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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

manu 54) schreibt: "Langmut ist nur dem zuzumuten, der sich bei Zeiten den
vöäain An ZueoöZ angewöhnt hat, welchen die Frau von Stael in mir ge¬
funden haben will. Wenn höle^ den augenblicklichen, leidenschaftlichen suoovs
meint, so hat sie Recht. Was aber den wahren Erfolg betrifft, gegen den bin
ich nicht im mindesten gleichgiltig; vielmehr ist der Glaube an denselben immer
mein Leitstern bei allen meinen Arbeiten. Diesen Erfolg nun früher und voll¬
ständiger zu erfahren, wird mit den Jahren immer wünschenswerter, wo man
nicht mehr viel Stunden in Gleichgiltigkeit gegen den Augenblick zuzubringen
und auf die Zukunft zu hoffen hat. In diesem Sinne machen Sie mir ein
großes Geschenk dnrch Ihren Aufsatz, und bethätigen dadurch abermals die
frühere, mir schon längst bewährte Freundschaft." Wenn Goethe am 13. April
1819 (Biedermann 82) ausspricht: "Es ist der Mühe wert, gelebt zu haben,
wenn man sich von solchen Geistern und Gemütern begleitet sieht und sah;
es ist eine Lust zu sterben, wenn man solche Freunde und Liebhaber hinterläßt,
die unser Andenken frisch erhalten, ausbilden und fortpflanzen," so wird mich
der Schwarzsichtigste hierin keine Komplimente, sondern Ausdruck von Em¬
pfindungen erkennen, zu denen der große Dichter gute Ursache hatte. Denn
wie hoch auch Goethe stand, die Zahl derer, die sein großes Verdienst unwillig
anerkannten, war selbst damals in seinem beglückten Greisenalter immer noch
größer, als die Zahl derer, welche, wie Rochlitz, in den Kern der Dichter¬
persönlichkeit eindrangen und den gewaltigen Kreis überschauten, zu welchem sich
dieser Kern erweitert hatte. Die erprobte Zuverlässigkeit Rochlitzens erstreckte
sich eben auf höhere und tiefere Dinge, als auf die geschäftlichen Angelegen¬
heiten, mit denen Goethe den Leipziger Freund zuweilen betraute. Der
Streichersche Flügel, welcher im letzten Jahrzehnt von Goethes Leben im
Goethehause in Weimar stand und auf dem sich Hummel, Maria Szymanowska
und Felix Mendelssohn-Bartholdy hören ließen, ward durch Rochlitz bei
C. F. Peters in Leipzig ausgesucht; die Verhandlungen mit der Weygandtschen
Buchhandlung wegen der Neuausgabe des "Werther" von 1824 gingen durch
Rochlitzens Hand. Aber dies alles geschieht doch nur nebenbei (obschon Rochlitz
natürlich jeder Dienst Freude macht, den er Goethe leisten kann), die Haupt¬
sache bleibt der geistige Verkehr, der immer vielseitiger und bedeutender wird.

Von besondrer Bedeutung erscheinen hier die Briefe, die an die be¬
kannten Aufsätze in Kunst und Altertum gegen die römisch-deutsche Malerschule
anknüpften und in denen die innere Übereinstimmung des Leipziger Kunst¬
freundes mit Goethes Grundanschauungen und zugleich die äußere Unabhängig¬
keit von gewissen Überlieferungen und Zufälligkeiten der W. K. F. (Weimarer
Kunstfreunde) entschieden hervortritt. Mit Goethe und dem Kunstmeyer teilte
Rochlitz die tiefste Abneigung gegen die katholisirende, von dem Schlegelschen
Kreise in Wien inspirirte Pseudoromantik der jungen deutschen Maler in Rom,
mit Goethe und seinen Freunden von der freien Zeichenschule in Weimar war


Goethe und Rochlitz.

manu 54) schreibt: „Langmut ist nur dem zuzumuten, der sich bei Zeiten den
vöäain An ZueoöZ angewöhnt hat, welchen die Frau von Stael in mir ge¬
funden haben will. Wenn höle^ den augenblicklichen, leidenschaftlichen suoovs
meint, so hat sie Recht. Was aber den wahren Erfolg betrifft, gegen den bin
ich nicht im mindesten gleichgiltig; vielmehr ist der Glaube an denselben immer
mein Leitstern bei allen meinen Arbeiten. Diesen Erfolg nun früher und voll¬
ständiger zu erfahren, wird mit den Jahren immer wünschenswerter, wo man
nicht mehr viel Stunden in Gleichgiltigkeit gegen den Augenblick zuzubringen
und auf die Zukunft zu hoffen hat. In diesem Sinne machen Sie mir ein
großes Geschenk dnrch Ihren Aufsatz, und bethätigen dadurch abermals die
frühere, mir schon längst bewährte Freundschaft." Wenn Goethe am 13. April
1819 (Biedermann 82) ausspricht: „Es ist der Mühe wert, gelebt zu haben,
wenn man sich von solchen Geistern und Gemütern begleitet sieht und sah;
es ist eine Lust zu sterben, wenn man solche Freunde und Liebhaber hinterläßt,
die unser Andenken frisch erhalten, ausbilden und fortpflanzen," so wird mich
der Schwarzsichtigste hierin keine Komplimente, sondern Ausdruck von Em¬
pfindungen erkennen, zu denen der große Dichter gute Ursache hatte. Denn
wie hoch auch Goethe stand, die Zahl derer, die sein großes Verdienst unwillig
anerkannten, war selbst damals in seinem beglückten Greisenalter immer noch
größer, als die Zahl derer, welche, wie Rochlitz, in den Kern der Dichter¬
persönlichkeit eindrangen und den gewaltigen Kreis überschauten, zu welchem sich
dieser Kern erweitert hatte. Die erprobte Zuverlässigkeit Rochlitzens erstreckte
sich eben auf höhere und tiefere Dinge, als auf die geschäftlichen Angelegen¬
heiten, mit denen Goethe den Leipziger Freund zuweilen betraute. Der
Streichersche Flügel, welcher im letzten Jahrzehnt von Goethes Leben im
Goethehause in Weimar stand und auf dem sich Hummel, Maria Szymanowska
und Felix Mendelssohn-Bartholdy hören ließen, ward durch Rochlitz bei
C. F. Peters in Leipzig ausgesucht; die Verhandlungen mit der Weygandtschen
Buchhandlung wegen der Neuausgabe des „Werther" von 1824 gingen durch
Rochlitzens Hand. Aber dies alles geschieht doch nur nebenbei (obschon Rochlitz
natürlich jeder Dienst Freude macht, den er Goethe leisten kann), die Haupt¬
sache bleibt der geistige Verkehr, der immer vielseitiger und bedeutender wird.

Von besondrer Bedeutung erscheinen hier die Briefe, die an die be¬
kannten Aufsätze in Kunst und Altertum gegen die römisch-deutsche Malerschule
anknüpften und in denen die innere Übereinstimmung des Leipziger Kunst¬
freundes mit Goethes Grundanschauungen und zugleich die äußere Unabhängig¬
keit von gewissen Überlieferungen und Zufälligkeiten der W. K. F. (Weimarer
Kunstfreunde) entschieden hervortritt. Mit Goethe und dem Kunstmeyer teilte
Rochlitz die tiefste Abneigung gegen die katholisirende, von dem Schlegelschen
Kreise in Wien inspirirte Pseudoromantik der jungen deutschen Maler in Rom,
mit Goethe und seinen Freunden von der freien Zeichenschule in Weimar war


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[0492] Goethe und Rochlitz. manu 54) schreibt: „Langmut ist nur dem zuzumuten, der sich bei Zeiten den vöäain An ZueoöZ angewöhnt hat, welchen die Frau von Stael in mir ge¬ funden haben will. Wenn höle^ den augenblicklichen, leidenschaftlichen suoovs meint, so hat sie Recht. Was aber den wahren Erfolg betrifft, gegen den bin ich nicht im mindesten gleichgiltig; vielmehr ist der Glaube an denselben immer mein Leitstern bei allen meinen Arbeiten. Diesen Erfolg nun früher und voll¬ ständiger zu erfahren, wird mit den Jahren immer wünschenswerter, wo man nicht mehr viel Stunden in Gleichgiltigkeit gegen den Augenblick zuzubringen und auf die Zukunft zu hoffen hat. In diesem Sinne machen Sie mir ein großes Geschenk dnrch Ihren Aufsatz, und bethätigen dadurch abermals die frühere, mir schon längst bewährte Freundschaft." Wenn Goethe am 13. April 1819 (Biedermann 82) ausspricht: „Es ist der Mühe wert, gelebt zu haben, wenn man sich von solchen Geistern und Gemütern begleitet sieht und sah; es ist eine Lust zu sterben, wenn man solche Freunde und Liebhaber hinterläßt, die unser Andenken frisch erhalten, ausbilden und fortpflanzen," so wird mich der Schwarzsichtigste hierin keine Komplimente, sondern Ausdruck von Em¬ pfindungen erkennen, zu denen der große Dichter gute Ursache hatte. Denn wie hoch auch Goethe stand, die Zahl derer, die sein großes Verdienst unwillig anerkannten, war selbst damals in seinem beglückten Greisenalter immer noch größer, als die Zahl derer, welche, wie Rochlitz, in den Kern der Dichter¬ persönlichkeit eindrangen und den gewaltigen Kreis überschauten, zu welchem sich dieser Kern erweitert hatte. Die erprobte Zuverlässigkeit Rochlitzens erstreckte sich eben auf höhere und tiefere Dinge, als auf die geschäftlichen Angelegen¬ heiten, mit denen Goethe den Leipziger Freund zuweilen betraute. Der Streichersche Flügel, welcher im letzten Jahrzehnt von Goethes Leben im Goethehause in Weimar stand und auf dem sich Hummel, Maria Szymanowska und Felix Mendelssohn-Bartholdy hören ließen, ward durch Rochlitz bei C. F. Peters in Leipzig ausgesucht; die Verhandlungen mit der Weygandtschen Buchhandlung wegen der Neuausgabe des „Werther" von 1824 gingen durch Rochlitzens Hand. Aber dies alles geschieht doch nur nebenbei (obschon Rochlitz natürlich jeder Dienst Freude macht, den er Goethe leisten kann), die Haupt¬ sache bleibt der geistige Verkehr, der immer vielseitiger und bedeutender wird. Von besondrer Bedeutung erscheinen hier die Briefe, die an die be¬ kannten Aufsätze in Kunst und Altertum gegen die römisch-deutsche Malerschule anknüpften und in denen die innere Übereinstimmung des Leipziger Kunst¬ freundes mit Goethes Grundanschauungen und zugleich die äußere Unabhängig¬ keit von gewissen Überlieferungen und Zufälligkeiten der W. K. F. (Weimarer Kunstfreunde) entschieden hervortritt. Mit Goethe und dem Kunstmeyer teilte Rochlitz die tiefste Abneigung gegen die katholisirende, von dem Schlegelschen Kreise in Wien inspirirte Pseudoromantik der jungen deutschen Maler in Rom, mit Goethe und seinen Freunden von der freien Zeichenschule in Weimar war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/492>, abgerufen am 22.07.2024.