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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

heres anstündiges, aber ziemlich kaltes Billet einen bogenlangen und in jeder
Rücksicht vortrefflichen Brief geschickt, was mir viele Freude gemacht hat," so
sorgte der Allerweltsmann dafür, diese Stimmung nicht auskommen zu lassen.
Er wird es mit einigem Triumph gelesen haben, daß Rochlitz am 30. Sep¬
tember 1801 ziemlich gereizt schrieb: "Von Goethe habe ich noch keine Antwort
auf meinen, dem Lustspiele beigelegten ausführlichen Brief. Aus Schillers
Benehmen bei seinem Hiersein konnte ich bemerken, daß beide sich in mir oder
ich mich in ihnen geirrt habe. So wahrhaft vertraulich und freundschaftlich
dieser mir gleich nach meiner Anwesenheit in Weimar schrieb, so nachlässig und
entfernend war sein Benehmen. Haben diese beiden von mir erwartet, daß ich
mich nur blind ihnen ergeben, unter ihre Posaunenengel treten, mein Urteil und
mich überhaupt ganz verleugnen und selbst Menschen entsagen soll, die mein
Herz als Freunde besitzen, so müssen sie sich allerdings getäuscht finden, und
es thut mir auch nicht wehe, wenn sie sich so finden."

Natürlich dachten weder Schiller noch Goethe daran, Rochlitz kränken oder
ihm gar seinen Freund Böttiger vom Herzen reißen zu wollen. Schiller schrieb
am 16. November 1801 an Rochlitz, bat für Goethe um nachsichtige Beurteilung
("Daß er Ihnen noch nicht geschrieben, müssen Sie seinen vielen Geschäften und
ich darf hinzusetzen, auch seiner Schreibschcue, die er oft nicht zu überwinden
imstande ist, zuschreiben"), entschuldigt sich selbst, daß er Rochlitz in Leipzig
nicht besucht habe ("Ich hatte bei meinem letzten kurzen Aufenthalt in Leipzig
gehofft, Zeit zu gewinnen, um Sie aufzusuchen, und unsre noch so junge Be¬
kanntschaft, die mir sehr augenehm ist, weiter fortzusetzen. Aber ich gehörte
in diesen zwei Tagen nicht mir selbst an, da eine Gesellschaft von Freunden,
die mir von Dresden gefolgt war, über meine Zeit disponirte"). Goethe aber
schrieb am 17. Dezember 1801 wegen seiner verzögerten Entscheidung über Roch-
litzens Lustspiel "Liebhabereien oder die neue Zauberflöte": "Mögen Ew. Wohl¬
geboren mir noch bis zum neuen Jahre wegen des Stückes Frist geben, so soll
alsdann darüber die schuldige Erklärung folgen." Aber Rochlitz war jetzt dnrch
Böttigers unablässige Anstachelungen wirklich in einen thörichten Verdruß hinein¬
getrieben. Am 3. März 1802 schrieb er Böttiger (der ihm einen Goethischen
Aufsatz über die Führung des Theaters in Weimar noch drnckfencht zugeschickt
hatte): "Ich danke Ihnen herzlich, liebster Freund, für Ihren Brief und die
Beilage. Wenn Goethe bei der Führung des Theaterwesens wirklich den Plan
gehabt und so durchgeführt hat, und ihn nicht etwa wie der Kunstrichter in ein
geniales Werk, Hintennach hinein exegisirt: so ist er der Direktor aller Direktoren.
In der Behandlung der Schauspieler, im Ton des ganzen Aufsatzes bleibt er
sich, drohend und drückend, gleich und seinem eignen Grundsatz getreu: Hammer
oder Amboß sein muß jeder soie er meint^, da ist er denn überall Hammer
und alle andern sind ihm Amboß." In dieser Mißlaune forderte er in einem
gereizt-unterwürfigen Briefe (dem sechsten der Biedermmmschen Sammlung)


Goethe und Rochlitz.

heres anstündiges, aber ziemlich kaltes Billet einen bogenlangen und in jeder
Rücksicht vortrefflichen Brief geschickt, was mir viele Freude gemacht hat," so
sorgte der Allerweltsmann dafür, diese Stimmung nicht auskommen zu lassen.
Er wird es mit einigem Triumph gelesen haben, daß Rochlitz am 30. Sep¬
tember 1801 ziemlich gereizt schrieb: „Von Goethe habe ich noch keine Antwort
auf meinen, dem Lustspiele beigelegten ausführlichen Brief. Aus Schillers
Benehmen bei seinem Hiersein konnte ich bemerken, daß beide sich in mir oder
ich mich in ihnen geirrt habe. So wahrhaft vertraulich und freundschaftlich
dieser mir gleich nach meiner Anwesenheit in Weimar schrieb, so nachlässig und
entfernend war sein Benehmen. Haben diese beiden von mir erwartet, daß ich
mich nur blind ihnen ergeben, unter ihre Posaunenengel treten, mein Urteil und
mich überhaupt ganz verleugnen und selbst Menschen entsagen soll, die mein
Herz als Freunde besitzen, so müssen sie sich allerdings getäuscht finden, und
es thut mir auch nicht wehe, wenn sie sich so finden."

Natürlich dachten weder Schiller noch Goethe daran, Rochlitz kränken oder
ihm gar seinen Freund Böttiger vom Herzen reißen zu wollen. Schiller schrieb
am 16. November 1801 an Rochlitz, bat für Goethe um nachsichtige Beurteilung
(„Daß er Ihnen noch nicht geschrieben, müssen Sie seinen vielen Geschäften und
ich darf hinzusetzen, auch seiner Schreibschcue, die er oft nicht zu überwinden
imstande ist, zuschreiben"), entschuldigt sich selbst, daß er Rochlitz in Leipzig
nicht besucht habe („Ich hatte bei meinem letzten kurzen Aufenthalt in Leipzig
gehofft, Zeit zu gewinnen, um Sie aufzusuchen, und unsre noch so junge Be¬
kanntschaft, die mir sehr augenehm ist, weiter fortzusetzen. Aber ich gehörte
in diesen zwei Tagen nicht mir selbst an, da eine Gesellschaft von Freunden,
die mir von Dresden gefolgt war, über meine Zeit disponirte"). Goethe aber
schrieb am 17. Dezember 1801 wegen seiner verzögerten Entscheidung über Roch-
litzens Lustspiel „Liebhabereien oder die neue Zauberflöte": „Mögen Ew. Wohl¬
geboren mir noch bis zum neuen Jahre wegen des Stückes Frist geben, so soll
alsdann darüber die schuldige Erklärung folgen." Aber Rochlitz war jetzt dnrch
Böttigers unablässige Anstachelungen wirklich in einen thörichten Verdruß hinein¬
getrieben. Am 3. März 1802 schrieb er Böttiger (der ihm einen Goethischen
Aufsatz über die Führung des Theaters in Weimar noch drnckfencht zugeschickt
hatte): „Ich danke Ihnen herzlich, liebster Freund, für Ihren Brief und die
Beilage. Wenn Goethe bei der Führung des Theaterwesens wirklich den Plan
gehabt und so durchgeführt hat, und ihn nicht etwa wie der Kunstrichter in ein
geniales Werk, Hintennach hinein exegisirt: so ist er der Direktor aller Direktoren.
In der Behandlung der Schauspieler, im Ton des ganzen Aufsatzes bleibt er
sich, drohend und drückend, gleich und seinem eignen Grundsatz getreu: Hammer
oder Amboß sein muß jeder soie er meint^, da ist er denn überall Hammer
und alle andern sind ihm Amboß." In dieser Mißlaune forderte er in einem
gereizt-unterwürfigen Briefe (dem sechsten der Biedermmmschen Sammlung)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/439>, abgerufen am 04.07.2024.