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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Krisis in Paris.

allesamt einem Manne zu folgen. Die Royalisten und Imperialisten können
vereint nach Belieben jedem Kabinet das Lebenslicht ausblasen, indem sie mit
seinen radikalen Gegnern stimmen, aber sie können sich dann nicht entschließen,
mit diesen das neue Kabinet zu unterstützen, auch sind sie untereinander nicht
eines Sinnes, wenn es sich um die Person dessen handelt, welcher nach Her¬
stellung der Monarchie die Krone tragen soll. Kurz, die französische Kammer
gleicht gegenwärtig gewissen frühern Perioden des Kosmos. Es jagen allerlei
Weltkörper und Nebelflecke mit gelegentlichen Zusammenstößen und Verschmel¬
zungen umher, aber sie sind noch nicht abgekühlt genug, um sich zu Planeten
oder Fixsternen zu verdichten.

Was Grevy betrifft, so ist der letzte Tag seiner Amtsführung nahe ge¬
kommen und, während diese Betrachtung in die Presse geht, wahrscheinlich
bereits angebrochen, ja schon vorüber. Man pries ihn lange Zeit als
reinsten Charakter unter den Staatsmännern der dritten Republik. Jetzt
behauptet man fast das Gegentheil, weil sein Schwiegersohn Wilson in den
Skandalprozessen der letzten Wochen eine bedenkliche Rolle gespielt hat und er
ihn nicht von sich zu weisen den Mut fand. Um das Anstürmen gegen ihn
zu rechtfertigen, müßte man ihm vorwerfen können, daß er selbst mit den Ehren
und Würden des Staates schnöde Geschäfte getrieben hätte, und davon kann
nicht die Rede sein. Man möchte ihn gehen heißen. Aber bis vor kurzem
war er der Meinung, daß der Präsident der französischen Republik uach keiner
gesetzlichen Bestimmung wie ein Ministerium beseitigt werden könne, sondern
bis zu Ende seiner Beauftragung durch den Kongreß unabsetzbar^ und unver-
drängbar im Amte bleiben müsse. Er weigerte sich also beharrlich, seine Ent¬
lassung daraus zu verlangen, wobei er zugleich von der Erwägung geleitet
wurde, daß er nicht die Hand dazu bieten dürfe, einen Präzedenzfall zu schaffen,
der seinen Nachfolgern verhängnisvoll werden und den zufälligen Kammermehr¬
heiten die Befugnis verschaffen würde, die Präsidenten.von ihrem Posten zu
vertreiben wie bloße Minister und damit eine Ära gesetzlicher Anarchie zu
begründen. Die Parteiführer wissenj nun sehr wohl, daß sie mit einem
Feuer auf die Festung^ den darin wohnenden nicht zur Kapitulation nötigen
können, und so versuchen sie es, eine.Bresche zu schießen, d. h. sie weigern
sich sämtlich, die Neubildung eines Ministeriums zu übernehmen, sodaß Grevy
schließlich sein ^ Amt nicht Z weiter führen kann, weil/ er die dazu erforder¬
lichen verantwortlichen Räte^ nicht hat. Er hatte sich zuerst M^Freycinet
gewendet, der stets bei. Ministerstürzen als zukünftiger Hauptspieler in der
Coulisse steht, jetzt aber ablehnte. Daun wurde Clemenceau, der Rouvier beseitigt
hatte, berufen, erwiderte jedoch auf die Aufforderung, Premier zu werden, Herr
Grevy sei stets ein echter Republikaner gewesen, er möge jetzt der Republik,
deren Ansehen wie das seinige durch Wilson gelitten habe, einen letzten Dienst
^weisen, indem er zurücktrete. Es lasse sich vor Lösung der Präsidentschafts-


Die Krisis in Paris.

allesamt einem Manne zu folgen. Die Royalisten und Imperialisten können
vereint nach Belieben jedem Kabinet das Lebenslicht ausblasen, indem sie mit
seinen radikalen Gegnern stimmen, aber sie können sich dann nicht entschließen,
mit diesen das neue Kabinet zu unterstützen, auch sind sie untereinander nicht
eines Sinnes, wenn es sich um die Person dessen handelt, welcher nach Her¬
stellung der Monarchie die Krone tragen soll. Kurz, die französische Kammer
gleicht gegenwärtig gewissen frühern Perioden des Kosmos. Es jagen allerlei
Weltkörper und Nebelflecke mit gelegentlichen Zusammenstößen und Verschmel¬
zungen umher, aber sie sind noch nicht abgekühlt genug, um sich zu Planeten
oder Fixsternen zu verdichten.

Was Grevy betrifft, so ist der letzte Tag seiner Amtsführung nahe ge¬
kommen und, während diese Betrachtung in die Presse geht, wahrscheinlich
bereits angebrochen, ja schon vorüber. Man pries ihn lange Zeit als
reinsten Charakter unter den Staatsmännern der dritten Republik. Jetzt
behauptet man fast das Gegentheil, weil sein Schwiegersohn Wilson in den
Skandalprozessen der letzten Wochen eine bedenkliche Rolle gespielt hat und er
ihn nicht von sich zu weisen den Mut fand. Um das Anstürmen gegen ihn
zu rechtfertigen, müßte man ihm vorwerfen können, daß er selbst mit den Ehren
und Würden des Staates schnöde Geschäfte getrieben hätte, und davon kann
nicht die Rede sein. Man möchte ihn gehen heißen. Aber bis vor kurzem
war er der Meinung, daß der Präsident der französischen Republik uach keiner
gesetzlichen Bestimmung wie ein Ministerium beseitigt werden könne, sondern
bis zu Ende seiner Beauftragung durch den Kongreß unabsetzbar^ und unver-
drängbar im Amte bleiben müsse. Er weigerte sich also beharrlich, seine Ent¬
lassung daraus zu verlangen, wobei er zugleich von der Erwägung geleitet
wurde, daß er nicht die Hand dazu bieten dürfe, einen Präzedenzfall zu schaffen,
der seinen Nachfolgern verhängnisvoll werden und den zufälligen Kammermehr¬
heiten die Befugnis verschaffen würde, die Präsidenten.von ihrem Posten zu
vertreiben wie bloße Minister und damit eine Ära gesetzlicher Anarchie zu
begründen. Die Parteiführer wissenj nun sehr wohl, daß sie mit einem
Feuer auf die Festung^ den darin wohnenden nicht zur Kapitulation nötigen
können, und so versuchen sie es, eine.Bresche zu schießen, d. h. sie weigern
sich sämtlich, die Neubildung eines Ministeriums zu übernehmen, sodaß Grevy
schließlich sein ^ Amt nicht Z weiter führen kann, weil/ er die dazu erforder¬
lichen verantwortlichen Räte^ nicht hat. Er hatte sich zuerst M^Freycinet
gewendet, der stets bei. Ministerstürzen als zukünftiger Hauptspieler in der
Coulisse steht, jetzt aber ablehnte. Daun wurde Clemenceau, der Rouvier beseitigt
hatte, berufen, erwiderte jedoch auf die Aufforderung, Premier zu werden, Herr
Grevy sei stets ein echter Republikaner gewesen, er möge jetzt der Republik,
deren Ansehen wie das seinige durch Wilson gelitten habe, einen letzten Dienst
^weisen, indem er zurücktrete. Es lasse sich vor Lösung der Präsidentschafts-


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[0467] Die Krisis in Paris. allesamt einem Manne zu folgen. Die Royalisten und Imperialisten können vereint nach Belieben jedem Kabinet das Lebenslicht ausblasen, indem sie mit seinen radikalen Gegnern stimmen, aber sie können sich dann nicht entschließen, mit diesen das neue Kabinet zu unterstützen, auch sind sie untereinander nicht eines Sinnes, wenn es sich um die Person dessen handelt, welcher nach Her¬ stellung der Monarchie die Krone tragen soll. Kurz, die französische Kammer gleicht gegenwärtig gewissen frühern Perioden des Kosmos. Es jagen allerlei Weltkörper und Nebelflecke mit gelegentlichen Zusammenstößen und Verschmel¬ zungen umher, aber sie sind noch nicht abgekühlt genug, um sich zu Planeten oder Fixsternen zu verdichten. Was Grevy betrifft, so ist der letzte Tag seiner Amtsführung nahe ge¬ kommen und, während diese Betrachtung in die Presse geht, wahrscheinlich bereits angebrochen, ja schon vorüber. Man pries ihn lange Zeit als reinsten Charakter unter den Staatsmännern der dritten Republik. Jetzt behauptet man fast das Gegentheil, weil sein Schwiegersohn Wilson in den Skandalprozessen der letzten Wochen eine bedenkliche Rolle gespielt hat und er ihn nicht von sich zu weisen den Mut fand. Um das Anstürmen gegen ihn zu rechtfertigen, müßte man ihm vorwerfen können, daß er selbst mit den Ehren und Würden des Staates schnöde Geschäfte getrieben hätte, und davon kann nicht die Rede sein. Man möchte ihn gehen heißen. Aber bis vor kurzem war er der Meinung, daß der Präsident der französischen Republik uach keiner gesetzlichen Bestimmung wie ein Ministerium beseitigt werden könne, sondern bis zu Ende seiner Beauftragung durch den Kongreß unabsetzbar^ und unver- drängbar im Amte bleiben müsse. Er weigerte sich also beharrlich, seine Ent¬ lassung daraus zu verlangen, wobei er zugleich von der Erwägung geleitet wurde, daß er nicht die Hand dazu bieten dürfe, einen Präzedenzfall zu schaffen, der seinen Nachfolgern verhängnisvoll werden und den zufälligen Kammermehr¬ heiten die Befugnis verschaffen würde, die Präsidenten.von ihrem Posten zu vertreiben wie bloße Minister und damit eine Ära gesetzlicher Anarchie zu begründen. Die Parteiführer wissenj nun sehr wohl, daß sie mit einem Feuer auf die Festung^ den darin wohnenden nicht zur Kapitulation nötigen können, und so versuchen sie es, eine.Bresche zu schießen, d. h. sie weigern sich sämtlich, die Neubildung eines Ministeriums zu übernehmen, sodaß Grevy schließlich sein ^ Amt nicht Z weiter führen kann, weil/ er die dazu erforder¬ lichen verantwortlichen Räte^ nicht hat. Er hatte sich zuerst M^Freycinet gewendet, der stets bei. Ministerstürzen als zukünftiger Hauptspieler in der Coulisse steht, jetzt aber ablehnte. Daun wurde Clemenceau, der Rouvier beseitigt hatte, berufen, erwiderte jedoch auf die Aufforderung, Premier zu werden, Herr Grevy sei stets ein echter Republikaner gewesen, er möge jetzt der Republik, deren Ansehen wie das seinige durch Wilson gelitten habe, einen letzten Dienst ^weisen, indem er zurücktrete. Es lasse sich vor Lösung der Präsidentschafts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/467>, abgerufen am 01.07.2024.