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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

schlüpfrig geworden. Das Unglück wollte, daß der Vater ausglitt und mit der
ganzen Schwere seines Körpers auf den einen zurückgebogenen Fuß fiel. Es
knackte, als bräche man ein Bündel Späne. Die Verletzung des armen Vaters
war schwer und äußerst schmerzhaft. Dennoch richtete er sich nach und nach
wieder auf, brauchte uns Knaben als Krücken und schleppte sich so mühsam
nach Hause. Leider begegnete uus kein Mensch auf dem Wege, da es bald
wieder zu regnen begann. Zwar war die Strecke, die wir auf grasigen
Rainen zurückzulegen hatten, nur kurz, dennoch litt der Vater unsäglich, und
da er wiederholt ruhen mußte. um Kraft zu schöpfen, so verging eine be¬
trächtliche Zeit, ehe wir das Pastorat erreichten. Erst nach Stunden kam
chirurgische Hilfe, und der Vater mußte wochenlang das Bett hüten. Der
schlimme Knochenbruch ward um zwar glücklich geheilt, allein es blieb eine
Schwäche im Fuße zurück, die dem Vater zumeist auf seinen amtliche" Gängen,
wie bei dem langen Stehen auf der Kanzel wie vor dein Altar oft recht hinder¬
lich war. Bald gesellten sich gichtische Leiden dazu, deren energische Bekämp¬
fung geboten schien, wenn der Vater ungestört und gewissenhaft sein mühe¬
volles'Amt weiter verwalten sollte. Wiederholtes Drängen des Arztes ließ
ihn nach langem Widerstreben den Entschluß fassen, in den berühmten warmen
Quellen von Teplitz Heilung des lästigen Übels zu suchen.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts waren Badereisen noch nicht Mode ge¬
worden; wer eine solche unternehmen mußte. that es ungern und gewiß nur
notgedrungen. Und nun gar ein Beamter, ein Landgeistlicher, der bei sehr
mäßiger Jahreseinnahme. die überdies noch von dem Stande der Getreidepreise
abhing -- das Dezemgetreide bildete damals noch die Haupteinnahme der
Pastoren auf Bauerdörfern --. hatte sehr triftige Gründe, die Frage an sich zu
richten, ob er eine solche außergewöhnliche Ausgabe sich auch erlauben könne.

Geld hatte in meiner Jugend mindestens drei- bis viermal so viel Wert
als heutigen Tages. Wäre es anders gewesen, so hätten die meisten damaligen
Beamten' verhungern müssen. Entsprechend dem höheren Werte des Geldes
ging man sparsamer damit um als jetzt und erhielt auch mehr dafür. Selbst¬
verständlich kostete demnach auch eine Badereise nur etwa den vierten Teil
dessen, was ein sparsamer Mann heutigen Tages für eine solche aufwenden
dürfte.

Einmal entschlossen, das Opfer zu bringen, traf der Vater alle nötigen
Vorkehrungen mit Ruhe und Vorsicht. Zuerst sorgte er dafür, daß die^ Ge¬
meinde, die er für einige Wochen verlassen mußte, eines zuverlässigen Stell¬
vertreters nicht entbehre. Später ward der erforderliche Urlaub erwirkt und
zuletzt daran gedacht, wie sich die Reise nach dein so entlegenen Orte am bil¬
ligsten einrichten ließe. Allein konnte und wollte der Vater die Reise ins Bad
nicht antreten, da er sich uuter lauter wildfremden Menschen, losgerissen von
allen seinen Lieben, gar zu vereinsamt gefühlt hätte. Die Mutter konnte meiner


Zugenderinnerungen.

schlüpfrig geworden. Das Unglück wollte, daß der Vater ausglitt und mit der
ganzen Schwere seines Körpers auf den einen zurückgebogenen Fuß fiel. Es
knackte, als bräche man ein Bündel Späne. Die Verletzung des armen Vaters
war schwer und äußerst schmerzhaft. Dennoch richtete er sich nach und nach
wieder auf, brauchte uns Knaben als Krücken und schleppte sich so mühsam
nach Hause. Leider begegnete uus kein Mensch auf dem Wege, da es bald
wieder zu regnen begann. Zwar war die Strecke, die wir auf grasigen
Rainen zurückzulegen hatten, nur kurz, dennoch litt der Vater unsäglich, und
da er wiederholt ruhen mußte. um Kraft zu schöpfen, so verging eine be¬
trächtliche Zeit, ehe wir das Pastorat erreichten. Erst nach Stunden kam
chirurgische Hilfe, und der Vater mußte wochenlang das Bett hüten. Der
schlimme Knochenbruch ward um zwar glücklich geheilt, allein es blieb eine
Schwäche im Fuße zurück, die dem Vater zumeist auf seinen amtliche» Gängen,
wie bei dem langen Stehen auf der Kanzel wie vor dein Altar oft recht hinder¬
lich war. Bald gesellten sich gichtische Leiden dazu, deren energische Bekämp¬
fung geboten schien, wenn der Vater ungestört und gewissenhaft sein mühe¬
volles'Amt weiter verwalten sollte. Wiederholtes Drängen des Arztes ließ
ihn nach langem Widerstreben den Entschluß fassen, in den berühmten warmen
Quellen von Teplitz Heilung des lästigen Übels zu suchen.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts waren Badereisen noch nicht Mode ge¬
worden; wer eine solche unternehmen mußte. that es ungern und gewiß nur
notgedrungen. Und nun gar ein Beamter, ein Landgeistlicher, der bei sehr
mäßiger Jahreseinnahme. die überdies noch von dem Stande der Getreidepreise
abhing — das Dezemgetreide bildete damals noch die Haupteinnahme der
Pastoren auf Bauerdörfern —. hatte sehr triftige Gründe, die Frage an sich zu
richten, ob er eine solche außergewöhnliche Ausgabe sich auch erlauben könne.

Geld hatte in meiner Jugend mindestens drei- bis viermal so viel Wert
als heutigen Tages. Wäre es anders gewesen, so hätten die meisten damaligen
Beamten' verhungern müssen. Entsprechend dem höheren Werte des Geldes
ging man sparsamer damit um als jetzt und erhielt auch mehr dafür. Selbst¬
verständlich kostete demnach auch eine Badereise nur etwa den vierten Teil
dessen, was ein sparsamer Mann heutigen Tages für eine solche aufwenden
dürfte.

Einmal entschlossen, das Opfer zu bringen, traf der Vater alle nötigen
Vorkehrungen mit Ruhe und Vorsicht. Zuerst sorgte er dafür, daß die^ Ge¬
meinde, die er für einige Wochen verlassen mußte, eines zuverlässigen Stell¬
vertreters nicht entbehre. Später ward der erforderliche Urlaub erwirkt und
zuletzt daran gedacht, wie sich die Reise nach dein so entlegenen Orte am bil¬
ligsten einrichten ließe. Allein konnte und wollte der Vater die Reise ins Bad
nicht antreten, da er sich uuter lauter wildfremden Menschen, losgerissen von
allen seinen Lieben, gar zu vereinsamt gefühlt hätte. Die Mutter konnte meiner


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[0101] Zugenderinnerungen. schlüpfrig geworden. Das Unglück wollte, daß der Vater ausglitt und mit der ganzen Schwere seines Körpers auf den einen zurückgebogenen Fuß fiel. Es knackte, als bräche man ein Bündel Späne. Die Verletzung des armen Vaters war schwer und äußerst schmerzhaft. Dennoch richtete er sich nach und nach wieder auf, brauchte uns Knaben als Krücken und schleppte sich so mühsam nach Hause. Leider begegnete uus kein Mensch auf dem Wege, da es bald wieder zu regnen begann. Zwar war die Strecke, die wir auf grasigen Rainen zurückzulegen hatten, nur kurz, dennoch litt der Vater unsäglich, und da er wiederholt ruhen mußte. um Kraft zu schöpfen, so verging eine be¬ trächtliche Zeit, ehe wir das Pastorat erreichten. Erst nach Stunden kam chirurgische Hilfe, und der Vater mußte wochenlang das Bett hüten. Der schlimme Knochenbruch ward um zwar glücklich geheilt, allein es blieb eine Schwäche im Fuße zurück, die dem Vater zumeist auf seinen amtliche» Gängen, wie bei dem langen Stehen auf der Kanzel wie vor dein Altar oft recht hinder¬ lich war. Bald gesellten sich gichtische Leiden dazu, deren energische Bekämp¬ fung geboten schien, wenn der Vater ungestört und gewissenhaft sein mühe¬ volles'Amt weiter verwalten sollte. Wiederholtes Drängen des Arztes ließ ihn nach langem Widerstreben den Entschluß fassen, in den berühmten warmen Quellen von Teplitz Heilung des lästigen Übels zu suchen. Zu Anfang dieses Jahrhunderts waren Badereisen noch nicht Mode ge¬ worden; wer eine solche unternehmen mußte. that es ungern und gewiß nur notgedrungen. Und nun gar ein Beamter, ein Landgeistlicher, der bei sehr mäßiger Jahreseinnahme. die überdies noch von dem Stande der Getreidepreise abhing — das Dezemgetreide bildete damals noch die Haupteinnahme der Pastoren auf Bauerdörfern —. hatte sehr triftige Gründe, die Frage an sich zu richten, ob er eine solche außergewöhnliche Ausgabe sich auch erlauben könne. Geld hatte in meiner Jugend mindestens drei- bis viermal so viel Wert als heutigen Tages. Wäre es anders gewesen, so hätten die meisten damaligen Beamten' verhungern müssen. Entsprechend dem höheren Werte des Geldes ging man sparsamer damit um als jetzt und erhielt auch mehr dafür. Selbst¬ verständlich kostete demnach auch eine Badereise nur etwa den vierten Teil dessen, was ein sparsamer Mann heutigen Tages für eine solche aufwenden dürfte. Einmal entschlossen, das Opfer zu bringen, traf der Vater alle nötigen Vorkehrungen mit Ruhe und Vorsicht. Zuerst sorgte er dafür, daß die^ Ge¬ meinde, die er für einige Wochen verlassen mußte, eines zuverlässigen Stell¬ vertreters nicht entbehre. Später ward der erforderliche Urlaub erwirkt und zuletzt daran gedacht, wie sich die Reise nach dein so entlegenen Orte am bil¬ ligsten einrichten ließe. Allein konnte und wollte der Vater die Reise ins Bad nicht antreten, da er sich uuter lauter wildfremden Menschen, losgerissen von allen seinen Lieben, gar zu vereinsamt gefühlt hätte. Die Mutter konnte meiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/101>, abgerufen am 17.09.2024.