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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Lin Jubiläum.

gründe der Ministerkombination spielt sich wieder die Figur des Herrn von Bis
marck auf. Wer ist dieser Herr von Bismarck? Er war, als er seine Laufbahn
begann, ein Landedelmann von mäßiger politischer Bildung, dem mit der büreau-
kratischen Pedanterie auch die bttreaukratische Routine fehlte, dessen Einsicht und
Kenntnisse sich nicht über das erhoben, was das Gemeingut aller Gebildeten ist.
Den Höhepunkt seines parlamentarischen Ruhmes erreichte er in der Nevisions-
kammcr von 1349 und im Unionsparlamente von 1850. Aber welche seiner
Reden hätte einen Hauch auszuweisen von der dialektischen Schärfe eines Stahl,
von dem Feuereifer Kleist-Retzows, von dem Reichtum an geistreichen Einfällen
eines Gerlach, von der doktrinären Gründlichkeit eines Wagener? Er trat
schroff und rücksichtslos auf, nonchalant bis zur Frivolität, mitunter witzig bis
zur Derbheit, aber wann hätte er einen politischen Gedanken geäußert! Er hat
sich in Frankfurt Kenntnis in der diplomatischen Zeremonie erworben und in
Se. Petersburg und Paris iutriguireuden Prinzessinnen ihre Geheimnisse ab¬
gelauscht; aber die saure Arbeit der täglichen Verwaltungsgeschäfte ist ihm
fremd, den klaren Einblick in das Getriebe des Staates in allen seinen Einzel¬
heiten hat er sich nirgendwo erwerben können. Ihm gegenüber wird sich das
Wort des Herrn von Schleinitz bewähren, daß die Politik eine sehr positive
Kunst ist." Wer lächelte jetzt nicht über diese Urteile und Weissagungen. Aber
auch gescheitere Leute als der kleine Bogenschütze, der für Herrn von Niucke
solche kritische Fitschepfeile verschoß, berühmte "Volkspolitiker," Parlamentarier
erster Güte, solche, die sogar nebenher Professoren und große Lichter der Wissen¬
schaft waren, dachten noch geraume Zeit sehr gering von dem Ministerpräsidenten,
und erst das Jahr 1866 riß ihnen das Bret von der Stirn -- nicht doch,
die Binde oder die trübe Parteibrille von den Augen. 1863, als im Ab-
geordnetenhause von der auswärtigen Politik der Negierung in der hessischen
Frage und von dem Delegirtenprojekt die Rede war, kam über den Vvlksbotc"
Schulze-Delitzsch der Geist der Prophezeiung und er sagte: "Wenn das jetzige
Ministerium den Ruf erschallen ließe -- es wird es nicht thun, es befindet sich
gar nicht in der Möglichkeit dazu, ich gebe hier nur die hypothetische Annahme --,
so würde sich bei dem von ihm berufenen deutschen Parlamente niemand ein-
finden." Cvllega von Sybel ließ sich bei derselben Gelegenheit vernehmen:
"Eine preußische Negierung, die deu geschichtliche" Aufgaben ihres Staates im
neunzehnten Jahrhundert gewachsen sein soll, muß es verstehen, allen realen
Bedürfnissen und Wünschen des preußischen Volkes zu genügen und zu gleicher
Zeit mit Initiative und vorausschauender Energie die Wünsche des Volkes durch
Aufstecken großer und idealer Ziele um ihr eignes Banner zu versammeln. Ich
weiß wohl, man soll solche Anforderungen nicht zum Maßstabe von einzelnen
Ministerien machen; denn es giebt keinen Sterblichen, der sie vollständig erfüllte.
Aber das können wir erwarten, das begehren, daß nicht gerade das Gegenteil
von solchen Tendenzen unsre Regierung erfülle." Der Abgeordnete von Ccirlowitz


Lin Jubiläum.

gründe der Ministerkombination spielt sich wieder die Figur des Herrn von Bis
marck auf. Wer ist dieser Herr von Bismarck? Er war, als er seine Laufbahn
begann, ein Landedelmann von mäßiger politischer Bildung, dem mit der büreau-
kratischen Pedanterie auch die bttreaukratische Routine fehlte, dessen Einsicht und
Kenntnisse sich nicht über das erhoben, was das Gemeingut aller Gebildeten ist.
Den Höhepunkt seines parlamentarischen Ruhmes erreichte er in der Nevisions-
kammcr von 1349 und im Unionsparlamente von 1850. Aber welche seiner
Reden hätte einen Hauch auszuweisen von der dialektischen Schärfe eines Stahl,
von dem Feuereifer Kleist-Retzows, von dem Reichtum an geistreichen Einfällen
eines Gerlach, von der doktrinären Gründlichkeit eines Wagener? Er trat
schroff und rücksichtslos auf, nonchalant bis zur Frivolität, mitunter witzig bis
zur Derbheit, aber wann hätte er einen politischen Gedanken geäußert! Er hat
sich in Frankfurt Kenntnis in der diplomatischen Zeremonie erworben und in
Se. Petersburg und Paris iutriguireuden Prinzessinnen ihre Geheimnisse ab¬
gelauscht; aber die saure Arbeit der täglichen Verwaltungsgeschäfte ist ihm
fremd, den klaren Einblick in das Getriebe des Staates in allen seinen Einzel¬
heiten hat er sich nirgendwo erwerben können. Ihm gegenüber wird sich das
Wort des Herrn von Schleinitz bewähren, daß die Politik eine sehr positive
Kunst ist." Wer lächelte jetzt nicht über diese Urteile und Weissagungen. Aber
auch gescheitere Leute als der kleine Bogenschütze, der für Herrn von Niucke
solche kritische Fitschepfeile verschoß, berühmte „Volkspolitiker," Parlamentarier
erster Güte, solche, die sogar nebenher Professoren und große Lichter der Wissen¬
schaft waren, dachten noch geraume Zeit sehr gering von dem Ministerpräsidenten,
und erst das Jahr 1866 riß ihnen das Bret von der Stirn — nicht doch,
die Binde oder die trübe Parteibrille von den Augen. 1863, als im Ab-
geordnetenhause von der auswärtigen Politik der Negierung in der hessischen
Frage und von dem Delegirtenprojekt die Rede war, kam über den Vvlksbotc»
Schulze-Delitzsch der Geist der Prophezeiung und er sagte: „Wenn das jetzige
Ministerium den Ruf erschallen ließe — es wird es nicht thun, es befindet sich
gar nicht in der Möglichkeit dazu, ich gebe hier nur die hypothetische Annahme —,
so würde sich bei dem von ihm berufenen deutschen Parlamente niemand ein-
finden." Cvllega von Sybel ließ sich bei derselben Gelegenheit vernehmen:
„Eine preußische Negierung, die deu geschichtliche« Aufgaben ihres Staates im
neunzehnten Jahrhundert gewachsen sein soll, muß es verstehen, allen realen
Bedürfnissen und Wünschen des preußischen Volkes zu genügen und zu gleicher
Zeit mit Initiative und vorausschauender Energie die Wünsche des Volkes durch
Aufstecken großer und idealer Ziele um ihr eignes Banner zu versammeln. Ich
weiß wohl, man soll solche Anforderungen nicht zum Maßstabe von einzelnen
Ministerien machen; denn es giebt keinen Sterblichen, der sie vollständig erfüllte.
Aber das können wir erwarten, das begehren, daß nicht gerade das Gegenteil
von solchen Tendenzen unsre Regierung erfülle." Der Abgeordnete von Ccirlowitz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/71>, abgerufen am 22.07.2024.