ihrem Lorxus Mris vivilis
bei der Hand, und es wies auch der Neichsabschied von Worms 1495 Richter
und Beisitzer geradezu an, nach dem römischen Rechte zu richten. Im Jahre 150?
drang auch das römische Prozeßverfahren ein. So wurde denn das römische Recht
zum "gemeinen," d. h. gemeinsamen Recht des Reichs, wofür man als juristischen
Grund mit einem Schein des Rechtes mich den Namen "Heiliges römisches Reich"
anführte, wie ja auch deutsche Kaiser keinen Austand nahmen, von römischen Kaisern
als ihren "Vorfahren um Reich" zu reden. Aber das römische Recht wurde nicht
nur in dem Sinne gemeines Recht, daß es vom Reichsgerichte angewendet wurde,
sondern es faßte auch in den Territorien festen Fuß wegen der Lückenhaftig¬
keit des Partiknlarrechts und seines geringen wissenschaftlichen Gehalts im
Vergleich zu der scharfsinnigen Ausbildung des fremden Rechts. Der Ausgang
des Kampfes, der sich zwischen dem fremden und dem einheimischen Recht erhob,
konnte in der That nicht zweifelhaft sein. Denn ohne Widerstand erfolgte die
Aufnahme nicht. Von den zwölf Artikeln, welche die aufrührerischen Bauern
im Bauernkriege während der Reformationszeit im Jahre 1525 aufstellten,
lautet der fünfte Hauptartikel: "Alle äovtorW der rechten, sy seyen geystlich
oder weltlich im heyligen römischen reych Teutscher Nation, sollen nach laut der
fürgenommen refvrmation an keym gericht, bei keynen rechten, auch in lepus
Fürsten oder andern rädten meer erlytten, sondern gantz abgethon werden; se)
sollen auch fürbaß, syn vor gericht oder recht nit weytter reden, Meyben oder
radtgeben, seytmals got den Menschen mit seiner eygen weißheit begräbt und
fürsehn hat."

Es war anch manches an dem fremden Rechte verwerflich. Das klassische
Recht hatte durch den Byzantinismus hindurchgehen müssen und hatte Spuren
davon genug behalten. Auch war die klassische Zeit für das römische Recht
die Kaiserzeit gewesen; daher der darin enthaltene Despotismus. Aber diese
verwerflichen Bestandteile sind im Laufe der Zeit von der deutschen Rechts-
gelehrsamkeit abgestreift worden. Schon die italienischen Juristen in Bologna
hatten dies angebahnt und das LZorxns juris mit Erläuterungen versehen, Glosse"
genannt, die in der Weise maßgebend wurden, daß man die Regel aufstellte:
^uvcl, UM ÄAiiosoit) g'IoWa,, mein a^rohe-it ouria, d. h. was die Glvssatoren nicht
erläutert und dadurch für anwendbar befunden haben, hat der Gerichtshof nicht
anzuerkennen und bei der Rechtsprechung nicht anzuwenden. Die grundsätzlichen
Einwendungen der Reformationszeit gegen das fremde Recht sind heutzutage
acht mehr zulässig. Etwas ganz andres ist es, wenn man in der neuern Zeit


gewannen in dem Kammergerichte die römischrechtlich gebildete» Juristen den
entscheidenden Einfluß und verdrängten allmählich sogar den laienrichterlichen
Teil. Ein Grund dafür lag in dem Unistande, das; bei der Entscheidung über
die Appellationen die Laien, von denen jeder höchstens sein heimatliches Recht
kannte, um ein allen gemeinsames und bekanntes dafür verwendbares Recht
verlegen waren. Hier waren nun die Juristen mit ihrem Lorxus Mris vivilis
bei der Hand, und es wies auch der Neichsabschied von Worms 1495 Richter
und Beisitzer geradezu an, nach dem römischen Rechte zu richten. Im Jahre 150?
drang auch das römische Prozeßverfahren ein. So wurde denn das römische Recht
zum „gemeinen," d. h. gemeinsamen Recht des Reichs, wofür man als juristischen
Grund mit einem Schein des Rechtes mich den Namen „Heiliges römisches Reich"
anführte, wie ja auch deutsche Kaiser keinen Austand nahmen, von römischen Kaisern
als ihren „Vorfahren um Reich" zu reden. Aber das römische Recht wurde nicht
nur in dem Sinne gemeines Recht, daß es vom Reichsgerichte angewendet wurde,
sondern es faßte auch in den Territorien festen Fuß wegen der Lückenhaftig¬
keit des Partiknlarrechts und seines geringen wissenschaftlichen Gehalts im
Vergleich zu der scharfsinnigen Ausbildung des fremden Rechts. Der Ausgang
des Kampfes, der sich zwischen dem fremden und dem einheimischen Recht erhob,
konnte in der That nicht zweifelhaft sein. Denn ohne Widerstand erfolgte die
Aufnahme nicht. Von den zwölf Artikeln, welche die aufrührerischen Bauern
im Bauernkriege während der Reformationszeit im Jahre 1525 aufstellten,
lautet der fünfte Hauptartikel: „Alle äovtorW der rechten, sy seyen geystlich
oder weltlich im heyligen römischen reych Teutscher Nation, sollen nach laut der
fürgenommen refvrmation an keym gericht, bei keynen rechten, auch in lepus
Fürsten oder andern rädten meer erlytten, sondern gantz abgethon werden; se)
sollen auch fürbaß, syn vor gericht oder recht nit weytter reden, Meyben oder
radtgeben, seytmals got den Menschen mit seiner eygen weißheit begräbt und
fürsehn hat."

Es war anch manches an dem fremden Rechte verwerflich. Das klassische
Recht hatte durch den Byzantinismus hindurchgehen müssen und hatte Spuren
davon genug behalten. Auch war die klassische Zeit für das römische Recht
die Kaiserzeit gewesen; daher der darin enthaltene Despotismus. Aber diese
verwerflichen Bestandteile sind im Laufe der Zeit von der deutschen Rechts-
gelehrsamkeit abgestreift worden. Schon die italienischen Juristen in Bologna
hatten dies angebahnt und das LZorxns juris mit Erläuterungen versehen, Glosse»
genannt, die in der Weise maßgebend wurden, daß man die Regel aufstellte:
^uvcl, UM ÄAiiosoit) g'IoWa,, mein a^rohe-it ouria, d. h. was die Glvssatoren nicht
erläutert und dadurch für anwendbar befunden haben, hat der Gerichtshof nicht
anzuerkennen und bei der Rechtsprechung nicht anzuwenden. Die grundsätzlichen
Einwendungen der Reformationszeit gegen das fremde Recht sind heutzutage
acht mehr zulässig. Etwas ganz andres ist es, wenn man in der neuern Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/164>, abgerufen am 17.09.2024.