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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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die Republik das Beste für Frankreich, sondern weil eine französische Re¬
publik das Beste für Deutschland und alle ihre Nachbarn ist. Der
Kongreß oder die Nationalversammlung trat, nachdem die Gruppen der
republikanischen Partei im Pariser Parlamentsgebäude durch vorläufige Ab¬
stimmung über einen Kandidaten für alle ihre Kräfte gemessen hatten, am Tage
nach Grevys Auszug aus dem Elysce in Versailles zur Wahl eines Nach¬
folgers zusammen, und das Ergebnis war befriedigend: es wurde zuletzt
ein wenig bekannter, aber durchweg als tüchtig bekannter Politiker von repu¬
blikanischer Gesinnung mit dem Mantel der höchsten Autorität bekleidet, Sadi
Carnot, kein Redner, kein ehrgeiziger parlamentarischer Ränkeschmied, aber ein
ehrlicher, geschäftskundiger Mann, und man sah dabei, daß in der republika¬
nischen Partei, und zwar selbst unter ihren Führern, sogar unter den Oppor¬
tunisten, noch Leute vorhanden sind, welche ihr Interesse, wenn die Not es
verlangt, dem des Staates unterzuordnen fähig sind. Die vorläufigen Ab¬
stimmungen der Republikaner in Paris hatten gezeigt, daß Ferry die meisten
Stimmen der Partei sür sich hatte, aber nicht so viel, daß er ohne Unter¬
stützung der Rechten ans schließlichen Erfolg rechnen konnte. Jetzt kam ihm
bei der ersten Abstimmung Freycinet, begünstigt auch von den Radikalen, sehr
nahe, indem er bei 553 Abstimmenden nur zwanzig Stimmen weniger hatte als
Ferry. Die Stärke der Rechten erwies das Vol"in von 148 Stimmzetteln,
welche den Namen des Generals Sanssier trugen, obwohl dieser Kandidat der
Orleanisten jede Wahl seiner Person im voraus abgelehnt hatte. Die beiden
Bewerber, welche so in erster Reihe von der republikanischen Partei gewählt
wurden, waren nicht nach dem Geschmacke des Teiles der öffentlichen Meinung,
welche durch andre Gruppen der wählenden Versammlung vertreten war.
Viele nahmen Anstoß an Freycinets zu engem Zusammenhalten mit Boulanger
und an seiner Hinwendung zu den Radikalen, während andre in Ferry einen
Kandidaten erblickten, der nach seiner Vergangenheit als Minister, seiner klerikalen
Politik, seinen kostspieligen und erfolglosen Abenteuern in Ostasien, seiner Un¬
beliebtheit bei der großen Masse in Paris und seiner angeblichen Neigung zur
Unterordnung unter den Willen des deutschen Reichskanzlers nichts Gutes
versprach. Fuhren diese beiden Staatsmänner fort, auf Grund ihrer Aussichten
zu beharre", so stand zu befürchten, daß die Minoritäten sich vereinigten, um
die Wahl auf eine Persönlichkeit zu lenken, die ohne Ansehen war und vou der
öffentlichen Stimmung mit Ausbrüchen von Verdruß und Entrüstung empfangen
wurde. Unter diesen Umständen vereinigten sich Ferry und Freycinet, um jenes
Beispiel der Selbstverleugnung zu geben, welches wir nur für wünschenswert
halten, aber kaum erwarten konnten. Ferry kündigte seine Absicht an, von der
Bewerbung zurückzutreten, wenn Sadi Carnot gewählt würde, dessen Kandidatur
inzwischen einigermaßen in den Vordergrund gerückt war, und dessen Name


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die Republik das Beste für Frankreich, sondern weil eine französische Re¬
publik das Beste für Deutschland und alle ihre Nachbarn ist. Der
Kongreß oder die Nationalversammlung trat, nachdem die Gruppen der
republikanischen Partei im Pariser Parlamentsgebäude durch vorläufige Ab¬
stimmung über einen Kandidaten für alle ihre Kräfte gemessen hatten, am Tage
nach Grevys Auszug aus dem Elysce in Versailles zur Wahl eines Nach¬
folgers zusammen, und das Ergebnis war befriedigend: es wurde zuletzt
ein wenig bekannter, aber durchweg als tüchtig bekannter Politiker von repu¬
blikanischer Gesinnung mit dem Mantel der höchsten Autorität bekleidet, Sadi
Carnot, kein Redner, kein ehrgeiziger parlamentarischer Ränkeschmied, aber ein
ehrlicher, geschäftskundiger Mann, und man sah dabei, daß in der republika¬
nischen Partei, und zwar selbst unter ihren Führern, sogar unter den Oppor¬
tunisten, noch Leute vorhanden sind, welche ihr Interesse, wenn die Not es
verlangt, dem des Staates unterzuordnen fähig sind. Die vorläufigen Ab¬
stimmungen der Republikaner in Paris hatten gezeigt, daß Ferry die meisten
Stimmen der Partei sür sich hatte, aber nicht so viel, daß er ohne Unter¬
stützung der Rechten ans schließlichen Erfolg rechnen konnte. Jetzt kam ihm
bei der ersten Abstimmung Freycinet, begünstigt auch von den Radikalen, sehr
nahe, indem er bei 553 Abstimmenden nur zwanzig Stimmen weniger hatte als
Ferry. Die Stärke der Rechten erwies das Vol»in von 148 Stimmzetteln,
welche den Namen des Generals Sanssier trugen, obwohl dieser Kandidat der
Orleanisten jede Wahl seiner Person im voraus abgelehnt hatte. Die beiden
Bewerber, welche so in erster Reihe von der republikanischen Partei gewählt
wurden, waren nicht nach dem Geschmacke des Teiles der öffentlichen Meinung,
welche durch andre Gruppen der wählenden Versammlung vertreten war.
Viele nahmen Anstoß an Freycinets zu engem Zusammenhalten mit Boulanger
und an seiner Hinwendung zu den Radikalen, während andre in Ferry einen
Kandidaten erblickten, der nach seiner Vergangenheit als Minister, seiner klerikalen
Politik, seinen kostspieligen und erfolglosen Abenteuern in Ostasien, seiner Un¬
beliebtheit bei der großen Masse in Paris und seiner angeblichen Neigung zur
Unterordnung unter den Willen des deutschen Reichskanzlers nichts Gutes
versprach. Fuhren diese beiden Staatsmänner fort, auf Grund ihrer Aussichten
zu beharre», so stand zu befürchten, daß die Minoritäten sich vereinigten, um
die Wahl auf eine Persönlichkeit zu lenken, die ohne Ansehen war und vou der
öffentlichen Stimmung mit Ausbrüchen von Verdruß und Entrüstung empfangen
wurde. Unter diesen Umständen vereinigten sich Ferry und Freycinet, um jenes
Beispiel der Selbstverleugnung zu geben, welches wir nur für wünschenswert
halten, aber kaum erwarten konnten. Ferry kündigte seine Absicht an, von der
Bewerbung zurückzutreten, wenn Sadi Carnot gewählt würde, dessen Kandidatur
inzwischen einigermaßen in den Vordergrund gerückt war, und dessen Name


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[0574] Nach der Lntschoidimg in j?aris. weiteres gesichert betrachten kann — wir freuen uns darüber nicht, weil die Republik das Beste für Frankreich, sondern weil eine französische Re¬ publik das Beste für Deutschland und alle ihre Nachbarn ist. Der Kongreß oder die Nationalversammlung trat, nachdem die Gruppen der republikanischen Partei im Pariser Parlamentsgebäude durch vorläufige Ab¬ stimmung über einen Kandidaten für alle ihre Kräfte gemessen hatten, am Tage nach Grevys Auszug aus dem Elysce in Versailles zur Wahl eines Nach¬ folgers zusammen, und das Ergebnis war befriedigend: es wurde zuletzt ein wenig bekannter, aber durchweg als tüchtig bekannter Politiker von repu¬ blikanischer Gesinnung mit dem Mantel der höchsten Autorität bekleidet, Sadi Carnot, kein Redner, kein ehrgeiziger parlamentarischer Ränkeschmied, aber ein ehrlicher, geschäftskundiger Mann, und man sah dabei, daß in der republika¬ nischen Partei, und zwar selbst unter ihren Führern, sogar unter den Oppor¬ tunisten, noch Leute vorhanden sind, welche ihr Interesse, wenn die Not es verlangt, dem des Staates unterzuordnen fähig sind. Die vorläufigen Ab¬ stimmungen der Republikaner in Paris hatten gezeigt, daß Ferry die meisten Stimmen der Partei sür sich hatte, aber nicht so viel, daß er ohne Unter¬ stützung der Rechten ans schließlichen Erfolg rechnen konnte. Jetzt kam ihm bei der ersten Abstimmung Freycinet, begünstigt auch von den Radikalen, sehr nahe, indem er bei 553 Abstimmenden nur zwanzig Stimmen weniger hatte als Ferry. Die Stärke der Rechten erwies das Vol»in von 148 Stimmzetteln, welche den Namen des Generals Sanssier trugen, obwohl dieser Kandidat der Orleanisten jede Wahl seiner Person im voraus abgelehnt hatte. Die beiden Bewerber, welche so in erster Reihe von der republikanischen Partei gewählt wurden, waren nicht nach dem Geschmacke des Teiles der öffentlichen Meinung, welche durch andre Gruppen der wählenden Versammlung vertreten war. Viele nahmen Anstoß an Freycinets zu engem Zusammenhalten mit Boulanger und an seiner Hinwendung zu den Radikalen, während andre in Ferry einen Kandidaten erblickten, der nach seiner Vergangenheit als Minister, seiner klerikalen Politik, seinen kostspieligen und erfolglosen Abenteuern in Ostasien, seiner Un¬ beliebtheit bei der großen Masse in Paris und seiner angeblichen Neigung zur Unterordnung unter den Willen des deutschen Reichskanzlers nichts Gutes versprach. Fuhren diese beiden Staatsmänner fort, auf Grund ihrer Aussichten zu beharre», so stand zu befürchten, daß die Minoritäten sich vereinigten, um die Wahl auf eine Persönlichkeit zu lenken, die ohne Ansehen war und vou der öffentlichen Stimmung mit Ausbrüchen von Verdruß und Entrüstung empfangen wurde. Unter diesen Umständen vereinigten sich Ferry und Freycinet, um jenes Beispiel der Selbstverleugnung zu geben, welches wir nur für wünschenswert halten, aber kaum erwarten konnten. Ferry kündigte seine Absicht an, von der Bewerbung zurückzutreten, wenn Sadi Carnot gewählt würde, dessen Kandidatur inzwischen einigermaßen in den Vordergrund gerückt war, und dessen Name

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/574>, abgerufen am 22.07.2024.