Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Und immer wieder zur Schulreform. Welches sind nun im einzelnen die Wissenszweige, die in das Gebiet der Die Auswahl der eigentlichen Wissensgegenstände geschieht nach dem Grenzboten II. 1L87. ^
Und immer wieder zur Schulreform. Welches sind nun im einzelnen die Wissenszweige, die in das Gebiet der Die Auswahl der eigentlichen Wissensgegenstände geschieht nach dem Grenzboten II. 1L87. ^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288574"/> <fw type="header" place="top"> Und immer wieder zur Schulreform.</fw><lb/> <p xml:id="ID_340"> Welches sind nun im einzelnen die Wissenszweige, die in das Gebiet der<lb/> Schule fallen? Der Verfasser unterscheidet hier zunächst von den eigentlichen<lb/> Lehrgegenständen die sogenannten Lernwerkzeuge. Es sind dies die Mutter¬<lb/> sprache in logisch und grammatisch richtiger Anwendung; Lesen und Schreiben;<lb/> elementares Rechnen; elementares Zeichnen, soweit es befähigt, eine Anschauung<lb/> bildlich festzuhalten und mitzuteilen. Es sind dies in weiteren Sinne auch die<lb/> fremden Sprachen. Alle diese Gegenstände sind unbedingt notwendig zur Ver¬<lb/> mittlung der Kenntnis des wirklichen Verhaltens der Dinge, sie sind nur durch<lb/> eigne Anschauung und Übung zu lernen und zu beherrschen und deshalb vor<lb/> den eigentlichen Wissensgcgenständen anzueignen, beziehungsweise neben denselben<lb/> zu üben. Sie können zwar zu direkten Mitteln geistiger Ausbildung vertieft<lb/> werden, und werden, wie z. B. die Sprachen und das Rechnen, auf vorge¬<lb/> schrittener Stufe des Unterrichts in gewisser Beziehung auch als solche behan¬<lb/> delt werden müssen. Aber vorwiegend soll die Schule dieselben nur als Mittel<lb/> zum Zweck betrachten und ihre Aneignung auf empirischem Wege, durch Nach¬<lb/> ahmung und Übung bis zum Können bewerkstelligen.</p><lb/> <p xml:id="ID_341" next="#ID_342"> Die Auswahl der eigentlichen Wissensgegenstände geschieht nach dem<lb/> Grundsatz, daß der Bildungswert derselben wächst mit ihrer nähern und fällt<lb/> mit ihrer entfernter» Beziehung zum Menschen. Im Brennpunkte des Unter¬<lb/> richts stehen demnach die Geschehnisse im Leben, in der Umgebung, auf dem<lb/> irdischen Wohnort des Menschen, oder die Kulturgeschichte der Menschheit im<lb/> umfassendsten Sinne, mit allen ihren Ausstrahlungen und Hilfswissenschaften:<lb/> die allgemeine Naturlehre, die in der Beobachtung der Lebensbedingungen der<lb/> umgebenden Tier- und Pflanzenwelt ihren Ausgangspunkt und in der Gesund¬<lb/> heitslehre und der dnrch physikalische und chemische Kenntnisse begründeten Ein¬<lb/> sicht in die alltäglichen Vorgänge der Natur ihren Abschluß findet; die Geschichte<lb/> als Geschichte der menschlichen Kulturarbeit, die von der richtigen Auffassung<lb/> der Gegenwart zum Verständnis der Vergangenheit in anschaulichen Bildern<lb/> hervorragender Menschen und Zeiten mit möglichst geringer Berücksichtigung<lb/> der Daten fortschreitet; die Geographie, nicht als Erdbeschreibung, sondern als<lb/> Erdkunde, welche die durch Anschauung der nähern Umgebung gewonnenen<lb/> Grundbegriffe zum genauen Einblick in das allgemeine Verhalten der ganzen<lb/> Erdoberfläche erweitert; die Religion, nicht eine in der Zugrundelegung des<lb/> abstrakten Gottesbegriffes, im Widerspruch zwischen Überlieferung und Wirklich¬<lb/> keit unpädagogische, einseitige Ausbildung für eine bestimmte Konfession, sondern<lb/> eine praktische Moral, welche das unmittelbare Gefühl des Kindes von der<lb/> Notwendigkeit eines normalen Gegenseitigkeitsverhältnisses unter den Menschen<lb/> durchbildet zum lebendigen und klaren Bewußtsein seiner Stellung gegenüber<lb/> dem Ganzen — eine Moral, die den grundsätzlichen Zwiespalt zwischen der vom<lb/> Christentum geforderten bedingungslosen Selbstverleugnung und dem überall<lb/> auf Bethätigung des Ich dringenden wirklichen Leben nicht unnötig verstärkt</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1L87. ^</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
Und immer wieder zur Schulreform.
Welches sind nun im einzelnen die Wissenszweige, die in das Gebiet der
Schule fallen? Der Verfasser unterscheidet hier zunächst von den eigentlichen
Lehrgegenständen die sogenannten Lernwerkzeuge. Es sind dies die Mutter¬
sprache in logisch und grammatisch richtiger Anwendung; Lesen und Schreiben;
elementares Rechnen; elementares Zeichnen, soweit es befähigt, eine Anschauung
bildlich festzuhalten und mitzuteilen. Es sind dies in weiteren Sinne auch die
fremden Sprachen. Alle diese Gegenstände sind unbedingt notwendig zur Ver¬
mittlung der Kenntnis des wirklichen Verhaltens der Dinge, sie sind nur durch
eigne Anschauung und Übung zu lernen und zu beherrschen und deshalb vor
den eigentlichen Wissensgcgenständen anzueignen, beziehungsweise neben denselben
zu üben. Sie können zwar zu direkten Mitteln geistiger Ausbildung vertieft
werden, und werden, wie z. B. die Sprachen und das Rechnen, auf vorge¬
schrittener Stufe des Unterrichts in gewisser Beziehung auch als solche behan¬
delt werden müssen. Aber vorwiegend soll die Schule dieselben nur als Mittel
zum Zweck betrachten und ihre Aneignung auf empirischem Wege, durch Nach¬
ahmung und Übung bis zum Können bewerkstelligen.
Die Auswahl der eigentlichen Wissensgegenstände geschieht nach dem
Grundsatz, daß der Bildungswert derselben wächst mit ihrer nähern und fällt
mit ihrer entfernter» Beziehung zum Menschen. Im Brennpunkte des Unter¬
richts stehen demnach die Geschehnisse im Leben, in der Umgebung, auf dem
irdischen Wohnort des Menschen, oder die Kulturgeschichte der Menschheit im
umfassendsten Sinne, mit allen ihren Ausstrahlungen und Hilfswissenschaften:
die allgemeine Naturlehre, die in der Beobachtung der Lebensbedingungen der
umgebenden Tier- und Pflanzenwelt ihren Ausgangspunkt und in der Gesund¬
heitslehre und der dnrch physikalische und chemische Kenntnisse begründeten Ein¬
sicht in die alltäglichen Vorgänge der Natur ihren Abschluß findet; die Geschichte
als Geschichte der menschlichen Kulturarbeit, die von der richtigen Auffassung
der Gegenwart zum Verständnis der Vergangenheit in anschaulichen Bildern
hervorragender Menschen und Zeiten mit möglichst geringer Berücksichtigung
der Daten fortschreitet; die Geographie, nicht als Erdbeschreibung, sondern als
Erdkunde, welche die durch Anschauung der nähern Umgebung gewonnenen
Grundbegriffe zum genauen Einblick in das allgemeine Verhalten der ganzen
Erdoberfläche erweitert; die Religion, nicht eine in der Zugrundelegung des
abstrakten Gottesbegriffes, im Widerspruch zwischen Überlieferung und Wirklich¬
keit unpädagogische, einseitige Ausbildung für eine bestimmte Konfession, sondern
eine praktische Moral, welche das unmittelbare Gefühl des Kindes von der
Notwendigkeit eines normalen Gegenseitigkeitsverhältnisses unter den Menschen
durchbildet zum lebendigen und klaren Bewußtsein seiner Stellung gegenüber
dem Ganzen — eine Moral, die den grundsätzlichen Zwiespalt zwischen der vom
Christentum geforderten bedingungslosen Selbstverleugnung und dem überall
auf Bethätigung des Ich dringenden wirklichen Leben nicht unnötig verstärkt
Grenzboten II. 1L87. ^
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