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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Ein Jubiläum.

in einem Schreiben an dieselbe Dame, das vom 7. März datirt ist, begegnen
wir der Stelle: "Prinzliche Briefe sprachen von Schleinitzens Rücktritt und
meiner Nachfolge. Ich glaube nicht, daß es die Absicht ist, würde aber ab¬
lehnen, wenn's wäre. Abgesehen von allen politischen Unzuträglichkeiten, fühle
ich mich nicht wohl genug für so viel Aufregung und Arbeit." Indes reiste
Bismarck schon einige Wochen darauf nach Berlin ab, wo mit ihm über seine
Übernahme der Minifterprüsidentschaft verhandelt wurde. Noch immer war es
jedoch nicht so weit, und erst am 15. September wurde ihm, der inzwischen als
Gesandter nach Paris gegangen war, ein Telegramm aus dem Kabinet des
Königs übergeben, das ihn nach Berlin berief. Am 20. traf er hier ein, um
das ihm jetzt in aller Form angebotene Amt bedingungslos anzunehmen, worauf
ihm am 23. der Borsitz im Staatsministerium dnrch Kabinetsorde interimistisch
übertragen wurde. Seine Bereitwilligkeit hatte nicht gewöhnlichen Mut erfordert.
Seine Hingebung an den König, sein Vertrauen auf die Gerechtigkeit von dessen
Sache, der Gedanke an das, was er, Bismarck, für Preußen und die ganze
deutsche Nation vor hatte und in solcher Stellung ausführen konnte, zuletzt,
aber nicht am wenigsten, sei" Kraftgcftthl, das Bewußtsein, auch großen Schwierig-
keiten gewachsen zu sein, gab ihm diesen Mut. Er hatte so gut wie keine Partei
für sich, weder in der Volksvertretung noch im Beamtentnm, das in seinen
obern Sphären noch dem Glauben der "neuen Ära," in seinen niederen meist
der Fortschrittspartei angehörte. Diese trat im Hinblick auf ihre starke An¬
hängerschaft und anf ihre bisherigen Erfolge in der Opposition mit größter
Siegesgewißheit, Anmaßung und Unbeugsamkeit auf, zumal da sie den neuen
Mann am Steuer nur als "burschikosen Junker" und "hohlen Renommisten"
ansehen und folglich gering achten zu dürfen meinte. Die Altliberalen waren
dnrch ihre große Wahlniederlage in der Kammer zu einem so geringen Häuflein
zusammengeschmolzen, daß ihre Unterstützung hier wenig bedeutet hätte; diese
Unterstützung war aber nicht einmal zu erwarten, da sie die Geringschätzung,
welche "Jung-Litauen" vor dem neuen Ministerpräsidenten empfand, teilten
und überdies in wichtigen Beziehungen mit den Radikalen an einem Strange
zogen. Endlich war auch anf die Konservativen nicht recht zu bauen; denn sie
waren durch den Wind der "neuen Ära" wie weggeblasen aus der zweiten
Kammer und nnr noch im Herrenhause und durch die Kreuzzeitung mächtig
und zerfielen in zwei Gruppen, von welchen die eine, an Staatsstreich und Ver¬
fassungsbruch denkend und Österreich eifrig zugethan, Bismarck nur zur Nieder¬
werfung der Opposition und als eine Art Brecheisen gegenüber dein konstitutionellen
System verwenden, dann aber als halben Ketzer beseitigt sehen wollte. Als ein
sehr komisches Beispiel für die Art, wie die Altliberalen über Bismarck damals
urteilten, mag eine Charakteristik desselben folgen, die etwa acht Tage vor seiner
Ernennung in der "Berliner Allgemeinen Zeitung," dem Organ dieser ver¬
welkten Partei, zu lesen war und folgende Weisheit ersließen ließ: "Im Vorder-


Ein Jubiläum.

in einem Schreiben an dieselbe Dame, das vom 7. März datirt ist, begegnen
wir der Stelle: „Prinzliche Briefe sprachen von Schleinitzens Rücktritt und
meiner Nachfolge. Ich glaube nicht, daß es die Absicht ist, würde aber ab¬
lehnen, wenn's wäre. Abgesehen von allen politischen Unzuträglichkeiten, fühle
ich mich nicht wohl genug für so viel Aufregung und Arbeit." Indes reiste
Bismarck schon einige Wochen darauf nach Berlin ab, wo mit ihm über seine
Übernahme der Minifterprüsidentschaft verhandelt wurde. Noch immer war es
jedoch nicht so weit, und erst am 15. September wurde ihm, der inzwischen als
Gesandter nach Paris gegangen war, ein Telegramm aus dem Kabinet des
Königs übergeben, das ihn nach Berlin berief. Am 20. traf er hier ein, um
das ihm jetzt in aller Form angebotene Amt bedingungslos anzunehmen, worauf
ihm am 23. der Borsitz im Staatsministerium dnrch Kabinetsorde interimistisch
übertragen wurde. Seine Bereitwilligkeit hatte nicht gewöhnlichen Mut erfordert.
Seine Hingebung an den König, sein Vertrauen auf die Gerechtigkeit von dessen
Sache, der Gedanke an das, was er, Bismarck, für Preußen und die ganze
deutsche Nation vor hatte und in solcher Stellung ausführen konnte, zuletzt,
aber nicht am wenigsten, sei» Kraftgcftthl, das Bewußtsein, auch großen Schwierig-
keiten gewachsen zu sein, gab ihm diesen Mut. Er hatte so gut wie keine Partei
für sich, weder in der Volksvertretung noch im Beamtentnm, das in seinen
obern Sphären noch dem Glauben der „neuen Ära," in seinen niederen meist
der Fortschrittspartei angehörte. Diese trat im Hinblick auf ihre starke An¬
hängerschaft und anf ihre bisherigen Erfolge in der Opposition mit größter
Siegesgewißheit, Anmaßung und Unbeugsamkeit auf, zumal da sie den neuen
Mann am Steuer nur als „burschikosen Junker" und „hohlen Renommisten"
ansehen und folglich gering achten zu dürfen meinte. Die Altliberalen waren
dnrch ihre große Wahlniederlage in der Kammer zu einem so geringen Häuflein
zusammengeschmolzen, daß ihre Unterstützung hier wenig bedeutet hätte; diese
Unterstützung war aber nicht einmal zu erwarten, da sie die Geringschätzung,
welche „Jung-Litauen" vor dem neuen Ministerpräsidenten empfand, teilten
und überdies in wichtigen Beziehungen mit den Radikalen an einem Strange
zogen. Endlich war auch anf die Konservativen nicht recht zu bauen; denn sie
waren durch den Wind der „neuen Ära" wie weggeblasen aus der zweiten
Kammer und nnr noch im Herrenhause und durch die Kreuzzeitung mächtig
und zerfielen in zwei Gruppen, von welchen die eine, an Staatsstreich und Ver¬
fassungsbruch denkend und Österreich eifrig zugethan, Bismarck nur zur Nieder¬
werfung der Opposition und als eine Art Brecheisen gegenüber dein konstitutionellen
System verwenden, dann aber als halben Ketzer beseitigt sehen wollte. Als ein
sehr komisches Beispiel für die Art, wie die Altliberalen über Bismarck damals
urteilten, mag eine Charakteristik desselben folgen, die etwa acht Tage vor seiner
Ernennung in der „Berliner Allgemeinen Zeitung," dem Organ dieser ver¬
welkten Partei, zu lesen war und folgende Weisheit ersließen ließ: „Im Vorder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/70>, abgerufen am 22.07.2024.