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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

Recht, wie sich zeigte, im persönlichen Verkehr mit Goethe diese Ruhe und diese
Eindrücke zu finden. Nach einem dreiwöchentlicher, aber ihm zeitlebens unver¬
geßlichen Aufenthalte in der Jlmftadt, wo ihm Goethe, der Rochlitz jetzt auch
menschlich immer näher rückte, köstliche Tage bereitet hatte, durfte er von Leipzig
aus an Goethe schreiben: "Ew. Exzellenz sage ich nochmals von Grund des
Herzens Dank für alle die viele Güte, die Sie mir und den Meinen in Weimar
bewiesen. Wahrlich, Sie haben mich recht eigentlich erquickt, meinen gebeugten
Sinn neu gehoben, mich für Leiden und Wirksamkeit, wie sie mich hier er¬
warteten, gestärkt und mir für den ganzen Nest meines Lebens viele überaus
schöne Erinnerungen gegeben. Das Schicksal hat mich mit manchem großen
Manne zusammengebracht: aber nie -- nie hat einer ans mich eine Wirkung
gemacht, die sich, ich will noch gar nicht sagen im Grade, sondern auch nur in
der Gattung, mit der vergleichen ließ, welche ich durch Sie empfunden. Sage
ich Ihnen da etwas Alltägliches, das wohl Hunderte schon Ihnen gestanden
haben, so lassen Sie mir es zu, weil es mir wohlthut und ich es ja mehr vom
Herzen los als gesagt habe" will. Möge nur ich durch dies Beisammensein
nicht bei Ihnen verloren haben. Ich kam so geschwächt an Geist und Körper
zu Ihnen; ich war der Freude so entwöhnt, daß ich mich in ihr, wie in einem
guten, aber neuen Rocke, nicht frei bewegen konnte. Wie dem aber auch sei,
eins bleibt gewiß: so lange ich lebe, gehöre ich in einem Sinne Ihnen an, wie
nur irgend einer; und wollten Sie auch, daß ichs Ihnen nicht einmal mehr
merken ließ: es bliebe doch so!" (Biedermann 59.) Herzlich und warm, auch
eigenhändig und das beliebte Diktiren beiseite lassend, antwortet der Zeus
von Weimar: "Erhalte Sie Ihr guter Geist über der Woge des Augenblicks,
gedenken Sie meiner in Liebe und bleiben Sie überzeugt, daß ich Ihre schöne
Persönlichkeit rein zu schätzen weiß" (Biedermann 60).

Und nun, als mit dem Frühling 1814 der erste Lenz aufging, dessen man
sich seit langer, langer Zeit einmal wieder erfreue" konnte, als vollends seit
1816 der gesicherte, von keiner Seite her mehr bedrohte Friede das geistige
Leben, den künstlerischen und literarischen Genuß gleichsam wieder in seine ver¬
loren gewesenen Rechte einsetzte, nun giebt sich anch Rochlitz sowohl seinen eignen
Arbeiten, wie der eifrigen Vertretung und Verbreitung dessen hin, was
außer allem Vergleich mit dem stand, was er selbst vermochte. Man muß die
beglückten, beinahe jauchzenden Briefe lesen, mit denen er noch vor dieser fried¬
lichen Zeit die ersten Bücher von Goethes Selbstbiographie begrüßt hatte, muß
Nvchlitzens Kritik über das Werk (in der "Leipziger Literaturzeitung" vom Februar
1812) mit andern Kritiken des unsterblichen Werkes vergleichen, muß sich die
ganze unablässige, treue Verehrung und das einsichtige Verständnis vergegen¬
wärtigen, die Rochlitz rein und warm bethätigte, um die Äußerungen Goethes,
welche sich durch gewisse Briefe desselben zwischen 1812 und 1820 hindurch¬
ziehen, ganz zu verstehen. Wenn Goethe am 30. Januar 1812 (Bieder-


Goethe und Rochlitz.

Recht, wie sich zeigte, im persönlichen Verkehr mit Goethe diese Ruhe und diese
Eindrücke zu finden. Nach einem dreiwöchentlicher, aber ihm zeitlebens unver¬
geßlichen Aufenthalte in der Jlmftadt, wo ihm Goethe, der Rochlitz jetzt auch
menschlich immer näher rückte, köstliche Tage bereitet hatte, durfte er von Leipzig
aus an Goethe schreiben: „Ew. Exzellenz sage ich nochmals von Grund des
Herzens Dank für alle die viele Güte, die Sie mir und den Meinen in Weimar
bewiesen. Wahrlich, Sie haben mich recht eigentlich erquickt, meinen gebeugten
Sinn neu gehoben, mich für Leiden und Wirksamkeit, wie sie mich hier er¬
warteten, gestärkt und mir für den ganzen Nest meines Lebens viele überaus
schöne Erinnerungen gegeben. Das Schicksal hat mich mit manchem großen
Manne zusammengebracht: aber nie — nie hat einer ans mich eine Wirkung
gemacht, die sich, ich will noch gar nicht sagen im Grade, sondern auch nur in
der Gattung, mit der vergleichen ließ, welche ich durch Sie empfunden. Sage
ich Ihnen da etwas Alltägliches, das wohl Hunderte schon Ihnen gestanden
haben, so lassen Sie mir es zu, weil es mir wohlthut und ich es ja mehr vom
Herzen los als gesagt habe» will. Möge nur ich durch dies Beisammensein
nicht bei Ihnen verloren haben. Ich kam so geschwächt an Geist und Körper
zu Ihnen; ich war der Freude so entwöhnt, daß ich mich in ihr, wie in einem
guten, aber neuen Rocke, nicht frei bewegen konnte. Wie dem aber auch sei,
eins bleibt gewiß: so lange ich lebe, gehöre ich in einem Sinne Ihnen an, wie
nur irgend einer; und wollten Sie auch, daß ichs Ihnen nicht einmal mehr
merken ließ: es bliebe doch so!" (Biedermann 59.) Herzlich und warm, auch
eigenhändig und das beliebte Diktiren beiseite lassend, antwortet der Zeus
von Weimar: „Erhalte Sie Ihr guter Geist über der Woge des Augenblicks,
gedenken Sie meiner in Liebe und bleiben Sie überzeugt, daß ich Ihre schöne
Persönlichkeit rein zu schätzen weiß" (Biedermann 60).

Und nun, als mit dem Frühling 1814 der erste Lenz aufging, dessen man
sich seit langer, langer Zeit einmal wieder erfreue» konnte, als vollends seit
1816 der gesicherte, von keiner Seite her mehr bedrohte Friede das geistige
Leben, den künstlerischen und literarischen Genuß gleichsam wieder in seine ver¬
loren gewesenen Rechte einsetzte, nun giebt sich anch Rochlitz sowohl seinen eignen
Arbeiten, wie der eifrigen Vertretung und Verbreitung dessen hin, was
außer allem Vergleich mit dem stand, was er selbst vermochte. Man muß die
beglückten, beinahe jauchzenden Briefe lesen, mit denen er noch vor dieser fried¬
lichen Zeit die ersten Bücher von Goethes Selbstbiographie begrüßt hatte, muß
Nvchlitzens Kritik über das Werk (in der „Leipziger Literaturzeitung" vom Februar
1812) mit andern Kritiken des unsterblichen Werkes vergleichen, muß sich die
ganze unablässige, treue Verehrung und das einsichtige Verständnis vergegen¬
wärtigen, die Rochlitz rein und warm bethätigte, um die Äußerungen Goethes,
welche sich durch gewisse Briefe desselben zwischen 1812 und 1820 hindurch¬
ziehen, ganz zu verstehen. Wenn Goethe am 30. Januar 1812 (Bieder-


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[0491] Goethe und Rochlitz. Recht, wie sich zeigte, im persönlichen Verkehr mit Goethe diese Ruhe und diese Eindrücke zu finden. Nach einem dreiwöchentlicher, aber ihm zeitlebens unver¬ geßlichen Aufenthalte in der Jlmftadt, wo ihm Goethe, der Rochlitz jetzt auch menschlich immer näher rückte, köstliche Tage bereitet hatte, durfte er von Leipzig aus an Goethe schreiben: „Ew. Exzellenz sage ich nochmals von Grund des Herzens Dank für alle die viele Güte, die Sie mir und den Meinen in Weimar bewiesen. Wahrlich, Sie haben mich recht eigentlich erquickt, meinen gebeugten Sinn neu gehoben, mich für Leiden und Wirksamkeit, wie sie mich hier er¬ warteten, gestärkt und mir für den ganzen Nest meines Lebens viele überaus schöne Erinnerungen gegeben. Das Schicksal hat mich mit manchem großen Manne zusammengebracht: aber nie — nie hat einer ans mich eine Wirkung gemacht, die sich, ich will noch gar nicht sagen im Grade, sondern auch nur in der Gattung, mit der vergleichen ließ, welche ich durch Sie empfunden. Sage ich Ihnen da etwas Alltägliches, das wohl Hunderte schon Ihnen gestanden haben, so lassen Sie mir es zu, weil es mir wohlthut und ich es ja mehr vom Herzen los als gesagt habe» will. Möge nur ich durch dies Beisammensein nicht bei Ihnen verloren haben. Ich kam so geschwächt an Geist und Körper zu Ihnen; ich war der Freude so entwöhnt, daß ich mich in ihr, wie in einem guten, aber neuen Rocke, nicht frei bewegen konnte. Wie dem aber auch sei, eins bleibt gewiß: so lange ich lebe, gehöre ich in einem Sinne Ihnen an, wie nur irgend einer; und wollten Sie auch, daß ichs Ihnen nicht einmal mehr merken ließ: es bliebe doch so!" (Biedermann 59.) Herzlich und warm, auch eigenhändig und das beliebte Diktiren beiseite lassend, antwortet der Zeus von Weimar: „Erhalte Sie Ihr guter Geist über der Woge des Augenblicks, gedenken Sie meiner in Liebe und bleiben Sie überzeugt, daß ich Ihre schöne Persönlichkeit rein zu schätzen weiß" (Biedermann 60). Und nun, als mit dem Frühling 1814 der erste Lenz aufging, dessen man sich seit langer, langer Zeit einmal wieder erfreue» konnte, als vollends seit 1816 der gesicherte, von keiner Seite her mehr bedrohte Friede das geistige Leben, den künstlerischen und literarischen Genuß gleichsam wieder in seine ver¬ loren gewesenen Rechte einsetzte, nun giebt sich anch Rochlitz sowohl seinen eignen Arbeiten, wie der eifrigen Vertretung und Verbreitung dessen hin, was außer allem Vergleich mit dem stand, was er selbst vermochte. Man muß die beglückten, beinahe jauchzenden Briefe lesen, mit denen er noch vor dieser fried¬ lichen Zeit die ersten Bücher von Goethes Selbstbiographie begrüßt hatte, muß Nvchlitzens Kritik über das Werk (in der „Leipziger Literaturzeitung" vom Februar 1812) mit andern Kritiken des unsterblichen Werkes vergleichen, muß sich die ganze unablässige, treue Verehrung und das einsichtige Verständnis vergegen¬ wärtigen, die Rochlitz rein und warm bethätigte, um die Äußerungen Goethes, welche sich durch gewisse Briefe desselben zwischen 1812 und 1820 hindurch¬ ziehen, ganz zu verstehen. Wenn Goethe am 30. Januar 1812 (Bieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/491>, abgerufen am 25.08.2024.