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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

sein Lustspielmanuskript von Goethe zurück. Als er aber dann im Herbst des
gleichen Jahres von Goethes Absicht hört, eine Tragödie des Sophokles mit
Musik auf die Bühne zu bringen, kann er doch nicht umhin, sich wieder an
Goethe zu wenden, ihm zu sagen, daß er sich mit dieser Frage eingehend be¬
schäftigt habe und jedenfalls mehr davon verstehe, als die meisten Musiker.
Goethe glaubt ihm das aufs Wort, muntert ihn freundlich auf, ihm über seine
Anschauungen näheres mitzuteilen, bemerkte indes sogleich (Brief 10 bei Bieder¬
mann), daß das bewußte Vorhaben noch in der ersten Vorbereitung sei. Da
Rochlitz seinem Feuereifer für die Sache nicht genug gethan sah, so blieb ein
neuer Nllckfall in gekränkte Empfindlichkeit nicht aus, und am 6. April 1803
erschloß er sein Herz gegen Böttiger in den Worten: "Das aufgeführte Goethische
Stück ist das nicht, wovon zwischen ihm und mir die Rede gewesen ist. Wir
haben dieses wahrscheinlich, aber erst künftiges Jahr zu hoffen. Reden Sie auch
privatim nicht davon. Ich weiß es wohl, daß er auch mich hier nur wie eine
Maschine meinen Faden hat abhaspeln lassen, und wußte es, als ich mich darauf
einzulassen anfing: aber wer wollte nicht gern sein Scherflein zu einer solchen
Probe für die Kunst und Welt hergeben, auch wenn es kein Mensch erfährt
und es ihm gedankt wird wie mir. Goethe hat mir nämlich, seit ich die Sache
bis dahin geführt habe, wohin ich sie führen konnte, kein Wort geschrieben.
Schon recht, er ist für keinen Menschen und kaun es vielleicht nicht sein, stehet
allein da, nur für das Ganze: eben darum muß man nicht verlangen, daß er
einen besondern menschlichen Anteil an einem nehmen soll, aber eben darum
an ihn diesen besondern menschlichen Anteil nicht fruchtlos verschwenden."

Selbst dieser Ausruf verrät, daß sich Rochlitz allmählich zu finden und
Goethes Verhalten billiger und richtiger zu beurteilen begann. Er war im
eigentlichen Sinne erschrocken gewesen, als er wahrnahm, welche Frucht jene
Feindschaft gegen die Schlegel und ihren Anhang, jene Mißstimmung gegen
Goethe, die Böttiger unablässig bei ihm zu nähren suchte, eben damals in
Kotzebues Berliner Zeitung "Der Freimütige" trug. Es wies den Gedanken
der Übereinstimmung mit dem Tone dieses Blattes entrüstet von sich, und er¬
klärte an Böttiger (22. Dezember 1802): "Wäre wirklich etwas von Bedeutung
für die gute Sache davon zu erwarten, so würden wir alle uns vereinigen
müssen, Teil zu nehmen; aber so versucht sie sdie Kotzebuesche Zeitung j gewiß
nur an die Stelle des aristokratischen Despotismus einen sanskulottischen, der
aber seine Scham zierlich zu decken sucht, zu setzen, und Pereat allem literarischen
Despotismus!" Wenn er genauer bedachte, was bei Leuten wie Böttiger,
Kotzebue und andern die "gute Sache" hieß, so mußte er empfinden, daß er
damit doch nur wenig Gemeinsames habe, daß er im Begriff stehe, sich eine
der besten und stärksten Empfindungen seines Lebens: die reine Verehrung für
Goethes Größe, kläglich verkümmern zu lassen. Und er hatte inzwischen Er¬
fahrungen auch mit dem Allerweltsfreunde gemacht, hatte den allezeit Geschäft


Goethe und Rochlitz.

sein Lustspielmanuskript von Goethe zurück. Als er aber dann im Herbst des
gleichen Jahres von Goethes Absicht hört, eine Tragödie des Sophokles mit
Musik auf die Bühne zu bringen, kann er doch nicht umhin, sich wieder an
Goethe zu wenden, ihm zu sagen, daß er sich mit dieser Frage eingehend be¬
schäftigt habe und jedenfalls mehr davon verstehe, als die meisten Musiker.
Goethe glaubt ihm das aufs Wort, muntert ihn freundlich auf, ihm über seine
Anschauungen näheres mitzuteilen, bemerkte indes sogleich (Brief 10 bei Bieder¬
mann), daß das bewußte Vorhaben noch in der ersten Vorbereitung sei. Da
Rochlitz seinem Feuereifer für die Sache nicht genug gethan sah, so blieb ein
neuer Nllckfall in gekränkte Empfindlichkeit nicht aus, und am 6. April 1803
erschloß er sein Herz gegen Böttiger in den Worten: „Das aufgeführte Goethische
Stück ist das nicht, wovon zwischen ihm und mir die Rede gewesen ist. Wir
haben dieses wahrscheinlich, aber erst künftiges Jahr zu hoffen. Reden Sie auch
privatim nicht davon. Ich weiß es wohl, daß er auch mich hier nur wie eine
Maschine meinen Faden hat abhaspeln lassen, und wußte es, als ich mich darauf
einzulassen anfing: aber wer wollte nicht gern sein Scherflein zu einer solchen
Probe für die Kunst und Welt hergeben, auch wenn es kein Mensch erfährt
und es ihm gedankt wird wie mir. Goethe hat mir nämlich, seit ich die Sache
bis dahin geführt habe, wohin ich sie führen konnte, kein Wort geschrieben.
Schon recht, er ist für keinen Menschen und kaun es vielleicht nicht sein, stehet
allein da, nur für das Ganze: eben darum muß man nicht verlangen, daß er
einen besondern menschlichen Anteil an einem nehmen soll, aber eben darum
an ihn diesen besondern menschlichen Anteil nicht fruchtlos verschwenden."

Selbst dieser Ausruf verrät, daß sich Rochlitz allmählich zu finden und
Goethes Verhalten billiger und richtiger zu beurteilen begann. Er war im
eigentlichen Sinne erschrocken gewesen, als er wahrnahm, welche Frucht jene
Feindschaft gegen die Schlegel und ihren Anhang, jene Mißstimmung gegen
Goethe, die Böttiger unablässig bei ihm zu nähren suchte, eben damals in
Kotzebues Berliner Zeitung „Der Freimütige" trug. Es wies den Gedanken
der Übereinstimmung mit dem Tone dieses Blattes entrüstet von sich, und er¬
klärte an Böttiger (22. Dezember 1802): „Wäre wirklich etwas von Bedeutung
für die gute Sache davon zu erwarten, so würden wir alle uns vereinigen
müssen, Teil zu nehmen; aber so versucht sie sdie Kotzebuesche Zeitung j gewiß
nur an die Stelle des aristokratischen Despotismus einen sanskulottischen, der
aber seine Scham zierlich zu decken sucht, zu setzen, und Pereat allem literarischen
Despotismus!" Wenn er genauer bedachte, was bei Leuten wie Böttiger,
Kotzebue und andern die „gute Sache" hieß, so mußte er empfinden, daß er
damit doch nur wenig Gemeinsames habe, daß er im Begriff stehe, sich eine
der besten und stärksten Empfindungen seines Lebens: die reine Verehrung für
Goethes Größe, kläglich verkümmern zu lassen. Und er hatte inzwischen Er¬
fahrungen auch mit dem Allerweltsfreunde gemacht, hatte den allezeit Geschäft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/440>, abgerufen am 01.07.2024.