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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Mit der Diogeneslaterne.
Wohin mein Fuß mich trug,
Dort sproßten Blumen auf;
Frau Nachtigall sang süß
In meinem Liebesgarten.
Froh nahte Paar ans Paar.
Man haschte sich im Lauf,
Man lugte aus dem Busch,
Um Küsse zu erwarten.
Und wieder scholl es her: Weh jedem Liebesschwur,
Da sie sich Selbstzweck ist, betrügt uns die Natur.
Auch sprudelte ein (ZZuell
In meinem Wundersam.
Gs war des Wissens Born,
Den alte Sagen nennen.
Sein Rauschen machte kund
Der Dinge co'ges Sein,
Gin Trunk gab Weihekrast
Zu ernstem Selbsterkennen.
Jetzt sprach es noch einmal: Du lässest Wahrheit schaun
Und wandelst Menschenglück in Tod und Nacht und Graun.
Wer bist du? rief ich nun,
Gesell, der stets verneint,
Der bitter höhnend warnt,
Die Menschheit zu beglückenI
Ich sah ergrimmt mich um.
Da schaut ich meinen Feind
Und sah -- o Gott, so schwer
Vermag der Alp zu drücken --
Sah vor mir einen Kerl, sokratisch seltsamlich,
Aurz, stämmig, Trotz im Blick: es war mein eignes Ich.



Grenzboten IV. 1887.81
Mit der Diogeneslaterne.
Wohin mein Fuß mich trug,
Dort sproßten Blumen auf;
Frau Nachtigall sang süß
In meinem Liebesgarten.
Froh nahte Paar ans Paar.
Man haschte sich im Lauf,
Man lugte aus dem Busch,
Um Küsse zu erwarten.
Und wieder scholl es her: Weh jedem Liebesschwur,
Da sie sich Selbstzweck ist, betrügt uns die Natur.
Auch sprudelte ein (ZZuell
In meinem Wundersam.
Gs war des Wissens Born,
Den alte Sagen nennen.
Sein Rauschen machte kund
Der Dinge co'ges Sein,
Gin Trunk gab Weihekrast
Zu ernstem Selbsterkennen.
Jetzt sprach es noch einmal: Du lässest Wahrheit schaun
Und wandelst Menschenglück in Tod und Nacht und Graun.
Wer bist du? rief ich nun,
Gesell, der stets verneint,
Der bitter höhnend warnt,
Die Menschheit zu beglückenI
Ich sah ergrimmt mich um.
Da schaut ich meinen Feind
Und sah — o Gott, so schwer
Vermag der Alp zu drücken —
Sah vor mir einen Kerl, sokratisch seltsamlich,
Aurz, stämmig, Trotz im Blick: es war mein eignes Ich.



Grenzboten IV. 1887.81
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[0649] Mit der Diogeneslaterne. Wohin mein Fuß mich trug, Dort sproßten Blumen auf; Frau Nachtigall sang süß In meinem Liebesgarten. Froh nahte Paar ans Paar. Man haschte sich im Lauf, Man lugte aus dem Busch, Um Küsse zu erwarten. Und wieder scholl es her: Weh jedem Liebesschwur, Da sie sich Selbstzweck ist, betrügt uns die Natur. Auch sprudelte ein (ZZuell In meinem Wundersam. Gs war des Wissens Born, Den alte Sagen nennen. Sein Rauschen machte kund Der Dinge co'ges Sein, Gin Trunk gab Weihekrast Zu ernstem Selbsterkennen. Jetzt sprach es noch einmal: Du lässest Wahrheit schaun Und wandelst Menschenglück in Tod und Nacht und Graun. Wer bist du? rief ich nun, Gesell, der stets verneint, Der bitter höhnend warnt, Die Menschheit zu beglückenI Ich sah ergrimmt mich um. Da schaut ich meinen Feind Und sah — o Gott, so schwer Vermag der Alp zu drücken — Sah vor mir einen Kerl, sokratisch seltsamlich, Aurz, stämmig, Trotz im Blick: es war mein eignes Ich. Grenzboten IV. 1887.81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/649>, abgerufen am 25.08.2024.