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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

römischen Kaisers Justinianus von Tribonianus, seinem "zug-estor sg-vri xalMi,
(etwa soviel wie Justizminister), und andern Rechtsgelehrten zusammengestellt.
So, wie wir es heute noch besitzen, enthält es vier Teile. Den Hauptteil bilden
die ?g.näöotAS oder ol^ssw, wörtliche Auszüge aus den Schriften der be¬
deutendsten Rechtsgelehrten der römischen Kaiserzeit -- ich nenne Gajus, Pa-
pinianus, Ulpianus, Julius Paulus, Mvdestinus --, Auszüge, welche teils be¬
stimmte Rechtsfälle, teils Rechtsfragen im allgemeinen behandeln. Der griechische
Name Pandeiten soll weiter nichts besagen, als daß der gesamte Rechtsstoff in
dieses Werk aufgenommen sei. Daneben, und schon vor den Pandekten, ver¬
faßte man eine Sammlung noch giltiger Konstitutionen römischer Kaiser von
Hadrianus bis auf Justinianus, soweit man sie in Geltung lassen wollte, in
dem sogenannten Ooäsx ^ustiniausus. Unter diesen Gesetzen befinden sich neben
allgemeinen Vorschriften auch Entscheidungen einzelner Nechtsfälle durch die
kaiserlichen Gerichte. Als Lehrmittel für die Rechtsbeflissenen wurde dann
noch das kurzgefaßte Werk der lustitutiouss verfaßt. An diese drei Teile,
welche alle nach Rechtssachen geordnet sind, schlossen sich später die erst nach
der Vollendung jener Bücher erlassenen neuern Gesetze Justinians und späterer
Kaiser, welche dann, teils in der griechischen Sprache, in der sie ursprünglich
verfaßt waren, teils in lateinischer Übersetzung gesammelt und unter dem Namen
Novellen dem ursprünglich nur aus Pandekten, Kodex und Institutionen be¬
stehenden, lateinisch abgefaßten Werke angefügt wurden. Der Name Oorxus
Huris oder Oorvus Huris e-ivilis wurde erst sehr viel später von den Juristen
in Italien, wo Justinianus nach der Wiedereroberung dieses Landes diese Ge¬
setze einführte, dem Gesamtwert beigelegt. Die Kenner des römischen Rechts,
welche es daraus schöpften, nannte man Zivilisten, die des kanonischen Rechts
Kanonisten. In Italien machten die Deutschen die Bekanntschaft des fremden
Rechts. Hier fügten auch die Gelehrten des langobardischen Lehnrechts, die
Feudisten, dem Werk die I.it>ri töuäoruiu, eine Sammlung des in der Lombardei
geltenden Lehnrechts, zu.

Das Lorxus Huris oivilis enthält in der Ausgabe der Gebrüder Kriegel
etwa 2700 enggedruckte Großoktavseiten, die lutherische Bibelübersetzung umfaßt
in den meisten Ausgaben noch nicht 1200 Kleinoktavseiten. Und das vorxus
Huris wurde zusammengestellt und vervielfältigt in einer Zeit, welcher die Buch-
druckerkunst vollständig unbekannt war. Über den Wert des römischen Rechts
selbst, des Inhalts des vorxus Huris, kann ich mich hier nicht näher verbreiten,
habe auch keine Veranlassung, gegenüber den Verunglimpfungen dieses hervor¬
ragenden Erzeugnisses menschlichen Geistes hier eine Lanze dafür zu brechen.
Man darf jedenfalls, wenn man ein Urteil darüber fällt, die Thatsache des
Aufkommens des römischen Nechtsstudiums unter den Deutschen nicht außer
Acht lassen. Aus nichts kommt nichts. Ich meine, wenn den gebildeten Deutschen
in Bologna eine Zuneigung zu diesem Studium erfaßte, und nur durch seinen


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

römischen Kaisers Justinianus von Tribonianus, seinem «zug-estor sg-vri xalMi,
(etwa soviel wie Justizminister), und andern Rechtsgelehrten zusammengestellt.
So, wie wir es heute noch besitzen, enthält es vier Teile. Den Hauptteil bilden
die ?g.näöotAS oder ol^ssw, wörtliche Auszüge aus den Schriften der be¬
deutendsten Rechtsgelehrten der römischen Kaiserzeit — ich nenne Gajus, Pa-
pinianus, Ulpianus, Julius Paulus, Mvdestinus —, Auszüge, welche teils be¬
stimmte Rechtsfälle, teils Rechtsfragen im allgemeinen behandeln. Der griechische
Name Pandeiten soll weiter nichts besagen, als daß der gesamte Rechtsstoff in
dieses Werk aufgenommen sei. Daneben, und schon vor den Pandekten, ver¬
faßte man eine Sammlung noch giltiger Konstitutionen römischer Kaiser von
Hadrianus bis auf Justinianus, soweit man sie in Geltung lassen wollte, in
dem sogenannten Ooäsx ^ustiniausus. Unter diesen Gesetzen befinden sich neben
allgemeinen Vorschriften auch Entscheidungen einzelner Nechtsfälle durch die
kaiserlichen Gerichte. Als Lehrmittel für die Rechtsbeflissenen wurde dann
noch das kurzgefaßte Werk der lustitutiouss verfaßt. An diese drei Teile,
welche alle nach Rechtssachen geordnet sind, schlossen sich später die erst nach
der Vollendung jener Bücher erlassenen neuern Gesetze Justinians und späterer
Kaiser, welche dann, teils in der griechischen Sprache, in der sie ursprünglich
verfaßt waren, teils in lateinischer Übersetzung gesammelt und unter dem Namen
Novellen dem ursprünglich nur aus Pandekten, Kodex und Institutionen be¬
stehenden, lateinisch abgefaßten Werke angefügt wurden. Der Name Oorxus
Huris oder Oorvus Huris e-ivilis wurde erst sehr viel später von den Juristen
in Italien, wo Justinianus nach der Wiedereroberung dieses Landes diese Ge¬
setze einführte, dem Gesamtwert beigelegt. Die Kenner des römischen Rechts,
welche es daraus schöpften, nannte man Zivilisten, die des kanonischen Rechts
Kanonisten. In Italien machten die Deutschen die Bekanntschaft des fremden
Rechts. Hier fügten auch die Gelehrten des langobardischen Lehnrechts, die
Feudisten, dem Werk die I.it>ri töuäoruiu, eine Sammlung des in der Lombardei
geltenden Lehnrechts, zu.

Das Lorxus Huris oivilis enthält in der Ausgabe der Gebrüder Kriegel
etwa 2700 enggedruckte Großoktavseiten, die lutherische Bibelübersetzung umfaßt
in den meisten Ausgaben noch nicht 1200 Kleinoktavseiten. Und das vorxus
Huris wurde zusammengestellt und vervielfältigt in einer Zeit, welcher die Buch-
druckerkunst vollständig unbekannt war. Über den Wert des römischen Rechts
selbst, des Inhalts des vorxus Huris, kann ich mich hier nicht näher verbreiten,
habe auch keine Veranlassung, gegenüber den Verunglimpfungen dieses hervor¬
ragenden Erzeugnisses menschlichen Geistes hier eine Lanze dafür zu brechen.
Man darf jedenfalls, wenn man ein Urteil darüber fällt, die Thatsache des
Aufkommens des römischen Nechtsstudiums unter den Deutschen nicht außer
Acht lassen. Aus nichts kommt nichts. Ich meine, wenn den gebildeten Deutschen
in Bologna eine Zuneigung zu diesem Studium erfaßte, und nur durch seinen


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[0162] Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit. römischen Kaisers Justinianus von Tribonianus, seinem «zug-estor sg-vri xalMi, (etwa soviel wie Justizminister), und andern Rechtsgelehrten zusammengestellt. So, wie wir es heute noch besitzen, enthält es vier Teile. Den Hauptteil bilden die ?g.näöotAS oder ol^ssw, wörtliche Auszüge aus den Schriften der be¬ deutendsten Rechtsgelehrten der römischen Kaiserzeit — ich nenne Gajus, Pa- pinianus, Ulpianus, Julius Paulus, Mvdestinus —, Auszüge, welche teils be¬ stimmte Rechtsfälle, teils Rechtsfragen im allgemeinen behandeln. Der griechische Name Pandeiten soll weiter nichts besagen, als daß der gesamte Rechtsstoff in dieses Werk aufgenommen sei. Daneben, und schon vor den Pandekten, ver¬ faßte man eine Sammlung noch giltiger Konstitutionen römischer Kaiser von Hadrianus bis auf Justinianus, soweit man sie in Geltung lassen wollte, in dem sogenannten Ooäsx ^ustiniausus. Unter diesen Gesetzen befinden sich neben allgemeinen Vorschriften auch Entscheidungen einzelner Nechtsfälle durch die kaiserlichen Gerichte. Als Lehrmittel für die Rechtsbeflissenen wurde dann noch das kurzgefaßte Werk der lustitutiouss verfaßt. An diese drei Teile, welche alle nach Rechtssachen geordnet sind, schlossen sich später die erst nach der Vollendung jener Bücher erlassenen neuern Gesetze Justinians und späterer Kaiser, welche dann, teils in der griechischen Sprache, in der sie ursprünglich verfaßt waren, teils in lateinischer Übersetzung gesammelt und unter dem Namen Novellen dem ursprünglich nur aus Pandekten, Kodex und Institutionen be¬ stehenden, lateinisch abgefaßten Werke angefügt wurden. Der Name Oorxus Huris oder Oorvus Huris e-ivilis wurde erst sehr viel später von den Juristen in Italien, wo Justinianus nach der Wiedereroberung dieses Landes diese Ge¬ setze einführte, dem Gesamtwert beigelegt. Die Kenner des römischen Rechts, welche es daraus schöpften, nannte man Zivilisten, die des kanonischen Rechts Kanonisten. In Italien machten die Deutschen die Bekanntschaft des fremden Rechts. Hier fügten auch die Gelehrten des langobardischen Lehnrechts, die Feudisten, dem Werk die I.it>ri töuäoruiu, eine Sammlung des in der Lombardei geltenden Lehnrechts, zu. Das Lorxus Huris oivilis enthält in der Ausgabe der Gebrüder Kriegel etwa 2700 enggedruckte Großoktavseiten, die lutherische Bibelübersetzung umfaßt in den meisten Ausgaben noch nicht 1200 Kleinoktavseiten. Und das vorxus Huris wurde zusammengestellt und vervielfältigt in einer Zeit, welcher die Buch- druckerkunst vollständig unbekannt war. Über den Wert des römischen Rechts selbst, des Inhalts des vorxus Huris, kann ich mich hier nicht näher verbreiten, habe auch keine Veranlassung, gegenüber den Verunglimpfungen dieses hervor¬ ragenden Erzeugnisses menschlichen Geistes hier eine Lanze dafür zu brechen. Man darf jedenfalls, wenn man ein Urteil darüber fällt, die Thatsache des Aufkommens des römischen Nechtsstudiums unter den Deutschen nicht außer Acht lassen. Aus nichts kommt nichts. Ich meine, wenn den gebildeten Deutschen in Bologna eine Zuneigung zu diesem Studium erfaßte, und nur durch seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/162>, abgerufen am 17.09.2024.