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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

schränken, daß sie Männer "nicht ohne Kenntnis und Geschicklichkeit" seien. Mit
einem Worte, er ist eifrig bemüht, zwar den Feldzug von "Kunst und Alter¬
tum" gegen das künstliche Mittelalter zu unterstützen, will aber alle lebens¬
fähigen Keime vor dem Nordhauch lediglich abfälliger Kritik schützen. Die
Weimarer Kunstfreunde setzten bekanntlich ihren Feldzug nicht fort, vielleicht daß
Rochlitzens Mitteilungen einigen Anteil hieran hatten.

Das letzte Jahrzehnt, welches Goethe zu leben vergönnt war, begleitete
Rochlitz mit unablässigem Anteil, mit jener, ich möchte sagen, produktiven Ver¬
ehrung, an der allein dem großen schöpferischen Menschen gelegen sein kann.
Rochlitz braucht, als er 1829 Goethe über die "Wanderjahre" schreibt, einmal
das Wort: "Und wenn ich in meinen Äußerungen das Werk bloß als für mich
geschrieben betrachte: so entschuldige ich das auch nicht. Wenn doch nur jeder
Leser mit jedem guten Buche es ebenso machte! es stünde dann um ihn selbst
weit besser als gewöhnlich, und um den Autor auch nicht schlimm." Ein solcher
"Leser" durfte wahrlich ohne Überhebung Goethe zurufen: "Himmel, wie muß
es Ihnen sein, Ihnen, in literarischer Wirksamkeit nach allen Seiten hinaus
schon längst und immerfort dem Ersten in der Welt! Nun: genießen Sie es
noch lange, ungetrübt, vollkräftig! Ich bekomme auch was davon und ein gut
Teil, in freudiger Teilnahme nämlich!"

Daß Rochlitz aus dem immer vertraulicheren Verkehr mit dem Dichter
und dem stets tieferen Eindringen in dessen gewaltige Lebensarbeit mehr als
freudige Teilnahme davontrug, ward schon oben berührt. Im Jahre 1819
ergriff den Leipziger Schriftsteller, der 1813 und 1814 dem Lazarettyphus,
welcher seine Vaterstadt entvölkerte, siegreich getrotzt hatte, in guter und behag¬
licher Zeit ein heftiges Nervenfieber. Und als er vom Krankenlager wieder
erstand, da schrieb er an Goethe jenen rührend zutrauensvvllen Brief, in welchem
er ihm Kunde von den Wandlungen und Entschlüssen gab, die seine Genesung
und das Gefühl erneuter Lebenshoffnung in ihm geweckt hatten. Er gab es
zu, daß seine persönliche Wirkung und Anregung auf zahlreiche Künstler das
Beste sein möge, was er geleistet. Aber er fügte mit bescheidnen Selbstgefühl
hinzu: "Ich habe für jene Kunst, welche nun einmal fast alles allgemeine Kuust-
vermögen in unsern Tagen absorbirt sdie Musik natürlich^, zuerst eine Literatur
geschaffen, in das Chaos bewußtloser verworrener Bestrebungen reichbegabtcr
Geister zuerst Gedanken und Ordnung und sicher" Zweck bringen helfen, das
ist denn auch was wert, wenigstens als zeitgemäß, als etwas, das besser zu
machen kein andrer da war, als etwas auch, das mit unsäglicher Mühe und
Beschwerde, ohne Dank und ohne Lohn zu stände gebracht worden. Endlich,
ich habe geschrieben (gedichtet wage ich kaum zu sagen), viel geschrieben, bei
weitem zu früh geschrieben, und dafür erst unverdienten Beifall und reichlichen
Lohn, dann ungefähr gleich unverdiente Gleichgiltigkeit oder höchstens das zwei¬
deutige Ding gefunden, das die Franzosen Beifall der Achtung nennen. Nun


Goethe und Rochlitz.

schränken, daß sie Männer „nicht ohne Kenntnis und Geschicklichkeit" seien. Mit
einem Worte, er ist eifrig bemüht, zwar den Feldzug von „Kunst und Alter¬
tum" gegen das künstliche Mittelalter zu unterstützen, will aber alle lebens¬
fähigen Keime vor dem Nordhauch lediglich abfälliger Kritik schützen. Die
Weimarer Kunstfreunde setzten bekanntlich ihren Feldzug nicht fort, vielleicht daß
Rochlitzens Mitteilungen einigen Anteil hieran hatten.

Das letzte Jahrzehnt, welches Goethe zu leben vergönnt war, begleitete
Rochlitz mit unablässigem Anteil, mit jener, ich möchte sagen, produktiven Ver¬
ehrung, an der allein dem großen schöpferischen Menschen gelegen sein kann.
Rochlitz braucht, als er 1829 Goethe über die „Wanderjahre" schreibt, einmal
das Wort: „Und wenn ich in meinen Äußerungen das Werk bloß als für mich
geschrieben betrachte: so entschuldige ich das auch nicht. Wenn doch nur jeder
Leser mit jedem guten Buche es ebenso machte! es stünde dann um ihn selbst
weit besser als gewöhnlich, und um den Autor auch nicht schlimm." Ein solcher
„Leser" durfte wahrlich ohne Überhebung Goethe zurufen: „Himmel, wie muß
es Ihnen sein, Ihnen, in literarischer Wirksamkeit nach allen Seiten hinaus
schon längst und immerfort dem Ersten in der Welt! Nun: genießen Sie es
noch lange, ungetrübt, vollkräftig! Ich bekomme auch was davon und ein gut
Teil, in freudiger Teilnahme nämlich!"

Daß Rochlitz aus dem immer vertraulicheren Verkehr mit dem Dichter
und dem stets tieferen Eindringen in dessen gewaltige Lebensarbeit mehr als
freudige Teilnahme davontrug, ward schon oben berührt. Im Jahre 1819
ergriff den Leipziger Schriftsteller, der 1813 und 1814 dem Lazarettyphus,
welcher seine Vaterstadt entvölkerte, siegreich getrotzt hatte, in guter und behag¬
licher Zeit ein heftiges Nervenfieber. Und als er vom Krankenlager wieder
erstand, da schrieb er an Goethe jenen rührend zutrauensvvllen Brief, in welchem
er ihm Kunde von den Wandlungen und Entschlüssen gab, die seine Genesung
und das Gefühl erneuter Lebenshoffnung in ihm geweckt hatten. Er gab es
zu, daß seine persönliche Wirkung und Anregung auf zahlreiche Künstler das
Beste sein möge, was er geleistet. Aber er fügte mit bescheidnen Selbstgefühl
hinzu: „Ich habe für jene Kunst, welche nun einmal fast alles allgemeine Kuust-
vermögen in unsern Tagen absorbirt sdie Musik natürlich^, zuerst eine Literatur
geschaffen, in das Chaos bewußtloser verworrener Bestrebungen reichbegabtcr
Geister zuerst Gedanken und Ordnung und sicher» Zweck bringen helfen, das
ist denn auch was wert, wenigstens als zeitgemäß, als etwas, das besser zu
machen kein andrer da war, als etwas auch, das mit unsäglicher Mühe und
Beschwerde, ohne Dank und ohne Lohn zu stände gebracht worden. Endlich,
ich habe geschrieben (gedichtet wage ich kaum zu sagen), viel geschrieben, bei
weitem zu früh geschrieben, und dafür erst unverdienten Beifall und reichlichen
Lohn, dann ungefähr gleich unverdiente Gleichgiltigkeit oder höchstens das zwei¬
deutige Ding gefunden, das die Franzosen Beifall der Achtung nennen. Nun


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[0494] Goethe und Rochlitz. schränken, daß sie Männer „nicht ohne Kenntnis und Geschicklichkeit" seien. Mit einem Worte, er ist eifrig bemüht, zwar den Feldzug von „Kunst und Alter¬ tum" gegen das künstliche Mittelalter zu unterstützen, will aber alle lebens¬ fähigen Keime vor dem Nordhauch lediglich abfälliger Kritik schützen. Die Weimarer Kunstfreunde setzten bekanntlich ihren Feldzug nicht fort, vielleicht daß Rochlitzens Mitteilungen einigen Anteil hieran hatten. Das letzte Jahrzehnt, welches Goethe zu leben vergönnt war, begleitete Rochlitz mit unablässigem Anteil, mit jener, ich möchte sagen, produktiven Ver¬ ehrung, an der allein dem großen schöpferischen Menschen gelegen sein kann. Rochlitz braucht, als er 1829 Goethe über die „Wanderjahre" schreibt, einmal das Wort: „Und wenn ich in meinen Äußerungen das Werk bloß als für mich geschrieben betrachte: so entschuldige ich das auch nicht. Wenn doch nur jeder Leser mit jedem guten Buche es ebenso machte! es stünde dann um ihn selbst weit besser als gewöhnlich, und um den Autor auch nicht schlimm." Ein solcher „Leser" durfte wahrlich ohne Überhebung Goethe zurufen: „Himmel, wie muß es Ihnen sein, Ihnen, in literarischer Wirksamkeit nach allen Seiten hinaus schon längst und immerfort dem Ersten in der Welt! Nun: genießen Sie es noch lange, ungetrübt, vollkräftig! Ich bekomme auch was davon und ein gut Teil, in freudiger Teilnahme nämlich!" Daß Rochlitz aus dem immer vertraulicheren Verkehr mit dem Dichter und dem stets tieferen Eindringen in dessen gewaltige Lebensarbeit mehr als freudige Teilnahme davontrug, ward schon oben berührt. Im Jahre 1819 ergriff den Leipziger Schriftsteller, der 1813 und 1814 dem Lazarettyphus, welcher seine Vaterstadt entvölkerte, siegreich getrotzt hatte, in guter und behag¬ licher Zeit ein heftiges Nervenfieber. Und als er vom Krankenlager wieder erstand, da schrieb er an Goethe jenen rührend zutrauensvvllen Brief, in welchem er ihm Kunde von den Wandlungen und Entschlüssen gab, die seine Genesung und das Gefühl erneuter Lebenshoffnung in ihm geweckt hatten. Er gab es zu, daß seine persönliche Wirkung und Anregung auf zahlreiche Künstler das Beste sein möge, was er geleistet. Aber er fügte mit bescheidnen Selbstgefühl hinzu: „Ich habe für jene Kunst, welche nun einmal fast alles allgemeine Kuust- vermögen in unsern Tagen absorbirt sdie Musik natürlich^, zuerst eine Literatur geschaffen, in das Chaos bewußtloser verworrener Bestrebungen reichbegabtcr Geister zuerst Gedanken und Ordnung und sicher» Zweck bringen helfen, das ist denn auch was wert, wenigstens als zeitgemäß, als etwas, das besser zu machen kein andrer da war, als etwas auch, das mit unsäglicher Mühe und Beschwerde, ohne Dank und ohne Lohn zu stände gebracht worden. Endlich, ich habe geschrieben (gedichtet wage ich kaum zu sagen), viel geschrieben, bei weitem zu früh geschrieben, und dafür erst unverdienten Beifall und reichlichen Lohn, dann ungefähr gleich unverdiente Gleichgiltigkeit oder höchstens das zwei¬ deutige Ding gefunden, das die Franzosen Beifall der Achtung nennen. Nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/494>, abgerufen am 22.07.2024.