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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Nach der Lntscheidimg in Paris.

Feuer. El" neuer Schrecken kam über die extremen Geister, das Entsetzen vor
der Wahrscheinlichkeit, daß die Verwirrung mit der Wahl des klügsten und
zugleich mutvollsten und thatkräftigsten unter den Kandidaten endigte, über
welche man zu verfüge" hatte. Diese Angst charakterisirte sich in dem Geschrei:
Vivsnt 6rsv^ et He-norg,! Loulangsr! das man die Masse" vor dem Palais
Bourbon ausstoßen hörte, als purer Wahns!""; denn nie zuvor war el" ver¬
nünftiger Mensch auf den Gedanken geraten, diese Namen zu verbinden, vielmehr
wußte alle Welt, daß Grcvy geäußert hatte, wenn Boulanger, der Held der
Boulevards, durch die eine Thür des Elyfte trete, werde er durch die andre
hinausgehen. Aber auch die Radikalen Clemeucecms hatten jetzt begriffen, daß
sie es mit ihrer Agitation gegen Grevy zu arg getrieben und damit vermutlich
nur dem für sie weit schlimmern loiMvois den Weg zur Präsidentschaft gebahnt
und geöffnet hatten. Sie wendeten sich in ihrer Presse zu Grcvy zurück, und
zu gleicher Zeit erschien bei diesem eine kleine Deputation aus dem Senate,
um ihn zum Verbleiben im Amte zu ersuche". Er sah in dieser Umkehr ans
Furcht vor Ferry rückkehrende Achtung und Anhänglichkeit für sich selbst, stockte
in seinem Entschlüsse und dachte ebenfalls umzukehren. Vielleicht hoffte er, sich
jetzt mit einer Auflösung der Kammer helfen zu können, vielleicht zog er es vor,
sich lieber absetzen zu lassen als zu verzichten, vielleicht auch erwartete er, den
Anfang zu einer rückläufigen Bewegung wachsen und allgemein werden zu sehen,
wenn man sich das Chaos, das ihm bei seinem Weggange folgen zu wollen
schien, deutlicher vergegenwärtigte; gewiß ist nur, daß der Präsident am Mitt¬
woch andrer Meinung wurde, damit seine Minister in el" etwas lächerliches
Licht brachte und statt mit der vollen Würde, die ihm als Staatsoberhaupt
ziemte, sein Amt niederzulegen, nur dem äußersten Zwange Vonseiten der Volks¬
kammer wich. Sein schließlicher Rücktritt war kein Gehen nach Wahl, er war das
Hinauskomplimcutirtwcrden eines sich sträubenden durch die ihm geöffnete Thür,
und die Würde war nicht auf seiner Seite, sonder" auf derjenigen der Volkskammer.

Als Grevy in dieser mindestens unschönen Weise sich verabschiedet
hatte, fand Frankreich wieder einmal -- Wohl zum zwanzigsten male in
seiner neuesten Geschichte --, wie viel leichter es ist, zu zerstören, als zu
bauen oder wiederherzustellen. Paris war in hoher Aufregung, und der Pöbel
konnte nur durch Militär von Ausschreitungen abgehalten werden. Es schien
kein gutes Anzeichen zu sein, daß die Krisis, welche sich in de" Vorbereitungen
zur Wahl eines neuen Präsidenten fortsetzte, gerade an einem 2. Dezember,
einem Jahrestage des Staatsstreiches gipfelte, mit welchen: Louis Napoleon
der vorhergehenden Republik den Todesstoß gegeben hatte. Auch die jetzige
erschien gefährdet: einerseits vom kvnummistischeu Pöbel der Hauptstadt bedroht,
anderseits vou rastlosen orlcanistischen und imperialistischen Gegnern mit der
Hoffnung auf Gelegenheit belauert. Wir freuen uns, daß die Republik aus
dieser Not schließlich wohlbehalten hervorgegangen ist und sich als bis auf


Nach der Lntscheidimg in Paris.

Feuer. El» neuer Schrecken kam über die extremen Geister, das Entsetzen vor
der Wahrscheinlichkeit, daß die Verwirrung mit der Wahl des klügsten und
zugleich mutvollsten und thatkräftigsten unter den Kandidaten endigte, über
welche man zu verfüge» hatte. Diese Angst charakterisirte sich in dem Geschrei:
Vivsnt 6rsv^ et He-norg,! Loulangsr! das man die Masse» vor dem Palais
Bourbon ausstoßen hörte, als purer Wahns!»»; denn nie zuvor war el» ver¬
nünftiger Mensch auf den Gedanken geraten, diese Namen zu verbinden, vielmehr
wußte alle Welt, daß Grcvy geäußert hatte, wenn Boulanger, der Held der
Boulevards, durch die eine Thür des Elyfte trete, werde er durch die andre
hinausgehen. Aber auch die Radikalen Clemeucecms hatten jetzt begriffen, daß
sie es mit ihrer Agitation gegen Grevy zu arg getrieben und damit vermutlich
nur dem für sie weit schlimmern loiMvois den Weg zur Präsidentschaft gebahnt
und geöffnet hatten. Sie wendeten sich in ihrer Presse zu Grcvy zurück, und
zu gleicher Zeit erschien bei diesem eine kleine Deputation aus dem Senate,
um ihn zum Verbleiben im Amte zu ersuche». Er sah in dieser Umkehr ans
Furcht vor Ferry rückkehrende Achtung und Anhänglichkeit für sich selbst, stockte
in seinem Entschlüsse und dachte ebenfalls umzukehren. Vielleicht hoffte er, sich
jetzt mit einer Auflösung der Kammer helfen zu können, vielleicht zog er es vor,
sich lieber absetzen zu lassen als zu verzichten, vielleicht auch erwartete er, den
Anfang zu einer rückläufigen Bewegung wachsen und allgemein werden zu sehen,
wenn man sich das Chaos, das ihm bei seinem Weggange folgen zu wollen
schien, deutlicher vergegenwärtigte; gewiß ist nur, daß der Präsident am Mitt¬
woch andrer Meinung wurde, damit seine Minister in el» etwas lächerliches
Licht brachte und statt mit der vollen Würde, die ihm als Staatsoberhaupt
ziemte, sein Amt niederzulegen, nur dem äußersten Zwange Vonseiten der Volks¬
kammer wich. Sein schließlicher Rücktritt war kein Gehen nach Wahl, er war das
Hinauskomplimcutirtwcrden eines sich sträubenden durch die ihm geöffnete Thür,
und die Würde war nicht auf seiner Seite, sonder» auf derjenigen der Volkskammer.

Als Grevy in dieser mindestens unschönen Weise sich verabschiedet
hatte, fand Frankreich wieder einmal — Wohl zum zwanzigsten male in
seiner neuesten Geschichte —, wie viel leichter es ist, zu zerstören, als zu
bauen oder wiederherzustellen. Paris war in hoher Aufregung, und der Pöbel
konnte nur durch Militär von Ausschreitungen abgehalten werden. Es schien
kein gutes Anzeichen zu sein, daß die Krisis, welche sich in de» Vorbereitungen
zur Wahl eines neuen Präsidenten fortsetzte, gerade an einem 2. Dezember,
einem Jahrestage des Staatsstreiches gipfelte, mit welchen: Louis Napoleon
der vorhergehenden Republik den Todesstoß gegeben hatte. Auch die jetzige
erschien gefährdet: einerseits vom kvnummistischeu Pöbel der Hauptstadt bedroht,
anderseits vou rastlosen orlcanistischen und imperialistischen Gegnern mit der
Hoffnung auf Gelegenheit belauert. Wir freuen uns, daß die Republik aus
dieser Not schließlich wohlbehalten hervorgegangen ist und sich als bis auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/573>, abgerufen am 22.07.2024.