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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

daß eine solche politische Schöpfung wie der Rheinbund überhaupt lebenskräftig
war und sich so lange hielt, wie er sich thatsächlich gehalten hat. Guter Wille
war es sicher nicht allein oder auch nur wesentlich, weder bei den Regierten
noch bei den Regenten, was diese so lange der unverschleierten Selbstsuchts¬
und Eroberungspolitik des fremden Gewaltherrn dienstbar machte. Freilich war
die Zahl der Männer, welche Gefühl genug für vaterländische Ehre hatten, um
aus diesem Grunde die Nheinbnndsschmach zu verabscheuen, welche hochherzig
genug waren, wie jener edle Buchhändler Palm von Nürnberg oder wie jener
mißgeleite Pfarrerssohu Staps, lieber den patriotischen Märtyrertod zu erleiden,
als sich vor dem Tyrannen und seinen Schergen zu beugen, nur sehr gering. Auch
der politische Fortschritt, der unbestreitbar mit der Abschaffung einer Menge von
verrotteten und unerträglichen Einrichtungen verbunden war, und der unzweifelhaft
von weiten Kreisen mit Freuden begrüßt wurde, erklärt noch lange nicht, wie es
möglich war, daß die Bevölkerung so viele Jahre hindurch die ungeheuern Opfer
brachte, die ihr zugemutet wurden. Denn ungeheuer waren diese Opfer, und
die innern Zustände jener Lande nichts weniger als glänzend, trotz aller Dekla¬
mationen von Volksbeglückung und Aufklärung. Der Steuerdruck war so un¬
geheuer, daß er z. B. in Preußen in den Zeiten seiner tiefsten Not auch nicht
schlimmer gewesen ist; und noch schlimmer war die regelmäßige Blutsteuer,
welche alljährlich in Gestalt der Konskription Tausende >von Jünglingen, von
denen verhältnismäßig nur wenige wiederkehrten, für des Protektors Kriege er¬
forderte. Wenn auch anfänglich Ländergier und der Souveränitätskitzel und Dünkel
die Fürsten auf Napoleons Seite führte, so sollte man doch meinen, vielen unter
ihnen müßte schließlich bei den damals herrschenden Zuständen angst und bange
geworden sein. Bekannt ist z. B. der Ausspruch des persönlich gutmütigen und
liebenswürdigen Max von Baiern: "Wenn das so weiter geht, kommt bald der
Zeitpunkt, wo ich den Schlüssel unter die Hausthür legen und auch fortgehen muß."
Wenn aber trotzdem jene Fürsten und ihre Unterthanen so lange dem Rheinbunde
treu blieben und alljährlich so ungeheure Opfer brachten, die sie dem rechtmäßigen
Neichsoberhanpte stets verweigert hatten und stets verweigert haben würden, so
muß dabei ein andrer Beweggrund vorgelegen haben. Und das ist auch unzweifel¬
haft der Fall, wie dem Auge des vorurteilsfrei blickenden Geschichtsforschers
nicht verborgen bleiben kann. Was den Partikularismus und die widerstrei¬
tenden Interessen deutscher Mittel- und Kleinstaaten zur Einheit gebracht hat,
das war weniger der gute Wille bei den Fürsten dieser Staaten, als auf Seiten
Napoleons die nackte, rohe Gewalt, bei der höchstens die eiserne Hand des
Imperators zu Zeiten mit einem Sammethandschuh überzogen war, und auf
Seiten seiner Vasallen die reine Angst, bei einigen vielleicht vermischt mit auf¬
richtiger Bewunderung für das gewaltige Genie des großen Mannes. Na¬
poleon würde ohne die allergeringste Rücksicht jeglichen seiner sogenannten Ver¬
bündeten entsetzt und in das politische Nichts geschleudert haben, der es gewagt


Der Rheinbund.

daß eine solche politische Schöpfung wie der Rheinbund überhaupt lebenskräftig
war und sich so lange hielt, wie er sich thatsächlich gehalten hat. Guter Wille
war es sicher nicht allein oder auch nur wesentlich, weder bei den Regierten
noch bei den Regenten, was diese so lange der unverschleierten Selbstsuchts¬
und Eroberungspolitik des fremden Gewaltherrn dienstbar machte. Freilich war
die Zahl der Männer, welche Gefühl genug für vaterländische Ehre hatten, um
aus diesem Grunde die Nheinbnndsschmach zu verabscheuen, welche hochherzig
genug waren, wie jener edle Buchhändler Palm von Nürnberg oder wie jener
mißgeleite Pfarrerssohu Staps, lieber den patriotischen Märtyrertod zu erleiden,
als sich vor dem Tyrannen und seinen Schergen zu beugen, nur sehr gering. Auch
der politische Fortschritt, der unbestreitbar mit der Abschaffung einer Menge von
verrotteten und unerträglichen Einrichtungen verbunden war, und der unzweifelhaft
von weiten Kreisen mit Freuden begrüßt wurde, erklärt noch lange nicht, wie es
möglich war, daß die Bevölkerung so viele Jahre hindurch die ungeheuern Opfer
brachte, die ihr zugemutet wurden. Denn ungeheuer waren diese Opfer, und
die innern Zustände jener Lande nichts weniger als glänzend, trotz aller Dekla¬
mationen von Volksbeglückung und Aufklärung. Der Steuerdruck war so un¬
geheuer, daß er z. B. in Preußen in den Zeiten seiner tiefsten Not auch nicht
schlimmer gewesen ist; und noch schlimmer war die regelmäßige Blutsteuer,
welche alljährlich in Gestalt der Konskription Tausende >von Jünglingen, von
denen verhältnismäßig nur wenige wiederkehrten, für des Protektors Kriege er¬
forderte. Wenn auch anfänglich Ländergier und der Souveränitätskitzel und Dünkel
die Fürsten auf Napoleons Seite führte, so sollte man doch meinen, vielen unter
ihnen müßte schließlich bei den damals herrschenden Zuständen angst und bange
geworden sein. Bekannt ist z. B. der Ausspruch des persönlich gutmütigen und
liebenswürdigen Max von Baiern: „Wenn das so weiter geht, kommt bald der
Zeitpunkt, wo ich den Schlüssel unter die Hausthür legen und auch fortgehen muß."
Wenn aber trotzdem jene Fürsten und ihre Unterthanen so lange dem Rheinbunde
treu blieben und alljährlich so ungeheure Opfer brachten, die sie dem rechtmäßigen
Neichsoberhanpte stets verweigert hatten und stets verweigert haben würden, so
muß dabei ein andrer Beweggrund vorgelegen haben. Und das ist auch unzweifel¬
haft der Fall, wie dem Auge des vorurteilsfrei blickenden Geschichtsforschers
nicht verborgen bleiben kann. Was den Partikularismus und die widerstrei¬
tenden Interessen deutscher Mittel- und Kleinstaaten zur Einheit gebracht hat,
das war weniger der gute Wille bei den Fürsten dieser Staaten, als auf Seiten
Napoleons die nackte, rohe Gewalt, bei der höchstens die eiserne Hand des
Imperators zu Zeiten mit einem Sammethandschuh überzogen war, und auf
Seiten seiner Vasallen die reine Angst, bei einigen vielleicht vermischt mit auf¬
richtiger Bewunderung für das gewaltige Genie des großen Mannes. Na¬
poleon würde ohne die allergeringste Rücksicht jeglichen seiner sogenannten Ver¬
bündeten entsetzt und in das politische Nichts geschleudert haben, der es gewagt


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[0632] Der Rheinbund. daß eine solche politische Schöpfung wie der Rheinbund überhaupt lebenskräftig war und sich so lange hielt, wie er sich thatsächlich gehalten hat. Guter Wille war es sicher nicht allein oder auch nur wesentlich, weder bei den Regierten noch bei den Regenten, was diese so lange der unverschleierten Selbstsuchts¬ und Eroberungspolitik des fremden Gewaltherrn dienstbar machte. Freilich war die Zahl der Männer, welche Gefühl genug für vaterländische Ehre hatten, um aus diesem Grunde die Nheinbnndsschmach zu verabscheuen, welche hochherzig genug waren, wie jener edle Buchhändler Palm von Nürnberg oder wie jener mißgeleite Pfarrerssohu Staps, lieber den patriotischen Märtyrertod zu erleiden, als sich vor dem Tyrannen und seinen Schergen zu beugen, nur sehr gering. Auch der politische Fortschritt, der unbestreitbar mit der Abschaffung einer Menge von verrotteten und unerträglichen Einrichtungen verbunden war, und der unzweifelhaft von weiten Kreisen mit Freuden begrüßt wurde, erklärt noch lange nicht, wie es möglich war, daß die Bevölkerung so viele Jahre hindurch die ungeheuern Opfer brachte, die ihr zugemutet wurden. Denn ungeheuer waren diese Opfer, und die innern Zustände jener Lande nichts weniger als glänzend, trotz aller Dekla¬ mationen von Volksbeglückung und Aufklärung. Der Steuerdruck war so un¬ geheuer, daß er z. B. in Preußen in den Zeiten seiner tiefsten Not auch nicht schlimmer gewesen ist; und noch schlimmer war die regelmäßige Blutsteuer, welche alljährlich in Gestalt der Konskription Tausende >von Jünglingen, von denen verhältnismäßig nur wenige wiederkehrten, für des Protektors Kriege er¬ forderte. Wenn auch anfänglich Ländergier und der Souveränitätskitzel und Dünkel die Fürsten auf Napoleons Seite führte, so sollte man doch meinen, vielen unter ihnen müßte schließlich bei den damals herrschenden Zuständen angst und bange geworden sein. Bekannt ist z. B. der Ausspruch des persönlich gutmütigen und liebenswürdigen Max von Baiern: „Wenn das so weiter geht, kommt bald der Zeitpunkt, wo ich den Schlüssel unter die Hausthür legen und auch fortgehen muß." Wenn aber trotzdem jene Fürsten und ihre Unterthanen so lange dem Rheinbunde treu blieben und alljährlich so ungeheure Opfer brachten, die sie dem rechtmäßigen Neichsoberhanpte stets verweigert hatten und stets verweigert haben würden, so muß dabei ein andrer Beweggrund vorgelegen haben. Und das ist auch unzweifel¬ haft der Fall, wie dem Auge des vorurteilsfrei blickenden Geschichtsforschers nicht verborgen bleiben kann. Was den Partikularismus und die widerstrei¬ tenden Interessen deutscher Mittel- und Kleinstaaten zur Einheit gebracht hat, das war weniger der gute Wille bei den Fürsten dieser Staaten, als auf Seiten Napoleons die nackte, rohe Gewalt, bei der höchstens die eiserne Hand des Imperators zu Zeiten mit einem Sammethandschuh überzogen war, und auf Seiten seiner Vasallen die reine Angst, bei einigen vielleicht vermischt mit auf¬ richtiger Bewunderung für das gewaltige Genie des großen Mannes. Na¬ poleon würde ohne die allergeringste Rücksicht jeglichen seiner sogenannten Ver¬ bündeten entsetzt und in das politische Nichts geschleudert haben, der es gewagt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/632>, abgerufen am 23.07.2024.