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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod,

gesagt hatte, waren seine Gedanken schon weit, weit fort. Und es wollte ihm
scheinen, als sei der Tod ein wunderschöner Engel geworden, der mit seinen
milden, liebevollen Augen auf ihn herabsah, und nun fürchtete er sich nicht
mehr vor ihm.

Als Tippe am nächsten Morgen seine Augen wieder öffnete, mußte er
sofort an sein Geheimnis denken, und er hatte die größte Lust, es der Mutter
anzuvertrauen. Als sie sich aber über ihn beugte, um ihm einen Gutenmorgenkuß
zu geben, fiel es ihm plötzlich ein, daß sie geweint hatte, als der Mondstrahl
auf ihr Antlitz schien. Und er sah wieder, daß ihre Wangen hohl waren, und
daß ihre Augen so tief lagen, und da kam ein Etwas über den kleinen Tippe,
was ihm den Mund schloß, sodaß es ihm völlig unmöglich war, der Mutter
sein Geheimnis anzuvertrauen.

Und der alte Jens? Ja der war gerade der geeignetste, mit dem man
über den Tod reden konnte, und der nahm Tippe bei der Hand, und dann
wanderten die beiden auf den Friedhof hinaus in der vertraulichsten Stimmung.

Aber wie es kommen mochte, genug, das Geheimnis blieb dem kleinen
Tippe im Halse stecken und wollte nicht heraus. Und draußen auf der Straße
feierte der Sommer sein Fest -- es war eine Art Abschiedsfest, denn sein
Regiment neigte sich dem Ende zu, und über so einem Abschiedsfest liegt oft
eine wunderbar milde Stimmung. Die Sonne lachte, und der Himmel glänzte
über sein ganzes klares Gesicht, die Vögel sangen, und am Teiche spielten die
fröhlichen Kinder. Wie konnte man da sein Herz ausschütte"! Die fröhlichen
Kinderstimmen riefen Hnrrcch! so laut und so lustig, daß Tippe den alten Jens
allein auf den Friedhof gehen ließ und selber bei seinen kleinen Kameraden
blieb, und dort bekam er etwas andres zu hören als Geheimnisse.

Als der alte Jens zurückkam, und sie zusammen heimkehrten, war der
kleine Tippe sehr nachdenklich, und auf seinem rosigen Kindergesichtchen lag eine
stille Sehnsucht.

Alle Schulkinder wollen eine Waldpartie machen, begann er endlich, nachdem
sie eine Weile schweigend neben einander hergegangen waren.

Also das wollen sie? erwiederte der alte Jens, um doch auch etwas zu sagen.

Alle, die jemand haben, mit dem sie fahren können, kommen mit, fuhr
Tippe fort.

Ja natürlich! antwortete der alte Jens ruhig.

Aber ich habe niemand, mit dem ich fahren kann, und deswegen kann ich
nicht mitkommen, schloß Tippe mit einem tiefen Seufzer. Sie sagen, ich hätte
keine passende Begleitung!

Haben sie das gesagt? rief der alte Jens aus, und nun war es auf
einmal ans mit seiner Ruhe. Er warf den Kopf in den Nacken und versetzte:
Das ist etwas, was sie nicht beurteilen können! Das kannst du ihnen aus-
richten, Tippe, und dann grüße sie vielmals von mir!


Gevatter Tod,

gesagt hatte, waren seine Gedanken schon weit, weit fort. Und es wollte ihm
scheinen, als sei der Tod ein wunderschöner Engel geworden, der mit seinen
milden, liebevollen Augen auf ihn herabsah, und nun fürchtete er sich nicht
mehr vor ihm.

Als Tippe am nächsten Morgen seine Augen wieder öffnete, mußte er
sofort an sein Geheimnis denken, und er hatte die größte Lust, es der Mutter
anzuvertrauen. Als sie sich aber über ihn beugte, um ihm einen Gutenmorgenkuß
zu geben, fiel es ihm plötzlich ein, daß sie geweint hatte, als der Mondstrahl
auf ihr Antlitz schien. Und er sah wieder, daß ihre Wangen hohl waren, und
daß ihre Augen so tief lagen, und da kam ein Etwas über den kleinen Tippe,
was ihm den Mund schloß, sodaß es ihm völlig unmöglich war, der Mutter
sein Geheimnis anzuvertrauen.

Und der alte Jens? Ja der war gerade der geeignetste, mit dem man
über den Tod reden konnte, und der nahm Tippe bei der Hand, und dann
wanderten die beiden auf den Friedhof hinaus in der vertraulichsten Stimmung.

Aber wie es kommen mochte, genug, das Geheimnis blieb dem kleinen
Tippe im Halse stecken und wollte nicht heraus. Und draußen auf der Straße
feierte der Sommer sein Fest — es war eine Art Abschiedsfest, denn sein
Regiment neigte sich dem Ende zu, und über so einem Abschiedsfest liegt oft
eine wunderbar milde Stimmung. Die Sonne lachte, und der Himmel glänzte
über sein ganzes klares Gesicht, die Vögel sangen, und am Teiche spielten die
fröhlichen Kinder. Wie konnte man da sein Herz ausschütte»! Die fröhlichen
Kinderstimmen riefen Hnrrcch! so laut und so lustig, daß Tippe den alten Jens
allein auf den Friedhof gehen ließ und selber bei seinen kleinen Kameraden
blieb, und dort bekam er etwas andres zu hören als Geheimnisse.

Als der alte Jens zurückkam, und sie zusammen heimkehrten, war der
kleine Tippe sehr nachdenklich, und auf seinem rosigen Kindergesichtchen lag eine
stille Sehnsucht.

Alle Schulkinder wollen eine Waldpartie machen, begann er endlich, nachdem
sie eine Weile schweigend neben einander hergegangen waren.

Also das wollen sie? erwiederte der alte Jens, um doch auch etwas zu sagen.

Alle, die jemand haben, mit dem sie fahren können, kommen mit, fuhr
Tippe fort.

Ja natürlich! antwortete der alte Jens ruhig.

Aber ich habe niemand, mit dem ich fahren kann, und deswegen kann ich
nicht mitkommen, schloß Tippe mit einem tiefen Seufzer. Sie sagen, ich hätte
keine passende Begleitung!

Haben sie das gesagt? rief der alte Jens aus, und nun war es auf
einmal ans mit seiner Ruhe. Er warf den Kopf in den Nacken und versetzte:
Das ist etwas, was sie nicht beurteilen können! Das kannst du ihnen aus-
richten, Tippe, und dann grüße sie vielmals von mir!


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[0506] Gevatter Tod, gesagt hatte, waren seine Gedanken schon weit, weit fort. Und es wollte ihm scheinen, als sei der Tod ein wunderschöner Engel geworden, der mit seinen milden, liebevollen Augen auf ihn herabsah, und nun fürchtete er sich nicht mehr vor ihm. Als Tippe am nächsten Morgen seine Augen wieder öffnete, mußte er sofort an sein Geheimnis denken, und er hatte die größte Lust, es der Mutter anzuvertrauen. Als sie sich aber über ihn beugte, um ihm einen Gutenmorgenkuß zu geben, fiel es ihm plötzlich ein, daß sie geweint hatte, als der Mondstrahl auf ihr Antlitz schien. Und er sah wieder, daß ihre Wangen hohl waren, und daß ihre Augen so tief lagen, und da kam ein Etwas über den kleinen Tippe, was ihm den Mund schloß, sodaß es ihm völlig unmöglich war, der Mutter sein Geheimnis anzuvertrauen. Und der alte Jens? Ja der war gerade der geeignetste, mit dem man über den Tod reden konnte, und der nahm Tippe bei der Hand, und dann wanderten die beiden auf den Friedhof hinaus in der vertraulichsten Stimmung. Aber wie es kommen mochte, genug, das Geheimnis blieb dem kleinen Tippe im Halse stecken und wollte nicht heraus. Und draußen auf der Straße feierte der Sommer sein Fest — es war eine Art Abschiedsfest, denn sein Regiment neigte sich dem Ende zu, und über so einem Abschiedsfest liegt oft eine wunderbar milde Stimmung. Die Sonne lachte, und der Himmel glänzte über sein ganzes klares Gesicht, die Vögel sangen, und am Teiche spielten die fröhlichen Kinder. Wie konnte man da sein Herz ausschütte»! Die fröhlichen Kinderstimmen riefen Hnrrcch! so laut und so lustig, daß Tippe den alten Jens allein auf den Friedhof gehen ließ und selber bei seinen kleinen Kameraden blieb, und dort bekam er etwas andres zu hören als Geheimnisse. Als der alte Jens zurückkam, und sie zusammen heimkehrten, war der kleine Tippe sehr nachdenklich, und auf seinem rosigen Kindergesichtchen lag eine stille Sehnsucht. Alle Schulkinder wollen eine Waldpartie machen, begann er endlich, nachdem sie eine Weile schweigend neben einander hergegangen waren. Also das wollen sie? erwiederte der alte Jens, um doch auch etwas zu sagen. Alle, die jemand haben, mit dem sie fahren können, kommen mit, fuhr Tippe fort. Ja natürlich! antwortete der alte Jens ruhig. Aber ich habe niemand, mit dem ich fahren kann, und deswegen kann ich nicht mitkommen, schloß Tippe mit einem tiefen Seufzer. Sie sagen, ich hätte keine passende Begleitung! Haben sie das gesagt? rief der alte Jens aus, und nun war es auf einmal ans mit seiner Ruhe. Er warf den Kopf in den Nacken und versetzte: Das ist etwas, was sie nicht beurteilen können! Das kannst du ihnen aus- richten, Tippe, und dann grüße sie vielmals von mir!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/506>, abgerufen am 22.07.2024.