Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin Jubiläum.

erklärte: "Ich bin der Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik auch unternehmen möge, jede seiner Unter¬
nehmungen von vornherein mit Unfruchtbarkeit werde geschlagen sein." Bei
der Verhandlung über die Konvention, die 1863 mit Nußland abgeschlossen
worden war, sagte der Abgeordnete Simson, nachdem er den Ministerpräsidenten
mit Don Quixote verglichen hatte: "Ich verlange nicht, daß eine Negierung
allezeit den kühnen Flug des Genies einzuhalten imstande sei. Mehr gerecht¬
fertigt wäre schon die mildere Forderung, daß sie deu ruhigen, sicheren Gang
des Talents und der Erfahrung zu gehen verstünde. Aber in jedem Falle
wird die Bewunderung dafür, daß jemand nicht fällt, die, welche man ja
jedem Seiltänzer hätte zuwenden müssen, eine Bewunderung sein, nach der nicht
jedermanns Gaumen und Appetit stünde." Sybel meinte bei dieser Debatte,
nachdem er "am Ministertische einen Mann von weitblickender Einsicht und
einem Herzen für die Gerechtigkeit" vermißt und angedeutet hatte, das Mini¬
sterium hätte den Polen die Hand zur Wiederherstellung ihres Reiches bieten
müssen: "Aber wen Gott verderben will, den verblendet er. Das Herz unsers
Ministeriums scheint leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung
zu hängen, und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst wie ihr
Verfassungsleben zur Glorie der polizeilichen Chikane zusammen." Weiterhin
gab der Redner wieder ein paar Prophezeiungen von sich, z. B. "die Über¬
zeugung, daß dieses Ministerium an keiner Stelle Lorber ernten werde," und
sein "Durchdruugeusein von der Wahrheit, daß unter diesen Führern die Nieder¬
lage überall die unvermeidliche Folge sein müsse." Bei einer Debatte, die im
Januar 1864 über die Politik Preußens in der Schleswig-holsteinischen Frage
stattfand, äußerte der Berichterstatter Aßmann über Vismarck: "Unsre Ansicht
von seiner Gesinnung sowohl wie von seiner Befähigung giebt uns keinen
Anhalt, der weitern Entwicklung einer Aktion mit Zuversicht entgegenzusehen,
die wir in ihren bisherigen Schritten als verderblich erkennen müssen. . . Soll
durch die Bismarcksche Politik die deutsche Großmacht Preußen zum Feinde
Deutschlands gemacht werden, soll ein deutscher Bruderkrieg entbrennen, bloß
weil Preußen das Schicksal hat, von Herrn von Bismarck regiert zu werden,
dann muß auch die letzte Rücksicht schwinden, die wir gegen dieses Ministerium
zu nehmen etwa verpflichtet wären. Wir wissen ja schon längst, daß Preußen
in den Händen dieses Ministeriums zur Ohnmacht oder zum Selbstmord ver¬
urteilt ist." Noch als 1865 in Schleswig-Holstein ein bedeutender Erfolg
errungen war, hielt der Abgeordnete Virchow den Ministerpräsidenten für
einen ungeschickten, unsteten und ängstlichen Politiker, der nur Glück gehabt
hätte. Am 2. Juni erklärte er, "aus dem Studium der Dokumente die Über¬
zeugung gewonnen zu haben, daß selten in einer großen Krisis ein leitender
Staatsmann solche Sprünge gemacht habe, wie er, und daß, wenn es ihm
gelungen sei, ein gewisses anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er, der Herr


Gin Jubiläum.

erklärte: „Ich bin der Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik auch unternehmen möge, jede seiner Unter¬
nehmungen von vornherein mit Unfruchtbarkeit werde geschlagen sein." Bei
der Verhandlung über die Konvention, die 1863 mit Nußland abgeschlossen
worden war, sagte der Abgeordnete Simson, nachdem er den Ministerpräsidenten
mit Don Quixote verglichen hatte: „Ich verlange nicht, daß eine Negierung
allezeit den kühnen Flug des Genies einzuhalten imstande sei. Mehr gerecht¬
fertigt wäre schon die mildere Forderung, daß sie deu ruhigen, sicheren Gang
des Talents und der Erfahrung zu gehen verstünde. Aber in jedem Falle
wird die Bewunderung dafür, daß jemand nicht fällt, die, welche man ja
jedem Seiltänzer hätte zuwenden müssen, eine Bewunderung sein, nach der nicht
jedermanns Gaumen und Appetit stünde." Sybel meinte bei dieser Debatte,
nachdem er „am Ministertische einen Mann von weitblickender Einsicht und
einem Herzen für die Gerechtigkeit" vermißt und angedeutet hatte, das Mini¬
sterium hätte den Polen die Hand zur Wiederherstellung ihres Reiches bieten
müssen: „Aber wen Gott verderben will, den verblendet er. Das Herz unsers
Ministeriums scheint leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung
zu hängen, und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst wie ihr
Verfassungsleben zur Glorie der polizeilichen Chikane zusammen." Weiterhin
gab der Redner wieder ein paar Prophezeiungen von sich, z. B. „die Über¬
zeugung, daß dieses Ministerium an keiner Stelle Lorber ernten werde," und
sein „Durchdruugeusein von der Wahrheit, daß unter diesen Führern die Nieder¬
lage überall die unvermeidliche Folge sein müsse." Bei einer Debatte, die im
Januar 1864 über die Politik Preußens in der Schleswig-holsteinischen Frage
stattfand, äußerte der Berichterstatter Aßmann über Vismarck: „Unsre Ansicht
von seiner Gesinnung sowohl wie von seiner Befähigung giebt uns keinen
Anhalt, der weitern Entwicklung einer Aktion mit Zuversicht entgegenzusehen,
die wir in ihren bisherigen Schritten als verderblich erkennen müssen. . . Soll
durch die Bismarcksche Politik die deutsche Großmacht Preußen zum Feinde
Deutschlands gemacht werden, soll ein deutscher Bruderkrieg entbrennen, bloß
weil Preußen das Schicksal hat, von Herrn von Bismarck regiert zu werden,
dann muß auch die letzte Rücksicht schwinden, die wir gegen dieses Ministerium
zu nehmen etwa verpflichtet wären. Wir wissen ja schon längst, daß Preußen
in den Händen dieses Ministeriums zur Ohnmacht oder zum Selbstmord ver¬
urteilt ist." Noch als 1865 in Schleswig-Holstein ein bedeutender Erfolg
errungen war, hielt der Abgeordnete Virchow den Ministerpräsidenten für
einen ungeschickten, unsteten und ängstlichen Politiker, der nur Glück gehabt
hätte. Am 2. Juni erklärte er, „aus dem Studium der Dokumente die Über¬
zeugung gewonnen zu haben, daß selten in einer großen Krisis ein leitender
Staatsmann solche Sprünge gemacht habe, wie er, und daß, wenn es ihm
gelungen sei, ein gewisses anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er, der Herr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201501"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin Jubiläum.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_140" prev="#ID_139" next="#ID_141"> erklärte: &#x201E;Ich bin der Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem<lb/>
Gebiete der auswärtigen Politik auch unternehmen möge, jede seiner Unter¬<lb/>
nehmungen von vornherein mit Unfruchtbarkeit werde geschlagen sein." Bei<lb/>
der Verhandlung über die Konvention, die 1863 mit Nußland abgeschlossen<lb/>
worden war, sagte der Abgeordnete Simson, nachdem er den Ministerpräsidenten<lb/>
mit Don Quixote verglichen hatte: &#x201E;Ich verlange nicht, daß eine Negierung<lb/>
allezeit den kühnen Flug des Genies einzuhalten imstande sei. Mehr gerecht¬<lb/>
fertigt wäre schon die mildere Forderung, daß sie deu ruhigen, sicheren Gang<lb/>
des Talents und der Erfahrung zu gehen verstünde. Aber in jedem Falle<lb/>
wird die Bewunderung dafür, daß jemand nicht fällt, die, welche man ja<lb/>
jedem Seiltänzer hätte zuwenden müssen, eine Bewunderung sein, nach der nicht<lb/>
jedermanns Gaumen und Appetit stünde." Sybel meinte bei dieser Debatte,<lb/>
nachdem er &#x201E;am Ministertische einen Mann von weitblickender Einsicht und<lb/>
einem Herzen für die Gerechtigkeit" vermißt und angedeutet hatte, das Mini¬<lb/>
sterium hätte den Polen die Hand zur Wiederherstellung ihres Reiches bieten<lb/>
müssen: &#x201E;Aber wen Gott verderben will, den verblendet er. Das Herz unsers<lb/>
Ministeriums scheint leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung<lb/>
zu hängen, und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst wie ihr<lb/>
Verfassungsleben zur Glorie der polizeilichen Chikane zusammen." Weiterhin<lb/>
gab der Redner wieder ein paar Prophezeiungen von sich, z. B. &#x201E;die Über¬<lb/>
zeugung, daß dieses Ministerium an keiner Stelle Lorber ernten werde," und<lb/>
sein &#x201E;Durchdruugeusein von der Wahrheit, daß unter diesen Führern die Nieder¬<lb/>
lage überall die unvermeidliche Folge sein müsse." Bei einer Debatte, die im<lb/>
Januar 1864 über die Politik Preußens in der Schleswig-holsteinischen Frage<lb/>
stattfand, äußerte der Berichterstatter Aßmann über Vismarck: &#x201E;Unsre Ansicht<lb/>
von seiner Gesinnung sowohl wie von seiner Befähigung giebt uns keinen<lb/>
Anhalt, der weitern Entwicklung einer Aktion mit Zuversicht entgegenzusehen,<lb/>
die wir in ihren bisherigen Schritten als verderblich erkennen müssen. . . Soll<lb/>
durch die Bismarcksche Politik die deutsche Großmacht Preußen zum Feinde<lb/>
Deutschlands gemacht werden, soll ein deutscher Bruderkrieg entbrennen, bloß<lb/>
weil Preußen das Schicksal hat, von Herrn von Bismarck regiert zu werden,<lb/>
dann muß auch die letzte Rücksicht schwinden, die wir gegen dieses Ministerium<lb/>
zu nehmen etwa verpflichtet wären. Wir wissen ja schon längst, daß Preußen<lb/>
in den Händen dieses Ministeriums zur Ohnmacht oder zum Selbstmord ver¬<lb/>
urteilt ist." Noch als 1865 in Schleswig-Holstein ein bedeutender Erfolg<lb/>
errungen war, hielt der Abgeordnete Virchow den Ministerpräsidenten für<lb/>
einen ungeschickten, unsteten und ängstlichen Politiker, der nur Glück gehabt<lb/>
hätte. Am 2. Juni erklärte er, &#x201E;aus dem Studium der Dokumente die Über¬<lb/>
zeugung gewonnen zu haben, daß selten in einer großen Krisis ein leitender<lb/>
Staatsmann solche Sprünge gemacht habe, wie er, und daß, wenn es ihm<lb/>
gelungen sei, ein gewisses anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er, der Herr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] Gin Jubiläum. erklärte: „Ich bin der Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik auch unternehmen möge, jede seiner Unter¬ nehmungen von vornherein mit Unfruchtbarkeit werde geschlagen sein." Bei der Verhandlung über die Konvention, die 1863 mit Nußland abgeschlossen worden war, sagte der Abgeordnete Simson, nachdem er den Ministerpräsidenten mit Don Quixote verglichen hatte: „Ich verlange nicht, daß eine Negierung allezeit den kühnen Flug des Genies einzuhalten imstande sei. Mehr gerecht¬ fertigt wäre schon die mildere Forderung, daß sie deu ruhigen, sicheren Gang des Talents und der Erfahrung zu gehen verstünde. Aber in jedem Falle wird die Bewunderung dafür, daß jemand nicht fällt, die, welche man ja jedem Seiltänzer hätte zuwenden müssen, eine Bewunderung sein, nach der nicht jedermanns Gaumen und Appetit stünde." Sybel meinte bei dieser Debatte, nachdem er „am Ministertische einen Mann von weitblickender Einsicht und einem Herzen für die Gerechtigkeit" vermißt und angedeutet hatte, das Mini¬ sterium hätte den Polen die Hand zur Wiederherstellung ihres Reiches bieten müssen: „Aber wen Gott verderben will, den verblendet er. Das Herz unsers Ministeriums scheint leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung zu hängen, und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst wie ihr Verfassungsleben zur Glorie der polizeilichen Chikane zusammen." Weiterhin gab der Redner wieder ein paar Prophezeiungen von sich, z. B. „die Über¬ zeugung, daß dieses Ministerium an keiner Stelle Lorber ernten werde," und sein „Durchdruugeusein von der Wahrheit, daß unter diesen Führern die Nieder¬ lage überall die unvermeidliche Folge sein müsse." Bei einer Debatte, die im Januar 1864 über die Politik Preußens in der Schleswig-holsteinischen Frage stattfand, äußerte der Berichterstatter Aßmann über Vismarck: „Unsre Ansicht von seiner Gesinnung sowohl wie von seiner Befähigung giebt uns keinen Anhalt, der weitern Entwicklung einer Aktion mit Zuversicht entgegenzusehen, die wir in ihren bisherigen Schritten als verderblich erkennen müssen. . . Soll durch die Bismarcksche Politik die deutsche Großmacht Preußen zum Feinde Deutschlands gemacht werden, soll ein deutscher Bruderkrieg entbrennen, bloß weil Preußen das Schicksal hat, von Herrn von Bismarck regiert zu werden, dann muß auch die letzte Rücksicht schwinden, die wir gegen dieses Ministerium zu nehmen etwa verpflichtet wären. Wir wissen ja schon längst, daß Preußen in den Händen dieses Ministeriums zur Ohnmacht oder zum Selbstmord ver¬ urteilt ist." Noch als 1865 in Schleswig-Holstein ein bedeutender Erfolg errungen war, hielt der Abgeordnete Virchow den Ministerpräsidenten für einen ungeschickten, unsteten und ängstlichen Politiker, der nur Glück gehabt hätte. Am 2. Juni erklärte er, „aus dem Studium der Dokumente die Über¬ zeugung gewonnen zu haben, daß selten in einer großen Krisis ein leitender Staatsmann solche Sprünge gemacht habe, wie er, und daß, wenn es ihm gelungen sei, ein gewisses anerkennenswertes Resultat zu erreichen, er, der Herr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/72>, abgerufen am 22.07.2024.