Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und Rochlitz.

er geneigt, streitbar gegen alles Ncizcirenertum, allen künstlich künstlerischen
Archaismus, gegen die Verachtung des Naturstudiums aufzutreten. Aber zu¬
gleich wußte er auch, daß es nicht frommen und fruchten könne, die Jugend
auf jene falsch cmtikisirende Kunst- und Malweise zurückzuweisen, deren Ver¬
treter Mengs, Füger, Marou, Burh, Tischbein, Unterberger gewesen waren und
an denen in der Hauptsache Goethes Freund, der Kunstmeyer, festhielt. Ent¬
schlossen spricht es daher Rochlitz in seinem Briefe vom 21. Mai 1817 (Bieder¬
mann 70) aus, daß Goethe "das Löbliche, ja Treffliche im Sinn und Willen
und Vermögen der Bessern jener Verirrten zu einem schönen Zweck führen"
möge, er ahnt, daß die bloße Negation, wie sie Meyer genügte, nichts fördern
könne. "Denn -- alles andre unerwähnt -- haben die Bessern jener Altneuen
nicht und zum Teil in bewundernswürdiger Tüchtigkeit erreicht, was in den
glänzendsten Zeiten der Kunst Italiens, Niederlands und Deutschlands die
Schüler -- zu erreichen angehalten wurden, und was später zum großen Nach¬
teil der Kunst von der Jugend nicht mehr erlangt werden konnte? Und sind
sie, eben jene Bessern, nicht noch jung, fähig, rüstig, geistig gestimmt? Und
sollte nun, da Liebe zur Kunst und Begünstigung derselben unter so vielen Lieb¬
habern, vornehmlich in Deutschland, wieder aufgekommen und mithin Er¬
munterung, Gelegenheit, selbst Ruhm und Lohn wackere Künstler erwartet, auch
im ganzen ein gewisses Streben nach Erlernen und ein Verachten nichtigen
Tantes im Leben mehr, als seit hundert Jahren in der Nation herrschend ge¬
worden . .. sollte da diesen jugendlichen Talenten nicht auch im höheren und
reineren Sinne des Wortes "der Geist" in Frischheit und Eigentümlichkeit nahen,
wenn auch erst ihre Köpfe frei gemacht, der Sinn im allgemeinen aufgeschlossen
und Kopf und Sinn mit dem Auge und der Hand zugleich der Natur, der
Wahrheit, dem Leben in ihrer Fülle, Bedeutung und Anmut wieder zugewendet
sind?"

Aus dieser Anschauung heraus wirkt Rochlitz, indem er mitteilt, was er
von der römisch-deutscheu Malerschule, ihren unmittelbaren Gliedern und ihren
jugendlichen Anhängern, in Erfahrung gebracht hat, für die notwendigen Unter¬
scheidungen. Der Kunstmeycr war geneigt, unterschiedslos die ganze Jugend zu
verurteilen. Rochlitz, indem er nach seiner Weise (in den Briefen vom 21. Juni,
10. Juli 1817; Biedermann 73 und 76) die Geschichte der neudeutsch alt¬
deutschen Malerei erzählt, ist bemüht, den Wert und die Begabung selbst ihm
unsympathischer Naturen, wie der beiden Olivier, sorgfältig hervorzuheben, er
macht sich eine Freude daraus, seine engern Landsleute, die beiden Brüder
Schmorr, dem Altmeister gleichsam vorzustellen, und sagt ausdrücklich, er kenne
keine noch so jungen Künstler, von denen man sich so viel versprechen könnte,
"zumal da sie auch einfache, kräftige, bescheidene, liebe gute Menschen sind,"
und selbst indem er die volle Schale seines Zornes über die Kasseler Gebrüder
Riepenhausen ausgießt, verfehlt er nicht, sein Urteil mit den Worten einzu-


Goethe und Rochlitz.

er geneigt, streitbar gegen alles Ncizcirenertum, allen künstlich künstlerischen
Archaismus, gegen die Verachtung des Naturstudiums aufzutreten. Aber zu¬
gleich wußte er auch, daß es nicht frommen und fruchten könne, die Jugend
auf jene falsch cmtikisirende Kunst- und Malweise zurückzuweisen, deren Ver¬
treter Mengs, Füger, Marou, Burh, Tischbein, Unterberger gewesen waren und
an denen in der Hauptsache Goethes Freund, der Kunstmeyer, festhielt. Ent¬
schlossen spricht es daher Rochlitz in seinem Briefe vom 21. Mai 1817 (Bieder¬
mann 70) aus, daß Goethe „das Löbliche, ja Treffliche im Sinn und Willen
und Vermögen der Bessern jener Verirrten zu einem schönen Zweck führen"
möge, er ahnt, daß die bloße Negation, wie sie Meyer genügte, nichts fördern
könne. „Denn — alles andre unerwähnt — haben die Bessern jener Altneuen
nicht und zum Teil in bewundernswürdiger Tüchtigkeit erreicht, was in den
glänzendsten Zeiten der Kunst Italiens, Niederlands und Deutschlands die
Schüler — zu erreichen angehalten wurden, und was später zum großen Nach¬
teil der Kunst von der Jugend nicht mehr erlangt werden konnte? Und sind
sie, eben jene Bessern, nicht noch jung, fähig, rüstig, geistig gestimmt? Und
sollte nun, da Liebe zur Kunst und Begünstigung derselben unter so vielen Lieb¬
habern, vornehmlich in Deutschland, wieder aufgekommen und mithin Er¬
munterung, Gelegenheit, selbst Ruhm und Lohn wackere Künstler erwartet, auch
im ganzen ein gewisses Streben nach Erlernen und ein Verachten nichtigen
Tantes im Leben mehr, als seit hundert Jahren in der Nation herrschend ge¬
worden . .. sollte da diesen jugendlichen Talenten nicht auch im höheren und
reineren Sinne des Wortes »der Geist« in Frischheit und Eigentümlichkeit nahen,
wenn auch erst ihre Köpfe frei gemacht, der Sinn im allgemeinen aufgeschlossen
und Kopf und Sinn mit dem Auge und der Hand zugleich der Natur, der
Wahrheit, dem Leben in ihrer Fülle, Bedeutung und Anmut wieder zugewendet
sind?"

Aus dieser Anschauung heraus wirkt Rochlitz, indem er mitteilt, was er
von der römisch-deutscheu Malerschule, ihren unmittelbaren Gliedern und ihren
jugendlichen Anhängern, in Erfahrung gebracht hat, für die notwendigen Unter¬
scheidungen. Der Kunstmeycr war geneigt, unterschiedslos die ganze Jugend zu
verurteilen. Rochlitz, indem er nach seiner Weise (in den Briefen vom 21. Juni,
10. Juli 1817; Biedermann 73 und 76) die Geschichte der neudeutsch alt¬
deutschen Malerei erzählt, ist bemüht, den Wert und die Begabung selbst ihm
unsympathischer Naturen, wie der beiden Olivier, sorgfältig hervorzuheben, er
macht sich eine Freude daraus, seine engern Landsleute, die beiden Brüder
Schmorr, dem Altmeister gleichsam vorzustellen, und sagt ausdrücklich, er kenne
keine noch so jungen Künstler, von denen man sich so viel versprechen könnte,
„zumal da sie auch einfache, kräftige, bescheidene, liebe gute Menschen sind,"
und selbst indem er die volle Schale seines Zornes über die Kasseler Gebrüder
Riepenhausen ausgießt, verfehlt er nicht, sein Urteil mit den Worten einzu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201922"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und Rochlitz.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1213" prev="#ID_1212"> er geneigt, streitbar gegen alles Ncizcirenertum, allen künstlich künstlerischen<lb/>
Archaismus, gegen die Verachtung des Naturstudiums aufzutreten. Aber zu¬<lb/>
gleich wußte er auch, daß es nicht frommen und fruchten könne, die Jugend<lb/>
auf jene falsch cmtikisirende Kunst- und Malweise zurückzuweisen, deren Ver¬<lb/>
treter Mengs, Füger, Marou, Burh, Tischbein, Unterberger gewesen waren und<lb/>
an denen in der Hauptsache Goethes Freund, der Kunstmeyer, festhielt. Ent¬<lb/>
schlossen spricht es daher Rochlitz in seinem Briefe vom 21. Mai 1817 (Bieder¬<lb/>
mann 70) aus, daß Goethe &#x201E;das Löbliche, ja Treffliche im Sinn und Willen<lb/>
und Vermögen der Bessern jener Verirrten zu einem schönen Zweck führen"<lb/>
möge, er ahnt, daß die bloße Negation, wie sie Meyer genügte, nichts fördern<lb/>
könne. &#x201E;Denn &#x2014; alles andre unerwähnt &#x2014; haben die Bessern jener Altneuen<lb/>
nicht und zum Teil in bewundernswürdiger Tüchtigkeit erreicht, was in den<lb/>
glänzendsten Zeiten der Kunst Italiens, Niederlands und Deutschlands die<lb/>
Schüler &#x2014; zu erreichen angehalten wurden, und was später zum großen Nach¬<lb/>
teil der Kunst von der Jugend nicht mehr erlangt werden konnte? Und sind<lb/>
sie, eben jene Bessern, nicht noch jung, fähig, rüstig, geistig gestimmt? Und<lb/>
sollte nun, da Liebe zur Kunst und Begünstigung derselben unter so vielen Lieb¬<lb/>
habern, vornehmlich in Deutschland, wieder aufgekommen und mithin Er¬<lb/>
munterung, Gelegenheit, selbst Ruhm und Lohn wackere Künstler erwartet, auch<lb/>
im ganzen ein gewisses Streben nach Erlernen und ein Verachten nichtigen<lb/>
Tantes im Leben mehr, als seit hundert Jahren in der Nation herrschend ge¬<lb/>
worden . .. sollte da diesen jugendlichen Talenten nicht auch im höheren und<lb/>
reineren Sinne des Wortes »der Geist« in Frischheit und Eigentümlichkeit nahen,<lb/>
wenn auch erst ihre Köpfe frei gemacht, der Sinn im allgemeinen aufgeschlossen<lb/>
und Kopf und Sinn mit dem Auge und der Hand zugleich der Natur, der<lb/>
Wahrheit, dem Leben in ihrer Fülle, Bedeutung und Anmut wieder zugewendet<lb/>
sind?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Aus dieser Anschauung heraus wirkt Rochlitz, indem er mitteilt, was er<lb/>
von der römisch-deutscheu Malerschule, ihren unmittelbaren Gliedern und ihren<lb/>
jugendlichen Anhängern, in Erfahrung gebracht hat, für die notwendigen Unter¬<lb/>
scheidungen. Der Kunstmeycr war geneigt, unterschiedslos die ganze Jugend zu<lb/>
verurteilen. Rochlitz, indem er nach seiner Weise (in den Briefen vom 21. Juni,<lb/>
10. Juli 1817; Biedermann 73 und 76) die Geschichte der neudeutsch alt¬<lb/>
deutschen Malerei erzählt, ist bemüht, den Wert und die Begabung selbst ihm<lb/>
unsympathischer Naturen, wie der beiden Olivier, sorgfältig hervorzuheben, er<lb/>
macht sich eine Freude daraus, seine engern Landsleute, die beiden Brüder<lb/>
Schmorr, dem Altmeister gleichsam vorzustellen, und sagt ausdrücklich, er kenne<lb/>
keine noch so jungen Künstler, von denen man sich so viel versprechen könnte,<lb/>
&#x201E;zumal da sie auch einfache, kräftige, bescheidene, liebe gute Menschen sind,"<lb/>
und selbst indem er die volle Schale seines Zornes über die Kasseler Gebrüder<lb/>
Riepenhausen ausgießt, verfehlt er nicht, sein Urteil mit den Worten einzu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] Goethe und Rochlitz. er geneigt, streitbar gegen alles Ncizcirenertum, allen künstlich künstlerischen Archaismus, gegen die Verachtung des Naturstudiums aufzutreten. Aber zu¬ gleich wußte er auch, daß es nicht frommen und fruchten könne, die Jugend auf jene falsch cmtikisirende Kunst- und Malweise zurückzuweisen, deren Ver¬ treter Mengs, Füger, Marou, Burh, Tischbein, Unterberger gewesen waren und an denen in der Hauptsache Goethes Freund, der Kunstmeyer, festhielt. Ent¬ schlossen spricht es daher Rochlitz in seinem Briefe vom 21. Mai 1817 (Bieder¬ mann 70) aus, daß Goethe „das Löbliche, ja Treffliche im Sinn und Willen und Vermögen der Bessern jener Verirrten zu einem schönen Zweck führen" möge, er ahnt, daß die bloße Negation, wie sie Meyer genügte, nichts fördern könne. „Denn — alles andre unerwähnt — haben die Bessern jener Altneuen nicht und zum Teil in bewundernswürdiger Tüchtigkeit erreicht, was in den glänzendsten Zeiten der Kunst Italiens, Niederlands und Deutschlands die Schüler — zu erreichen angehalten wurden, und was später zum großen Nach¬ teil der Kunst von der Jugend nicht mehr erlangt werden konnte? Und sind sie, eben jene Bessern, nicht noch jung, fähig, rüstig, geistig gestimmt? Und sollte nun, da Liebe zur Kunst und Begünstigung derselben unter so vielen Lieb¬ habern, vornehmlich in Deutschland, wieder aufgekommen und mithin Er¬ munterung, Gelegenheit, selbst Ruhm und Lohn wackere Künstler erwartet, auch im ganzen ein gewisses Streben nach Erlernen und ein Verachten nichtigen Tantes im Leben mehr, als seit hundert Jahren in der Nation herrschend ge¬ worden . .. sollte da diesen jugendlichen Talenten nicht auch im höheren und reineren Sinne des Wortes »der Geist« in Frischheit und Eigentümlichkeit nahen, wenn auch erst ihre Köpfe frei gemacht, der Sinn im allgemeinen aufgeschlossen und Kopf und Sinn mit dem Auge und der Hand zugleich der Natur, der Wahrheit, dem Leben in ihrer Fülle, Bedeutung und Anmut wieder zugewendet sind?" Aus dieser Anschauung heraus wirkt Rochlitz, indem er mitteilt, was er von der römisch-deutscheu Malerschule, ihren unmittelbaren Gliedern und ihren jugendlichen Anhängern, in Erfahrung gebracht hat, für die notwendigen Unter¬ scheidungen. Der Kunstmeycr war geneigt, unterschiedslos die ganze Jugend zu verurteilen. Rochlitz, indem er nach seiner Weise (in den Briefen vom 21. Juni, 10. Juli 1817; Biedermann 73 und 76) die Geschichte der neudeutsch alt¬ deutschen Malerei erzählt, ist bemüht, den Wert und die Begabung selbst ihm unsympathischer Naturen, wie der beiden Olivier, sorgfältig hervorzuheben, er macht sich eine Freude daraus, seine engern Landsleute, die beiden Brüder Schmorr, dem Altmeister gleichsam vorzustellen, und sagt ausdrücklich, er kenne keine noch so jungen Künstler, von denen man sich so viel versprechen könnte, „zumal da sie auch einfache, kräftige, bescheidene, liebe gute Menschen sind," und selbst indem er die volle Schale seines Zornes über die Kasseler Gebrüder Riepenhausen ausgießt, verfehlt er nicht, sein Urteil mit den Worten einzu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/493>, abgerufen am 22.07.2024.