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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

hätte, ihm durch Widerstand unbequem zu werden, oder dessen Beseitigung die
wirklichen oder vermeintlichen Interessen des neuen Weltreiches und seines Be¬
herrschers verlangten. Daß er so handelte, dafür giebt den besten Beweis jene
oben schon erwähnte Annexion von ganz Nordwestdeutschland. So lange er die
Macht hatte, so zu handeln, konnten sich also seine "Alliirten" niemals von
der heimlichen Angst los machen, daß ihre meist ziemlich wackligen Throne und
ihre Kronen von Flittergold durch den Machtspruch desjenigen, der sie verliehen
hatte, ihnen auch ebenso rasch genommen werden könnten, daß einmal plötzlich
über Nacht ihre neuen "Reiche" von der Landkarte verschwinden könnten.
Diese Angst trieb sie ein, bei der Sache des Imperators auszuhalten, als seine
Willkürherrschaft schon ganz unerträglich geworden war, und als sie sür ihre
Selbstsucht nicht das geringste mehr zu hoffen hatten. Solange diese Angst vor
der Übermacht des Gewaltigen und Gewaltthätigen nicht von ihnen wich, wichen
auch sie nicht von ihrem Protektor; als aber der Glaube an seine Unüber¬
windlichkeit zu wanken anfing, da geriet auch sofort der ganze Rheinbund ins
Wanken.

Nach dem grausigen Untergange der großen Armee in Rußland, nach der
heimlichen Flucht Napoleons durch Deutschland nach Paris wäre es ein leichtes
gewesen, den ganzen Rheinbund zu sprengen, und kaum einer seiner Fürsten
würde sich geweigert haben, auf die Seite der Verbündeten zu treten, wenn
man nur schnell und thatkräftig gehandelt und die richtigen Mittel angewandt
hätte, d. h. wenn man auf die Drohungen sofort die That hätte folgen lassen
und nötigenfalls sogleich und rücksichtslos Gewalt gebraucht hätte. Doch ist hier
nicht der Ort, zu untersuchen, warum die ersten Monate des großen Jahres 1813
so nutzlos vergeudet wurden. Thatsache ist, daß Napoleon, dessen organi¬
satorisches und militärisches Genie sich niemals großartiger entfaltete, als damals,
die Zeit fand, neue Heere auf die Beine zu bringen, neue gewaltige Truppen¬
massen über deu Rhein zu führen und die Gefilde Deutschlands mit ihnen zu
überschwemmen. Die einzigen Fürsten, welche trotzdem sich sofort vom Rhein¬
bunde lossagten und offen auf die Seite der Verbündeten traten, waren die Her¬
zöge von Mecklenburg. Noch einmal, wenn auch zögernd und widerstrebend, ge¬
horchten dagegen die sämtlichen übrigen Nheinbundsfürsten den Befehlen des
großen Alliirten und stellten ihre Kontingente in seinen Dienst. Die Württem¬
berger, Badener, Hessen-Darmstädter u. s. w. sammelten sich bei Würzburg,
die Baiern bei Bamberg, die Westfalen bei Kassel. Um ihrer recht sicher zu
sein, wurden sie den französischen Armeekorps der Marschülle Ney und Oudinot
(3. und 12. Korps) zugeteilt. Unklar und unbestimmt war nur die Stellung
Sachsens, ein Umstand, der sich leicht aus der geographischen Lage des Landes
erklärt. Der König Friedrich August hatte bekanntlich beim Herannahen der
Verbündeten mit seinen Schätzen sein Land verlassen, begleitet und beschützt von
zwei Reiterregimentern. Der übrige Teil des Heeres stand in der starken und


Grenzboten IV. 1837. 79
Der Rheinbund.

hätte, ihm durch Widerstand unbequem zu werden, oder dessen Beseitigung die
wirklichen oder vermeintlichen Interessen des neuen Weltreiches und seines Be¬
herrschers verlangten. Daß er so handelte, dafür giebt den besten Beweis jene
oben schon erwähnte Annexion von ganz Nordwestdeutschland. So lange er die
Macht hatte, so zu handeln, konnten sich also seine „Alliirten" niemals von
der heimlichen Angst los machen, daß ihre meist ziemlich wackligen Throne und
ihre Kronen von Flittergold durch den Machtspruch desjenigen, der sie verliehen
hatte, ihnen auch ebenso rasch genommen werden könnten, daß einmal plötzlich
über Nacht ihre neuen „Reiche" von der Landkarte verschwinden könnten.
Diese Angst trieb sie ein, bei der Sache des Imperators auszuhalten, als seine
Willkürherrschaft schon ganz unerträglich geworden war, und als sie sür ihre
Selbstsucht nicht das geringste mehr zu hoffen hatten. Solange diese Angst vor
der Übermacht des Gewaltigen und Gewaltthätigen nicht von ihnen wich, wichen
auch sie nicht von ihrem Protektor; als aber der Glaube an seine Unüber¬
windlichkeit zu wanken anfing, da geriet auch sofort der ganze Rheinbund ins
Wanken.

Nach dem grausigen Untergange der großen Armee in Rußland, nach der
heimlichen Flucht Napoleons durch Deutschland nach Paris wäre es ein leichtes
gewesen, den ganzen Rheinbund zu sprengen, und kaum einer seiner Fürsten
würde sich geweigert haben, auf die Seite der Verbündeten zu treten, wenn
man nur schnell und thatkräftig gehandelt und die richtigen Mittel angewandt
hätte, d. h. wenn man auf die Drohungen sofort die That hätte folgen lassen
und nötigenfalls sogleich und rücksichtslos Gewalt gebraucht hätte. Doch ist hier
nicht der Ort, zu untersuchen, warum die ersten Monate des großen Jahres 1813
so nutzlos vergeudet wurden. Thatsache ist, daß Napoleon, dessen organi¬
satorisches und militärisches Genie sich niemals großartiger entfaltete, als damals,
die Zeit fand, neue Heere auf die Beine zu bringen, neue gewaltige Truppen¬
massen über deu Rhein zu führen und die Gefilde Deutschlands mit ihnen zu
überschwemmen. Die einzigen Fürsten, welche trotzdem sich sofort vom Rhein¬
bunde lossagten und offen auf die Seite der Verbündeten traten, waren die Her¬
zöge von Mecklenburg. Noch einmal, wenn auch zögernd und widerstrebend, ge¬
horchten dagegen die sämtlichen übrigen Nheinbundsfürsten den Befehlen des
großen Alliirten und stellten ihre Kontingente in seinen Dienst. Die Württem¬
berger, Badener, Hessen-Darmstädter u. s. w. sammelten sich bei Würzburg,
die Baiern bei Bamberg, die Westfalen bei Kassel. Um ihrer recht sicher zu
sein, wurden sie den französischen Armeekorps der Marschülle Ney und Oudinot
(3. und 12. Korps) zugeteilt. Unklar und unbestimmt war nur die Stellung
Sachsens, ein Umstand, der sich leicht aus der geographischen Lage des Landes
erklärt. Der König Friedrich August hatte bekanntlich beim Herannahen der
Verbündeten mit seinen Schätzen sein Land verlassen, begleitet und beschützt von
zwei Reiterregimentern. Der übrige Teil des Heeres stand in der starken und


Grenzboten IV. 1837. 79
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[0633] Der Rheinbund. hätte, ihm durch Widerstand unbequem zu werden, oder dessen Beseitigung die wirklichen oder vermeintlichen Interessen des neuen Weltreiches und seines Be¬ herrschers verlangten. Daß er so handelte, dafür giebt den besten Beweis jene oben schon erwähnte Annexion von ganz Nordwestdeutschland. So lange er die Macht hatte, so zu handeln, konnten sich also seine „Alliirten" niemals von der heimlichen Angst los machen, daß ihre meist ziemlich wackligen Throne und ihre Kronen von Flittergold durch den Machtspruch desjenigen, der sie verliehen hatte, ihnen auch ebenso rasch genommen werden könnten, daß einmal plötzlich über Nacht ihre neuen „Reiche" von der Landkarte verschwinden könnten. Diese Angst trieb sie ein, bei der Sache des Imperators auszuhalten, als seine Willkürherrschaft schon ganz unerträglich geworden war, und als sie sür ihre Selbstsucht nicht das geringste mehr zu hoffen hatten. Solange diese Angst vor der Übermacht des Gewaltigen und Gewaltthätigen nicht von ihnen wich, wichen auch sie nicht von ihrem Protektor; als aber der Glaube an seine Unüber¬ windlichkeit zu wanken anfing, da geriet auch sofort der ganze Rheinbund ins Wanken. Nach dem grausigen Untergange der großen Armee in Rußland, nach der heimlichen Flucht Napoleons durch Deutschland nach Paris wäre es ein leichtes gewesen, den ganzen Rheinbund zu sprengen, und kaum einer seiner Fürsten würde sich geweigert haben, auf die Seite der Verbündeten zu treten, wenn man nur schnell und thatkräftig gehandelt und die richtigen Mittel angewandt hätte, d. h. wenn man auf die Drohungen sofort die That hätte folgen lassen und nötigenfalls sogleich und rücksichtslos Gewalt gebraucht hätte. Doch ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, warum die ersten Monate des großen Jahres 1813 so nutzlos vergeudet wurden. Thatsache ist, daß Napoleon, dessen organi¬ satorisches und militärisches Genie sich niemals großartiger entfaltete, als damals, die Zeit fand, neue Heere auf die Beine zu bringen, neue gewaltige Truppen¬ massen über deu Rhein zu führen und die Gefilde Deutschlands mit ihnen zu überschwemmen. Die einzigen Fürsten, welche trotzdem sich sofort vom Rhein¬ bunde lossagten und offen auf die Seite der Verbündeten traten, waren die Her¬ zöge von Mecklenburg. Noch einmal, wenn auch zögernd und widerstrebend, ge¬ horchten dagegen die sämtlichen übrigen Nheinbundsfürsten den Befehlen des großen Alliirten und stellten ihre Kontingente in seinen Dienst. Die Württem¬ berger, Badener, Hessen-Darmstädter u. s. w. sammelten sich bei Würzburg, die Baiern bei Bamberg, die Westfalen bei Kassel. Um ihrer recht sicher zu sein, wurden sie den französischen Armeekorps der Marschülle Ney und Oudinot (3. und 12. Korps) zugeteilt. Unklar und unbestimmt war nur die Stellung Sachsens, ein Umstand, der sich leicht aus der geographischen Lage des Landes erklärt. Der König Friedrich August hatte bekanntlich beim Herannahen der Verbündeten mit seinen Schätzen sein Land verlassen, begleitet und beschützt von zwei Reiterregimentern. Der übrige Teil des Heeres stand in der starken und Grenzboten IV. 1837. 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/633>, abgerufen am 23.07.2024.