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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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zehn bis zwölf Bände einschränkte, sondern Aufsätze in dieselbe mit aufnahm,
wie der, von welchem dort die Rede ist, und eben dadurch meines Erachtens einen
neuen Beweis gab, daß beliebten Schriftstellern nichts schwerer wird, als zur
rechten Zeit aufzuhören." Ebenso wies Rochlitz das Ansinnen zurück, die Herdersche
"Adrastea" so unbedingt zu bewundern, wie dies von Böttiger und einigen
Gleichgestimmten wenigstens vorgegeben ward, und machte seinem zweideutigen
Korrespondenten gegenüber nie ein Hehl daraus, daß er Goethe mit warmer
Verehrung betrachte. Als die beabsichtigte Heirat mit der obengenannten Dame,
um deretwillen ihm Goethe den weimarischen Ratstitel vermittelt hatte, an
Familienwiderständen gescheitert war, schrieb Rochlitz an Böttiger am 12. De¬
zember 1800: "Goethe hat mich indessen zum herzoglichen Rat machen lassen,
was nun freilich keinen Zweck mehr hat. Das Reskript ist aber sehr ehrenvoll
und bezieht sich unter anderm geradezu auf Nachrichten und Schilderungen von
Goethe, was mir allerdings lieb ist." Allein Nochlitzens guter Wille, ein reines
und klares Verhältnis zu Goethe zu bewahren, und soweit es schon vorhanden
war, zu vertiefen, ward durch Böttigers Vielgeschäftigkeit immer wieder gestört.
Bald suchte der Unermüdliche die Teilnahme des musikalischen Freundes in
Leipzig für die jugendlich schöne und ausgezeichnete Sängerin Karoline Jage¬
mann aufzuregen, die angeblich von Goethe und Kirms unterdrückt und im
schönsten Wuchs geknickt wurde, bald regte er Rochlitz, welcher nicht sowohl
den Romantikern als den Gebrüdern Schlegel zweifelnd und abweisend gegen¬
überstand, mit Nachrichten über die Aufführungen des "Ion" und "Alnrtos"
auf dem weimarischen Hoftheater auf, bald erzählte er dem Gutmütiger, leicht
zu rührenden von persönlicher Unbill, die ihm, Böttiger. Vonseiten Goethes und
Schillers widerfahren sei, bald stachelte er das glücklicherweise sehr bescheidene
Selbstgefühl des strebsamen Schriftstellers an, indem er ihn merken ließ, daß
weder Goethe noch Schiller eine sonderliche Meinung von den kleinen Stücken
hegten, welche Rochlitz von Zeit zu Zeit bei dem weimarischen Hoftheater ein¬
reichte. Nun war es richtig, und die ältesten Briefe Goethes an Rochlitz lassen
darüber gar keinen Zweifel, daß die großen Dichter die Nochlitzischcn drama¬
tischen Versuche zwar keineswegs geringschätzten, sogar mit freundlichem Anteil
betrachteten, aber sie doch nicht als tiefeingreifende und bedeutungsvolle Werke
ansehen konnten. Goethe zeigte sich niemals abgeneigt, die kleinen dramatischen
Versuche des Leipziger Schriftstellers zur Aufführung zu bringen, entfaltete
aber dafür weder Pathos noch Eifer, weil er keinen nachhaltigen Erfolg von
diesen Vorführungen erwarten durfte. Rochlitz wäre durchaus der Mann ge¬
wesen, dies Verhalten Goethes als der Sache entsprechend zu würdigen, wenn
ihm nicht gelegentlich durch die kleinen Anstachelungen Freund Ubiques die klare
Übersicht geraubt worden wäre. Wenn er beispielsweise am 18. Juli 1801
bald nach seiner Rückkehr von einem Ausfluge nach Weimar wahrheitsgemäß
an Böttiger berichten mußte: "Schiller hat mir auf ein ihm neulich geschrie-


zehn bis zwölf Bände einschränkte, sondern Aufsätze in dieselbe mit aufnahm,
wie der, von welchem dort die Rede ist, und eben dadurch meines Erachtens einen
neuen Beweis gab, daß beliebten Schriftstellern nichts schwerer wird, als zur
rechten Zeit aufzuhören." Ebenso wies Rochlitz das Ansinnen zurück, die Herdersche
„Adrastea" so unbedingt zu bewundern, wie dies von Böttiger und einigen
Gleichgestimmten wenigstens vorgegeben ward, und machte seinem zweideutigen
Korrespondenten gegenüber nie ein Hehl daraus, daß er Goethe mit warmer
Verehrung betrachte. Als die beabsichtigte Heirat mit der obengenannten Dame,
um deretwillen ihm Goethe den weimarischen Ratstitel vermittelt hatte, an
Familienwiderständen gescheitert war, schrieb Rochlitz an Böttiger am 12. De¬
zember 1800: „Goethe hat mich indessen zum herzoglichen Rat machen lassen,
was nun freilich keinen Zweck mehr hat. Das Reskript ist aber sehr ehrenvoll
und bezieht sich unter anderm geradezu auf Nachrichten und Schilderungen von
Goethe, was mir allerdings lieb ist." Allein Nochlitzens guter Wille, ein reines
und klares Verhältnis zu Goethe zu bewahren, und soweit es schon vorhanden
war, zu vertiefen, ward durch Böttigers Vielgeschäftigkeit immer wieder gestört.
Bald suchte der Unermüdliche die Teilnahme des musikalischen Freundes in
Leipzig für die jugendlich schöne und ausgezeichnete Sängerin Karoline Jage¬
mann aufzuregen, die angeblich von Goethe und Kirms unterdrückt und im
schönsten Wuchs geknickt wurde, bald regte er Rochlitz, welcher nicht sowohl
den Romantikern als den Gebrüdern Schlegel zweifelnd und abweisend gegen¬
überstand, mit Nachrichten über die Aufführungen des „Ion" und „Alnrtos"
auf dem weimarischen Hoftheater auf, bald erzählte er dem Gutmütiger, leicht
zu rührenden von persönlicher Unbill, die ihm, Böttiger. Vonseiten Goethes und
Schillers widerfahren sei, bald stachelte er das glücklicherweise sehr bescheidene
Selbstgefühl des strebsamen Schriftstellers an, indem er ihn merken ließ, daß
weder Goethe noch Schiller eine sonderliche Meinung von den kleinen Stücken
hegten, welche Rochlitz von Zeit zu Zeit bei dem weimarischen Hoftheater ein¬
reichte. Nun war es richtig, und die ältesten Briefe Goethes an Rochlitz lassen
darüber gar keinen Zweifel, daß die großen Dichter die Nochlitzischcn drama¬
tischen Versuche zwar keineswegs geringschätzten, sogar mit freundlichem Anteil
betrachteten, aber sie doch nicht als tiefeingreifende und bedeutungsvolle Werke
ansehen konnten. Goethe zeigte sich niemals abgeneigt, die kleinen dramatischen
Versuche des Leipziger Schriftstellers zur Aufführung zu bringen, entfaltete
aber dafür weder Pathos noch Eifer, weil er keinen nachhaltigen Erfolg von
diesen Vorführungen erwarten durfte. Rochlitz wäre durchaus der Mann ge¬
wesen, dies Verhalten Goethes als der Sache entsprechend zu würdigen, wenn
ihm nicht gelegentlich durch die kleinen Anstachelungen Freund Ubiques die klare
Übersicht geraubt worden wäre. Wenn er beispielsweise am 18. Juli 1801
bald nach seiner Rückkehr von einem Ausfluge nach Weimar wahrheitsgemäß
an Böttiger berichten mußte: „Schiller hat mir auf ein ihm neulich geschrie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/438>, abgerufen am 24.07.2024.