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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

inner" Wert das römische Recht unter den deutschen Gelehrten Anhänger fand,
so beweist dies schon an und für sich die Vortrefflichkeit dieses fremden Rechtes.
Dabei darf man natürlich nicht an dasjenige denken, was uns auf der Schule
im Geschichtsunterricht nur von den staatsrechtlichen Gesetzen des römischen Volkes
-- ich denke dabei an Konsuln, Prätoren. Ädilen. Volkstribunen u. s. w. --
mitgeteilt wird, sondern vielmehr an das Recht über Geld und Gut und Mein
und Dein, welches von dem römischen Volke in einer Feinheit ausgebildet
worden ist, die man nur würdigen kann, wenn man das römische Recht aus
der Quelle des Vorxus Ms studirt und es mit dem vergleicht, was die Rechts-
bücher des Mittelalters, z. B. der Sachsenspiegel, uns bieten.

Infolge ihrer bedeutenderen juristischen Kenntnisse kamen die äootores juris
utriu^ne. die Doktoren beider Rechte, d. h. des jus olons und des jus o^o-
uioum, in großes Ansehen. Die Anerkennung der Vortrefflichkeit des römischen
Rechts hatte auch zur Folge, daß bei der Einsetzung des Reichskammergerichts
bestimmt wurde, es sollten von den Beisitzern desselben acht "in den Rechten
gewürdigt" sein, also aus dem Stande derjenigen, welche die Würde des Doktors
der Rechte erlangt hatten, genommen werden. Die erste Einsetzung dieses ständigen
Reichskammergerichts erfolgte im Jahre 1495 auf Veranlassung der zu Worms
versammelten Reichsstände durch Kaiser Maximilian I. Es kann als das erste
deutsche Reichsgericht im neuern Sinne angesehen werden. Dem Kaiser gebührte
die Ernennung des Präsidenten, der den Namen Kammerrichter führte. An
Beisitzern sollten damals sechzehn mitwirken, die Hälste aus der Zahl der
Doktoren, d. h. also der studirten Juristen, die andre Hälfte aus dem ntter-
bürtigcn Adel, also aus dem Stande der juristischen Laien, und teils von den
Kurfürsten, teils von den zehn Kreisen ernannt werden, in welche um diese
Zeit das deutsche Reich zum Zwecke namentlich der Erhaltung des Landfriedens,
des Heeresaufgebots und der Aufbringung der Reichssteuer, des gemeinen
Pfennigs, geteilt wurde. Später, nach dem westfälischen Frieden, wurden
fünfzig Beisitzer für nötig erachtet. Der Sitz dieses Kammerger.ches. welches
von den bereits früher am jedesmaligen Hofe des Kaisers zusammentretender
Kammergerichten auch durch seiue Ständigkeit an einem bestimmten Orte sich
unterschied, war zuerst Frankfurt a. M; dann wechselte er mehrmals. Von
1627 bis 1689 befand sich das Gericht zu Speier, von wo es. als die Fran¬
zosen diese Stadt verbrannten, nach Wetzlar verlegt wurde. Hier ist es bis zur
Auflösung des Reiches im Jahre 1806 geblieben. Hier hat es ^°"nel.es in-es
Goethe kennen lernen, und wer sich näher darüber belehren null, findet manches
Unterrichtende in seiner Lebensbeschreibung ..Wahrheit und Dichtung. Das
Reichskammergericht war namentlich zuständig für die Appellationen gegen du-
Erkenutnisse der Soudergenchte der einzelnen dentschen Lander und Ländchen,
wofern d Wert des Streitgegenstandes eine im Laufe der Zelt mehrfach ver¬
schieden bestimmte höhere Geldsumme ("a "xM^W) erreichte. Sehr bald


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

inner» Wert das römische Recht unter den deutschen Gelehrten Anhänger fand,
so beweist dies schon an und für sich die Vortrefflichkeit dieses fremden Rechtes.
Dabei darf man natürlich nicht an dasjenige denken, was uns auf der Schule
im Geschichtsunterricht nur von den staatsrechtlichen Gesetzen des römischen Volkes
— ich denke dabei an Konsuln, Prätoren. Ädilen. Volkstribunen u. s. w. —
mitgeteilt wird, sondern vielmehr an das Recht über Geld und Gut und Mein
und Dein, welches von dem römischen Volke in einer Feinheit ausgebildet
worden ist, die man nur würdigen kann, wenn man das römische Recht aus
der Quelle des Vorxus Ms studirt und es mit dem vergleicht, was die Rechts-
bücher des Mittelalters, z. B. der Sachsenspiegel, uns bieten.

Infolge ihrer bedeutenderen juristischen Kenntnisse kamen die äootores juris
utriu^ne. die Doktoren beider Rechte, d. h. des jus olons und des jus o^o-
uioum, in großes Ansehen. Die Anerkennung der Vortrefflichkeit des römischen
Rechts hatte auch zur Folge, daß bei der Einsetzung des Reichskammergerichts
bestimmt wurde, es sollten von den Beisitzern desselben acht „in den Rechten
gewürdigt" sein, also aus dem Stande derjenigen, welche die Würde des Doktors
der Rechte erlangt hatten, genommen werden. Die erste Einsetzung dieses ständigen
Reichskammergerichts erfolgte im Jahre 1495 auf Veranlassung der zu Worms
versammelten Reichsstände durch Kaiser Maximilian I. Es kann als das erste
deutsche Reichsgericht im neuern Sinne angesehen werden. Dem Kaiser gebührte
die Ernennung des Präsidenten, der den Namen Kammerrichter führte. An
Beisitzern sollten damals sechzehn mitwirken, die Hälste aus der Zahl der
Doktoren, d. h. also der studirten Juristen, die andre Hälfte aus dem ntter-
bürtigcn Adel, also aus dem Stande der juristischen Laien, und teils von den
Kurfürsten, teils von den zehn Kreisen ernannt werden, in welche um diese
Zeit das deutsche Reich zum Zwecke namentlich der Erhaltung des Landfriedens,
des Heeresaufgebots und der Aufbringung der Reichssteuer, des gemeinen
Pfennigs, geteilt wurde. Später, nach dem westfälischen Frieden, wurden
fünfzig Beisitzer für nötig erachtet. Der Sitz dieses Kammerger.ches. welches
von den bereits früher am jedesmaligen Hofe des Kaisers zusammentretender
Kammergerichten auch durch seiue Ständigkeit an einem bestimmten Orte sich
unterschied, war zuerst Frankfurt a. M; dann wechselte er mehrmals. Von
1627 bis 1689 befand sich das Gericht zu Speier, von wo es. als die Fran¬
zosen diese Stadt verbrannten, nach Wetzlar verlegt wurde. Hier ist es bis zur
Auflösung des Reiches im Jahre 1806 geblieben. Hier hat es ^°"nel.es in-es
Goethe kennen lernen, und wer sich näher darüber belehren null, findet manches
Unterrichtende in seiner Lebensbeschreibung ..Wahrheit und Dichtung. Das
Reichskammergericht war namentlich zuständig für die Appellationen gegen du-
Erkenutnisse der Soudergenchte der einzelnen dentschen Lander und Ländchen,
wofern d Wert des Streitgegenstandes eine im Laufe der Zelt mehrfach ver¬
schieden bestimmte höhere Geldsumme («a »xM^W) erreichte. Sehr bald


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[0163] Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit. inner» Wert das römische Recht unter den deutschen Gelehrten Anhänger fand, so beweist dies schon an und für sich die Vortrefflichkeit dieses fremden Rechtes. Dabei darf man natürlich nicht an dasjenige denken, was uns auf der Schule im Geschichtsunterricht nur von den staatsrechtlichen Gesetzen des römischen Volkes — ich denke dabei an Konsuln, Prätoren. Ädilen. Volkstribunen u. s. w. — mitgeteilt wird, sondern vielmehr an das Recht über Geld und Gut und Mein und Dein, welches von dem römischen Volke in einer Feinheit ausgebildet worden ist, die man nur würdigen kann, wenn man das römische Recht aus der Quelle des Vorxus Ms studirt und es mit dem vergleicht, was die Rechts- bücher des Mittelalters, z. B. der Sachsenspiegel, uns bieten. Infolge ihrer bedeutenderen juristischen Kenntnisse kamen die äootores juris utriu^ne. die Doktoren beider Rechte, d. h. des jus olons und des jus o^o- uioum, in großes Ansehen. Die Anerkennung der Vortrefflichkeit des römischen Rechts hatte auch zur Folge, daß bei der Einsetzung des Reichskammergerichts bestimmt wurde, es sollten von den Beisitzern desselben acht „in den Rechten gewürdigt" sein, also aus dem Stande derjenigen, welche die Würde des Doktors der Rechte erlangt hatten, genommen werden. Die erste Einsetzung dieses ständigen Reichskammergerichts erfolgte im Jahre 1495 auf Veranlassung der zu Worms versammelten Reichsstände durch Kaiser Maximilian I. Es kann als das erste deutsche Reichsgericht im neuern Sinne angesehen werden. Dem Kaiser gebührte die Ernennung des Präsidenten, der den Namen Kammerrichter führte. An Beisitzern sollten damals sechzehn mitwirken, die Hälste aus der Zahl der Doktoren, d. h. also der studirten Juristen, die andre Hälfte aus dem ntter- bürtigcn Adel, also aus dem Stande der juristischen Laien, und teils von den Kurfürsten, teils von den zehn Kreisen ernannt werden, in welche um diese Zeit das deutsche Reich zum Zwecke namentlich der Erhaltung des Landfriedens, des Heeresaufgebots und der Aufbringung der Reichssteuer, des gemeinen Pfennigs, geteilt wurde. Später, nach dem westfälischen Frieden, wurden fünfzig Beisitzer für nötig erachtet. Der Sitz dieses Kammerger.ches. welches von den bereits früher am jedesmaligen Hofe des Kaisers zusammentretender Kammergerichten auch durch seiue Ständigkeit an einem bestimmten Orte sich unterschied, war zuerst Frankfurt a. M; dann wechselte er mehrmals. Von 1627 bis 1689 befand sich das Gericht zu Speier, von wo es. als die Fran¬ zosen diese Stadt verbrannten, nach Wetzlar verlegt wurde. Hier ist es bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1806 geblieben. Hier hat es ^°"nel.es in-es Goethe kennen lernen, und wer sich näher darüber belehren null, findet manches Unterrichtende in seiner Lebensbeschreibung ..Wahrheit und Dichtung. Das Reichskammergericht war namentlich zuständig für die Appellationen gegen du- Erkenutnisse der Soudergenchte der einzelnen dentschen Lander und Ländchen, wofern d Wert des Streitgegenstandes eine im Laufe der Zelt mehrfach ver¬ schieden bestimmte höhere Geldsumme («a »xM^W) erreichte. Sehr bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/163>, abgerufen am 17.09.2024.