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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Bei diesen Worten blieb er stehen und sah Tippe an, als habe er einen
vorzüglichen Einfall bekommen, und Tippe versprach, die Bestellung auszurichten,
und das that er denn auch noch an demselben Vormittage.

Aber als der Nachmittag kam, bewegte sich ein Wagen aus dem Dorfe,
und das ganze Dorf sah ihm nach, als sollte es sich die Augen vor Verwunde¬
rung aus dem Kopfe sehen. Es war der alte Totengräber Jens, der die Schul¬
meisterswitwe und ihren kleinen Sohn in den Wald fuhr; er wollte doch den
guten Leuten zeigen, daß Tippe auch jemand hatte, mit dem er sich sehen
lassen konnte.

Im feinsten Staate, als ginge es zu einer Hochzeit, saß er kerzengerade
auf dem Bocke, seine ernsten Mienen auf das kleine Einspännerpferd gerichtet.
Er schaute so zufrieden drein, man konnte es ihm ansehen, daß er heute etwas
Besondres im Schilde führte. Und Tippe saß mit strahlendem Gesicht an
seiner Seite, und doch war er noch nicht ganz zufrieden; er hätte gar zu gern
Zügel und Peitsche gehalten.

Laß mir nur den Oberbefehl, Tippe, so lange wir über etwas zu befehlen
haben! ermahnte der alte Jens mit Würde.

Wenn wir nichts mehr haben, worüber wir befehlen können, dann kannst
du den Oberbefehl allein haben, antwortete Tippe. Jetzt mußt du mich auch
einmal fahren lasten!

Der alte Jens war nicht unbillig. Er fühlte, daß der Vorschlag berechtigt
war, und so teilten sie denn die Macht mit einander. Der alte Jens behielt
die Zügel, Tippe bekam die Peitsche, und damit schwand die letzte Wolke, und
vorwärts gings zu einem Fest und einer Freude, wie Tippe sie nie gekannt hatte.

Niemals hatten die großen, schattigen Bäume des Waldes so freundlich
genickt, nie hatten so zahlreiche Blumen auf der Erde geblüht, nie sangen die
zwitschernden Vögel einem kleinen Jungen so ein herzliches Willkommen ent¬
gegen, wie sie an diesem wunderschönen Tage alle dein kleinen Tippe zunickten
und für ihn sangen und blühten.

Und welch eine Menge von Tuten und Packeten holte Tippes Mutter aus
dem Wagen hervor! Welche Schätze breitete sie auf dem schneeweißen Tisch-
tnche aus, das sie auf den grünen Waldboden gelegt hatte! Und er selber saß mit
über einander geschlagenen Beinen da und schaute in stiller Verwunderung zu.
Und als nun alle Vorbereitungen beendet waren, und Tippe aufgefordert
wurde, zuerst zu nehmen und selber zuzugreifen, da war ihm, als hätte das
Glück ihn schon so satt gemacht, daß er nicht mehr essen konnte.

Aber wenn auch Tippe nicht viel von allen den Schätzen genießen konnte,
so hat es doch wohl selten einen fröhlicheren, dankbareren kleinen Jungen ge¬
geben als ihn. Und wie lustig war doch das alte Einspänuerpferd, das sich
die Vrotbrocken ins Maul stecken ließ und dann, wenn es sie hinuntergeschluckt
hatte, mit schiefem Kopfe dastand und auf mehr wartete.


Gevatter Tod.

Bei diesen Worten blieb er stehen und sah Tippe an, als habe er einen
vorzüglichen Einfall bekommen, und Tippe versprach, die Bestellung auszurichten,
und das that er denn auch noch an demselben Vormittage.

Aber als der Nachmittag kam, bewegte sich ein Wagen aus dem Dorfe,
und das ganze Dorf sah ihm nach, als sollte es sich die Augen vor Verwunde¬
rung aus dem Kopfe sehen. Es war der alte Totengräber Jens, der die Schul¬
meisterswitwe und ihren kleinen Sohn in den Wald fuhr; er wollte doch den
guten Leuten zeigen, daß Tippe auch jemand hatte, mit dem er sich sehen
lassen konnte.

Im feinsten Staate, als ginge es zu einer Hochzeit, saß er kerzengerade
auf dem Bocke, seine ernsten Mienen auf das kleine Einspännerpferd gerichtet.
Er schaute so zufrieden drein, man konnte es ihm ansehen, daß er heute etwas
Besondres im Schilde führte. Und Tippe saß mit strahlendem Gesicht an
seiner Seite, und doch war er noch nicht ganz zufrieden; er hätte gar zu gern
Zügel und Peitsche gehalten.

Laß mir nur den Oberbefehl, Tippe, so lange wir über etwas zu befehlen
haben! ermahnte der alte Jens mit Würde.

Wenn wir nichts mehr haben, worüber wir befehlen können, dann kannst
du den Oberbefehl allein haben, antwortete Tippe. Jetzt mußt du mich auch
einmal fahren lasten!

Der alte Jens war nicht unbillig. Er fühlte, daß der Vorschlag berechtigt
war, und so teilten sie denn die Macht mit einander. Der alte Jens behielt
die Zügel, Tippe bekam die Peitsche, und damit schwand die letzte Wolke, und
vorwärts gings zu einem Fest und einer Freude, wie Tippe sie nie gekannt hatte.

Niemals hatten die großen, schattigen Bäume des Waldes so freundlich
genickt, nie hatten so zahlreiche Blumen auf der Erde geblüht, nie sangen die
zwitschernden Vögel einem kleinen Jungen so ein herzliches Willkommen ent¬
gegen, wie sie an diesem wunderschönen Tage alle dein kleinen Tippe zunickten
und für ihn sangen und blühten.

Und welch eine Menge von Tuten und Packeten holte Tippes Mutter aus
dem Wagen hervor! Welche Schätze breitete sie auf dem schneeweißen Tisch-
tnche aus, das sie auf den grünen Waldboden gelegt hatte! Und er selber saß mit
über einander geschlagenen Beinen da und schaute in stiller Verwunderung zu.
Und als nun alle Vorbereitungen beendet waren, und Tippe aufgefordert
wurde, zuerst zu nehmen und selber zuzugreifen, da war ihm, als hätte das
Glück ihn schon so satt gemacht, daß er nicht mehr essen konnte.

Aber wenn auch Tippe nicht viel von allen den Schätzen genießen konnte,
so hat es doch wohl selten einen fröhlicheren, dankbareren kleinen Jungen ge¬
geben als ihn. Und wie lustig war doch das alte Einspänuerpferd, das sich
die Vrotbrocken ins Maul stecken ließ und dann, wenn es sie hinuntergeschluckt
hatte, mit schiefem Kopfe dastand und auf mehr wartete.


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[0507] Gevatter Tod. Bei diesen Worten blieb er stehen und sah Tippe an, als habe er einen vorzüglichen Einfall bekommen, und Tippe versprach, die Bestellung auszurichten, und das that er denn auch noch an demselben Vormittage. Aber als der Nachmittag kam, bewegte sich ein Wagen aus dem Dorfe, und das ganze Dorf sah ihm nach, als sollte es sich die Augen vor Verwunde¬ rung aus dem Kopfe sehen. Es war der alte Totengräber Jens, der die Schul¬ meisterswitwe und ihren kleinen Sohn in den Wald fuhr; er wollte doch den guten Leuten zeigen, daß Tippe auch jemand hatte, mit dem er sich sehen lassen konnte. Im feinsten Staate, als ginge es zu einer Hochzeit, saß er kerzengerade auf dem Bocke, seine ernsten Mienen auf das kleine Einspännerpferd gerichtet. Er schaute so zufrieden drein, man konnte es ihm ansehen, daß er heute etwas Besondres im Schilde führte. Und Tippe saß mit strahlendem Gesicht an seiner Seite, und doch war er noch nicht ganz zufrieden; er hätte gar zu gern Zügel und Peitsche gehalten. Laß mir nur den Oberbefehl, Tippe, so lange wir über etwas zu befehlen haben! ermahnte der alte Jens mit Würde. Wenn wir nichts mehr haben, worüber wir befehlen können, dann kannst du den Oberbefehl allein haben, antwortete Tippe. Jetzt mußt du mich auch einmal fahren lasten! Der alte Jens war nicht unbillig. Er fühlte, daß der Vorschlag berechtigt war, und so teilten sie denn die Macht mit einander. Der alte Jens behielt die Zügel, Tippe bekam die Peitsche, und damit schwand die letzte Wolke, und vorwärts gings zu einem Fest und einer Freude, wie Tippe sie nie gekannt hatte. Niemals hatten die großen, schattigen Bäume des Waldes so freundlich genickt, nie hatten so zahlreiche Blumen auf der Erde geblüht, nie sangen die zwitschernden Vögel einem kleinen Jungen so ein herzliches Willkommen ent¬ gegen, wie sie an diesem wunderschönen Tage alle dein kleinen Tippe zunickten und für ihn sangen und blühten. Und welch eine Menge von Tuten und Packeten holte Tippes Mutter aus dem Wagen hervor! Welche Schätze breitete sie auf dem schneeweißen Tisch- tnche aus, das sie auf den grünen Waldboden gelegt hatte! Und er selber saß mit über einander geschlagenen Beinen da und schaute in stiller Verwunderung zu. Und als nun alle Vorbereitungen beendet waren, und Tippe aufgefordert wurde, zuerst zu nehmen und selber zuzugreifen, da war ihm, als hätte das Glück ihn schon so satt gemacht, daß er nicht mehr essen konnte. Aber wenn auch Tippe nicht viel von allen den Schätzen genießen konnte, so hat es doch wohl selten einen fröhlicheren, dankbareren kleinen Jungen ge¬ geben als ihn. Und wie lustig war doch das alte Einspänuerpferd, das sich die Vrotbrocken ins Maul stecken ließ und dann, wenn es sie hinuntergeschluckt hatte, mit schiefem Kopfe dastand und auf mehr wartete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/507>, abgerufen am 22.07.2024.