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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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dischen Leben scheide, spreche ich mir einen Wunsch aus: möge die Republik
nicht von den auf mich gezielten Schlägen getroffen werden, möge sie siegreich
ans den Gefahren hervorgehen, denen man sie zutreibt." Grevy war von An¬
fang an gewiß aus persönlichen, aber ebenso gewiß auch aus konstitutionellen
und überhaupt aus politischen Gründen, aus Schen vor Übertreibung des Par¬
lamentarismus abgeneigt, dem Verlangen, er möge sein Amt niederlegen, nach¬
zugeben. Er war der Meinung, daß ein Präsident der Republik nicht zugeben dürfe,
daß über sein Amt durch ein Kammervotum verfügt werden könne. Seine Theorie
war, daß das Oberhaupt der Republik über deu Streitigkeiten und Kombinationen,
über den: Nänkespiel und dem steten Wechsel der Kammermehrheit stehen müsse
als ein Bleibendes und Unnahbares bis zu Ende der Periode, für die er ge¬
wählt sei, etwa wie ein konstitutioneller Monarch mit seiner UnVerantwortlichkeit,
und daß durch freiwilligen Rücktritt einen Präzcdenzfall für das Gegenteil zu
schaffen, der Stabilität der Republik für die Zukunft Abbruch thun hieße --
eine Ansicht, für die sich allerdings so viel sagen läßt, daß es ungesagt bleiben
kann. Wie weit diese Meinung durch Stolz und Verdruß befestigt und bestärkt
wurde, bleibe dahingestellt. Als indes NonVier sein Entlassungsgesuch einreichte
und dann die hanptsüchlichsten Führer der republikanischen Fraktionen einer nach
dem andern ablehnten, irgend eine andre amtliche Stellung anzunehmen als die
des Vermittlers der Unterwerfung und des Rücktrittes des Präsidenten von
seinem Posten, verzweifelte Grevy für einen Augenblick und versprach, seinen
Abschied zu nehmen, und zwar mit würdigen Worten und einer Warnung für
die Franzosen, daß dieser Akt ihm aufgenötigt worden sei und ernste Folgen
für daS Land haben könne. Darauf begann sofort die vorbereitende Arbeit
der Parteien zur Wahl eines neuen Präsidenten, das Suchen nach Kandidaten,
das Sichten und Wägen derselben, und dabei stellte sich sehr bald heraus, daß
hinter der Krisis ein Chaos von sich bekämpfenden ehrgeizigen und eifersüchtigen
Strebereien lag. Bei einer Präsidentenwahl hat der Kongreß, d. h. Senat und
Deputirtenkammer zu einer Körperschaft verschmolzen, etwa neunhundertundfünfzig
Stimmen abzugeben, und dabei bilden die republikanischen Gruppen natürlich
die Mehrheit, doch nur, wenn sie sich über einen gemeinsamen Kandidaten ver¬
ständigen oder die Rechte überreden können, den von der Linken am meisten
begünstigte" Kandidaten ebenfalls zu unterstützen. Die Republikaner geboten
in diesem Falle über keins von diesen notwendigen Erfordernissen, keiner der
in Vorschlag kommenden Namen versprach alle oder auch nur genügend viele
Stimmen der Partei auf sich zu vereinigen, auch Ferry nicht, doch hatte er
vergleichsweise die meisten Aussichten. Aber diesen Staatsmann, der die
Dreistigkeit gehabt hat, General Boulanger "einen Se. Arnaud der Tingeltangel"
zu nennen, Grcvhs Nachfolger werden zusehen, war, so sehr die Chauvinisten
und Radikalen den bisherigen Präsidenten auch gehaßt und geschmäht hatten,
für Derouledcs und Rocheforts Anhang ein Fallen aus der Bratpfanne ins


dischen Leben scheide, spreche ich mir einen Wunsch aus: möge die Republik
nicht von den auf mich gezielten Schlägen getroffen werden, möge sie siegreich
ans den Gefahren hervorgehen, denen man sie zutreibt." Grevy war von An¬
fang an gewiß aus persönlichen, aber ebenso gewiß auch aus konstitutionellen
und überhaupt aus politischen Gründen, aus Schen vor Übertreibung des Par¬
lamentarismus abgeneigt, dem Verlangen, er möge sein Amt niederlegen, nach¬
zugeben. Er war der Meinung, daß ein Präsident der Republik nicht zugeben dürfe,
daß über sein Amt durch ein Kammervotum verfügt werden könne. Seine Theorie
war, daß das Oberhaupt der Republik über deu Streitigkeiten und Kombinationen,
über den: Nänkespiel und dem steten Wechsel der Kammermehrheit stehen müsse
als ein Bleibendes und Unnahbares bis zu Ende der Periode, für die er ge¬
wählt sei, etwa wie ein konstitutioneller Monarch mit seiner UnVerantwortlichkeit,
und daß durch freiwilligen Rücktritt einen Präzcdenzfall für das Gegenteil zu
schaffen, der Stabilität der Republik für die Zukunft Abbruch thun hieße —
eine Ansicht, für die sich allerdings so viel sagen läßt, daß es ungesagt bleiben
kann. Wie weit diese Meinung durch Stolz und Verdruß befestigt und bestärkt
wurde, bleibe dahingestellt. Als indes NonVier sein Entlassungsgesuch einreichte
und dann die hanptsüchlichsten Führer der republikanischen Fraktionen einer nach
dem andern ablehnten, irgend eine andre amtliche Stellung anzunehmen als die
des Vermittlers der Unterwerfung und des Rücktrittes des Präsidenten von
seinem Posten, verzweifelte Grevy für einen Augenblick und versprach, seinen
Abschied zu nehmen, und zwar mit würdigen Worten und einer Warnung für
die Franzosen, daß dieser Akt ihm aufgenötigt worden sei und ernste Folgen
für daS Land haben könne. Darauf begann sofort die vorbereitende Arbeit
der Parteien zur Wahl eines neuen Präsidenten, das Suchen nach Kandidaten,
das Sichten und Wägen derselben, und dabei stellte sich sehr bald heraus, daß
hinter der Krisis ein Chaos von sich bekämpfenden ehrgeizigen und eifersüchtigen
Strebereien lag. Bei einer Präsidentenwahl hat der Kongreß, d. h. Senat und
Deputirtenkammer zu einer Körperschaft verschmolzen, etwa neunhundertundfünfzig
Stimmen abzugeben, und dabei bilden die republikanischen Gruppen natürlich
die Mehrheit, doch nur, wenn sie sich über einen gemeinsamen Kandidaten ver¬
ständigen oder die Rechte überreden können, den von der Linken am meisten
begünstigte» Kandidaten ebenfalls zu unterstützen. Die Republikaner geboten
in diesem Falle über keins von diesen notwendigen Erfordernissen, keiner der
in Vorschlag kommenden Namen versprach alle oder auch nur genügend viele
Stimmen der Partei auf sich zu vereinigen, auch Ferry nicht, doch hatte er
vergleichsweise die meisten Aussichten. Aber diesen Staatsmann, der die
Dreistigkeit gehabt hat, General Boulanger „einen Se. Arnaud der Tingeltangel"
zu nennen, Grcvhs Nachfolger werden zusehen, war, so sehr die Chauvinisten
und Radikalen den bisherigen Präsidenten auch gehaßt und geschmäht hatten,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/572>, abgerufen am 21.06.2024.