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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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bescheidene und natürliche Verlangen, man möge die so kräftig und ungestüm
angekündigte Jnterpellation im Interesse der vorliegenden Maßregel zur Kon¬
version der Rente für fünf Tage hinausschieben- Clemeneeau aber blieb uner¬
bittlich, und die Kammer schlug, obwohl sie wußte, die Annahme von Clemen-
ecau's Vorschlag werde die Amtsniederlegung des Kabinets herbeiführen,
die Forderung des Ministerpräsidenten ab. Obgleich eine Gruppe von Ab¬
geordneten, geführt von dem Finanzmanne Baron Soubeyran, aus rein finan¬
ziellen Gründen Nouvier zu Hilfe kam, machten die hitzigen Streithähne der
monarchischen Reaktion, Bcmdry d'Asson an der Spitze, gemeinsame Sache mit
den Radikalen. Die Abstimmung ergab 317 Stimmen gegen die Vertagung
der Jnterpellation Clemeneeau's und nur 228 dafür. Die Mehrheit bestand
aus 169 Republikanern und 148 Konservativen, wahrend der Minister von
221 Republikanern und sieben Konservativen unterstützt wurde. Man wird aus
dieser Darlegung ersehen, daß der Sieg über das Ministerium von Verbündeten
erfochten wurde, die sich unter keinerlei Umständen über die Beute verständigen
konnten. Wäre Clemeneeau berufen worden, ein neues Kabinet zu bilden, und
hätte er sich dazu herbeigelassen, so wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach vor
Ablauf eiuer Woche Rouvier im großen Totentanze der französischen Regierungen
nachgefolgt; denn die Rechte hätte ihm nicht die geringste Unterstützung bei
positiven Maßregeln zu Teil werden lassen, und er verfügt nur über die kleinere
Hälfte der Republikaner. Dagegen war es möglich, daß sich zur Ersetzung
Nouviers ein gemäßigter Republikaner fand; nur giebt es gegenwärtig keinen
Namen der Art, welcher die beiden Zentren gegen die beiden äußersten Gruppen
zu vereinigen imstande wäre. Ferry wird von der Rechten mit Mißtrauen an¬
gesehen, weil er früher stark gegen den Klerus aufgetreten ist, auch hält ihn
die Welt für einen Mann von nicht wählerischem Gewissen. Übrigens würde
seine Rückkehr ins Amt die Wut der Radikalen entfesseln und wahrscheinlich
Barrikaden entstehen lassen. Freycinet erweckt durch seine Grundsätze kein Mi߬
trauen und ist persönlich beliebt, aber seine frühere Thätigkeit als Minister und
der Umstand, daß er sich vor einigen Monaten weigerte, wieder Minister zu
werden, wenn Boulanger nicht im Amte bleibe, haben den allgemeinen Eindruck
verstärkt, daß er gefährlich, weil weich und nicht recht selbständig im Willen
sei. Floquet ist unmöglich, weil er an maßgebender Stelle in Petersburg nicht
Wohlgefallen findet. Ohne Zweifel giebt es noch andre Männer, mit denen
sich die Lücke füllen ließe. Rouvier selbst war, als er Minister wurde, wenig
bekannt, und in stark demokratischen Ländern ist es, wie die Auswahl der,
Präsidentschaftskandidaten in Amerika zeigt, zuweilen ein Vorteil, unbekannt zu
sein. Aber wer auch der nächste Premier sein wird, die Lage in der Depu-
tirtenkammer wird sich nicht ändern. Die Republikaner der verschiednen Schat-
tirungen bilden zwar als Ganzes entschieden die Mehrheit des Hauses, aber sie
vermögen sich nicht über die eine oder die andre Politik zu verständigen und


bescheidene und natürliche Verlangen, man möge die so kräftig und ungestüm
angekündigte Jnterpellation im Interesse der vorliegenden Maßregel zur Kon¬
version der Rente für fünf Tage hinausschieben- Clemeneeau aber blieb uner¬
bittlich, und die Kammer schlug, obwohl sie wußte, die Annahme von Clemen-
ecau's Vorschlag werde die Amtsniederlegung des Kabinets herbeiführen,
die Forderung des Ministerpräsidenten ab. Obgleich eine Gruppe von Ab¬
geordneten, geführt von dem Finanzmanne Baron Soubeyran, aus rein finan¬
ziellen Gründen Nouvier zu Hilfe kam, machten die hitzigen Streithähne der
monarchischen Reaktion, Bcmdry d'Asson an der Spitze, gemeinsame Sache mit
den Radikalen. Die Abstimmung ergab 317 Stimmen gegen die Vertagung
der Jnterpellation Clemeneeau's und nur 228 dafür. Die Mehrheit bestand
aus 169 Republikanern und 148 Konservativen, wahrend der Minister von
221 Republikanern und sieben Konservativen unterstützt wurde. Man wird aus
dieser Darlegung ersehen, daß der Sieg über das Ministerium von Verbündeten
erfochten wurde, die sich unter keinerlei Umständen über die Beute verständigen
konnten. Wäre Clemeneeau berufen worden, ein neues Kabinet zu bilden, und
hätte er sich dazu herbeigelassen, so wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach vor
Ablauf eiuer Woche Rouvier im großen Totentanze der französischen Regierungen
nachgefolgt; denn die Rechte hätte ihm nicht die geringste Unterstützung bei
positiven Maßregeln zu Teil werden lassen, und er verfügt nur über die kleinere
Hälfte der Republikaner. Dagegen war es möglich, daß sich zur Ersetzung
Nouviers ein gemäßigter Republikaner fand; nur giebt es gegenwärtig keinen
Namen der Art, welcher die beiden Zentren gegen die beiden äußersten Gruppen
zu vereinigen imstande wäre. Ferry wird von der Rechten mit Mißtrauen an¬
gesehen, weil er früher stark gegen den Klerus aufgetreten ist, auch hält ihn
die Welt für einen Mann von nicht wählerischem Gewissen. Übrigens würde
seine Rückkehr ins Amt die Wut der Radikalen entfesseln und wahrscheinlich
Barrikaden entstehen lassen. Freycinet erweckt durch seine Grundsätze kein Mi߬
trauen und ist persönlich beliebt, aber seine frühere Thätigkeit als Minister und
der Umstand, daß er sich vor einigen Monaten weigerte, wieder Minister zu
werden, wenn Boulanger nicht im Amte bleibe, haben den allgemeinen Eindruck
verstärkt, daß er gefährlich, weil weich und nicht recht selbständig im Willen
sei. Floquet ist unmöglich, weil er an maßgebender Stelle in Petersburg nicht
Wohlgefallen findet. Ohne Zweifel giebt es noch andre Männer, mit denen
sich die Lücke füllen ließe. Rouvier selbst war, als er Minister wurde, wenig
bekannt, und in stark demokratischen Ländern ist es, wie die Auswahl der,
Präsidentschaftskandidaten in Amerika zeigt, zuweilen ein Vorteil, unbekannt zu
sein. Aber wer auch der nächste Premier sein wird, die Lage in der Depu-
tirtenkammer wird sich nicht ändern. Die Republikaner der verschiednen Schat-
tirungen bilden zwar als Ganzes entschieden die Mehrheit des Hauses, aber sie
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/466>, abgerufen am 29.06.2024.