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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

bin ich die lange Zeile meiner Bünde durchlaufen und wirklich erschrocken vor
ihrer Zahl und der Unbedeutendheit bei weitem der meisten, fast alles des
Früher. Allein bei anderen -- würde es auch in einem Grundriß unsrer Literatur
mehr der Gattung als des Stoffes oder der Form wegen sehr unterzuordnen
sein --, bei diesem dürfte ich mir doch zugestehen, es verdiene aufbehalten zu
werden und könne fernerhin nützen oder erfreuen. Dies nun sämtlich aus dem
engen zwar, doch mir eignen und von der Natur angewiesenen Fach, dem breiten,
stockenden Naß zu entfischen, es passend zusammenzustellen und besser zu
formen: das wurde mein Vorsatz, an dessen Ausführung ich sogleich ging. In
ländlicher Ruhe, unter sclbstgepflanzten Bäumen arbeite ich täglich, stündlich,
stets zweierlei im Auge: es wird dies dem Letztes in dieser Gattung; es soll
den Besten, die dir das Geschick gegeben, Wohlgefallen! Unter diesen nun aber
sind Sie der erste" (14. August 1819; Biedermann 86). Die erste Frucht dieser
Selbstkritik, dieser Zusammenfassung und dieses im funfzigsten Jahre rühmlichen
Jünglingseifers war das Buch "Für Freunde der Tonkunst." Es brachte
Rochlitz einen Erfolg, von dem er in der Jugend eben nur geträumt hatte und
den er als einen großen und nachhaltigen wohl empfinden mußte. Mit dem
vollen Ernst seines Wesens schrieb er (Is. Mai 1824) an Goethe: "Es ist nicht
mein Verdienst, ich habe nur einmal das Pünktchen getroffen. Darum soll es
mich auch nicht im Geringsten einbildisch oder ruhmredig, sondern nur für die
Fortsetzung noch sorgsamer machen."

Es ist leicht, aus der öden, aller wahrhaften Teilnahme an den Dingen,
aller sachlichen Hingebung baren modernen Geschicklichkeit heraus eines Schrift¬
stellers wie Rochlitz zu spotten. Die Feuilletonisten im Vollbesitz des Schein¬
reichtums von Phrasen und Schlagworten, von eingebildeter Welt- und Menschen¬
kenntnis ahnen gar uicht, wie wenig ihnen im Grunde von alledem gehört und wie
wenig mit diesem Vermögen auszurichten ist. Daß die Einfachheit, die Schmuck¬
losigkeit der Rochlitzschen Bilder, Charakterschilderungen, der Dialoge, Abhand¬
lungen, der Reiseblätter und selbst eines Teils der "veralteten" Erzählungen viel
Sinn, wahrhaften Gehalt, Erlebtes und Erfahrenes birgt, daß nur eine reife, un¬
ablässig geförderte und am Besten aller Kunst genährte Bildung zu dieser reichen
Einfachheit durchdringen konnte, ist den geistreichen Feuilletonisten des Tages
vollkommen unverständlich. Sie kümmern sich nicht darum, wie viel vergäng¬
licher und rascher abgenutzt ihre nicht gewonnene, sondern aus Schopenhauer
und Carlyle, aus Büchmanns Geflügelten Worten und alten Kladderadatsch¬
bänden erborgte, durch und durch hohle Geistreichigkeit sein wird. Auch
nach dieser Richtung hin könnte die Veröffentlichung des Goethe-Rochlitzschen
Briefwechsels sehr wertvoll und wirksam sein, indem er einmal zu genauer
Untersuchung Anlaß gäbe, das Verhältnis der stilistischen Gewandtheit der
"Blender" in jedem Sinne zum wirklichen Inhalte von Schriftwerken etwas
genauer zu prüfen. Doch wird man sich wohl hüten, darauf einzugehen, gedenkt


Goethe und Rochlitz.

bin ich die lange Zeile meiner Bünde durchlaufen und wirklich erschrocken vor
ihrer Zahl und der Unbedeutendheit bei weitem der meisten, fast alles des
Früher. Allein bei anderen — würde es auch in einem Grundriß unsrer Literatur
mehr der Gattung als des Stoffes oder der Form wegen sehr unterzuordnen
sein —, bei diesem dürfte ich mir doch zugestehen, es verdiene aufbehalten zu
werden und könne fernerhin nützen oder erfreuen. Dies nun sämtlich aus dem
engen zwar, doch mir eignen und von der Natur angewiesenen Fach, dem breiten,
stockenden Naß zu entfischen, es passend zusammenzustellen und besser zu
formen: das wurde mein Vorsatz, an dessen Ausführung ich sogleich ging. In
ländlicher Ruhe, unter sclbstgepflanzten Bäumen arbeite ich täglich, stündlich,
stets zweierlei im Auge: es wird dies dem Letztes in dieser Gattung; es soll
den Besten, die dir das Geschick gegeben, Wohlgefallen! Unter diesen nun aber
sind Sie der erste" (14. August 1819; Biedermann 86). Die erste Frucht dieser
Selbstkritik, dieser Zusammenfassung und dieses im funfzigsten Jahre rühmlichen
Jünglingseifers war das Buch „Für Freunde der Tonkunst." Es brachte
Rochlitz einen Erfolg, von dem er in der Jugend eben nur geträumt hatte und
den er als einen großen und nachhaltigen wohl empfinden mußte. Mit dem
vollen Ernst seines Wesens schrieb er (Is. Mai 1824) an Goethe: „Es ist nicht
mein Verdienst, ich habe nur einmal das Pünktchen getroffen. Darum soll es
mich auch nicht im Geringsten einbildisch oder ruhmredig, sondern nur für die
Fortsetzung noch sorgsamer machen."

Es ist leicht, aus der öden, aller wahrhaften Teilnahme an den Dingen,
aller sachlichen Hingebung baren modernen Geschicklichkeit heraus eines Schrift¬
stellers wie Rochlitz zu spotten. Die Feuilletonisten im Vollbesitz des Schein¬
reichtums von Phrasen und Schlagworten, von eingebildeter Welt- und Menschen¬
kenntnis ahnen gar uicht, wie wenig ihnen im Grunde von alledem gehört und wie
wenig mit diesem Vermögen auszurichten ist. Daß die Einfachheit, die Schmuck¬
losigkeit der Rochlitzschen Bilder, Charakterschilderungen, der Dialoge, Abhand¬
lungen, der Reiseblätter und selbst eines Teils der „veralteten" Erzählungen viel
Sinn, wahrhaften Gehalt, Erlebtes und Erfahrenes birgt, daß nur eine reife, un¬
ablässig geförderte und am Besten aller Kunst genährte Bildung zu dieser reichen
Einfachheit durchdringen konnte, ist den geistreichen Feuilletonisten des Tages
vollkommen unverständlich. Sie kümmern sich nicht darum, wie viel vergäng¬
licher und rascher abgenutzt ihre nicht gewonnene, sondern aus Schopenhauer
und Carlyle, aus Büchmanns Geflügelten Worten und alten Kladderadatsch¬
bänden erborgte, durch und durch hohle Geistreichigkeit sein wird. Auch
nach dieser Richtung hin könnte die Veröffentlichung des Goethe-Rochlitzschen
Briefwechsels sehr wertvoll und wirksam sein, indem er einmal zu genauer
Untersuchung Anlaß gäbe, das Verhältnis der stilistischen Gewandtheit der
„Blender" in jedem Sinne zum wirklichen Inhalte von Schriftwerken etwas
genauer zu prüfen. Doch wird man sich wohl hüten, darauf einzugehen, gedenkt


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[0495] Goethe und Rochlitz. bin ich die lange Zeile meiner Bünde durchlaufen und wirklich erschrocken vor ihrer Zahl und der Unbedeutendheit bei weitem der meisten, fast alles des Früher. Allein bei anderen — würde es auch in einem Grundriß unsrer Literatur mehr der Gattung als des Stoffes oder der Form wegen sehr unterzuordnen sein —, bei diesem dürfte ich mir doch zugestehen, es verdiene aufbehalten zu werden und könne fernerhin nützen oder erfreuen. Dies nun sämtlich aus dem engen zwar, doch mir eignen und von der Natur angewiesenen Fach, dem breiten, stockenden Naß zu entfischen, es passend zusammenzustellen und besser zu formen: das wurde mein Vorsatz, an dessen Ausführung ich sogleich ging. In ländlicher Ruhe, unter sclbstgepflanzten Bäumen arbeite ich täglich, stündlich, stets zweierlei im Auge: es wird dies dem Letztes in dieser Gattung; es soll den Besten, die dir das Geschick gegeben, Wohlgefallen! Unter diesen nun aber sind Sie der erste" (14. August 1819; Biedermann 86). Die erste Frucht dieser Selbstkritik, dieser Zusammenfassung und dieses im funfzigsten Jahre rühmlichen Jünglingseifers war das Buch „Für Freunde der Tonkunst." Es brachte Rochlitz einen Erfolg, von dem er in der Jugend eben nur geträumt hatte und den er als einen großen und nachhaltigen wohl empfinden mußte. Mit dem vollen Ernst seines Wesens schrieb er (Is. Mai 1824) an Goethe: „Es ist nicht mein Verdienst, ich habe nur einmal das Pünktchen getroffen. Darum soll es mich auch nicht im Geringsten einbildisch oder ruhmredig, sondern nur für die Fortsetzung noch sorgsamer machen." Es ist leicht, aus der öden, aller wahrhaften Teilnahme an den Dingen, aller sachlichen Hingebung baren modernen Geschicklichkeit heraus eines Schrift¬ stellers wie Rochlitz zu spotten. Die Feuilletonisten im Vollbesitz des Schein¬ reichtums von Phrasen und Schlagworten, von eingebildeter Welt- und Menschen¬ kenntnis ahnen gar uicht, wie wenig ihnen im Grunde von alledem gehört und wie wenig mit diesem Vermögen auszurichten ist. Daß die Einfachheit, die Schmuck¬ losigkeit der Rochlitzschen Bilder, Charakterschilderungen, der Dialoge, Abhand¬ lungen, der Reiseblätter und selbst eines Teils der „veralteten" Erzählungen viel Sinn, wahrhaften Gehalt, Erlebtes und Erfahrenes birgt, daß nur eine reife, un¬ ablässig geförderte und am Besten aller Kunst genährte Bildung zu dieser reichen Einfachheit durchdringen konnte, ist den geistreichen Feuilletonisten des Tages vollkommen unverständlich. Sie kümmern sich nicht darum, wie viel vergäng¬ licher und rascher abgenutzt ihre nicht gewonnene, sondern aus Schopenhauer und Carlyle, aus Büchmanns Geflügelten Worten und alten Kladderadatsch¬ bänden erborgte, durch und durch hohle Geistreichigkeit sein wird. Auch nach dieser Richtung hin könnte die Veröffentlichung des Goethe-Rochlitzschen Briefwechsels sehr wertvoll und wirksam sein, indem er einmal zu genauer Untersuchung Anlaß gäbe, das Verhältnis der stilistischen Gewandtheit der „Blender" in jedem Sinne zum wirklichen Inhalte von Schriftwerken etwas genauer zu prüfen. Doch wird man sich wohl hüten, darauf einzugehen, gedenkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/495>, abgerufen am 22.07.2024.