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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Schon versucht man, seinen Bruder Paul als bei dem Handel der Limousin beteiligt
hinzustellen, zwei andre nahe Verwendte, Albert Grevy, früher Gouverneur von
Algerien, und Leon Grcvy, Mitglied des Staatsrates, werden des Ämterhandels
beschuldigt, dem Präsidenten selbst wird vorgeworfen, seine ganze Vetternschaft
auf Staatskosten versorgt zu haben, endlich wird auch die alte Klage wieder¬
holt, Wilson habe während der Gambettaschen Periode im Auftrage Grevhs
in der Deputirtenkammer allerhand Intriguen getrieben. Wie viel davon auch
begründet sein mag, zweifelsohne liegen diesen Angriffen doch mehr das Streber¬
tum in der Volkskammer und der Neid, welcher aller Demokratie beiwohnt, zu
Grunde; auch muß man sich erinnern, daß Grevy bei seiner zweiten Wahl
140 Republikaner gegen sich hatte, während 270 Monarchisten sich dabei der
Abstimmung enthielten. Der Wunsch des Präsidenten geht jetzt dahin, die
nächsten zwanzig Monate noch auf seinem Posten ausharren zu können, weil
im Sommer 1889 neue Wahlen zur Deputirtenkammer stattfinden müssen, von
welchen er ein günstiges Ergebnis für die Republik erhofft, und bis zu welchen
er das Staatsschiff weiter zwischen Klippen und Untiefen hindurchsteuern möchte.
Wir haben Ursache, zu wünschen, daß seine Hoffnung sich erfülle, da er ver¬
gleichsweise in seinem Verhältnisse zu Deutschland als kühler, nüchterner Poli¬
tiker und darum friedfertig erscheint, fürchten aber, daß es ihm nicht vergönnt
sein wird, sich noch lange gegen die Flut zu halten, die in der letzten Zeit in
so bedenklicher Höhe gegen ihn angeschwollen ist, und dann wäre es nicht un¬
möglich, daß Boulanger, der Mann der Revanche, zunächst wieder Minister und
darauf Grcvys Nachfolger würde. Allerdings hat der Caffarelsche Prozeß seinen
Ruf etwas geschädigt, indes wird dergleichen in Frankreich leichter vergessen als
anderwärts, und es lag bereits Bedenklicheres gegen ihn vor, ohne daß es seiner
Popularität wesentlich und dauernd Abbruch gethan hätte.

Wir kommen jetzt zu dem Besuche, den der Zar unserm Kaiser in diesen
Tagen abstattete, nachdem sein Erscheinen in der Reichshauptstadt monatelang
zweifelhaft gewesen war. Der Besuch war kurz, der Empfang selbstverständlich
so glänzend und so herzlich, wie ihn der Beherrscher des mächtigen Nachbar-
reiches, der überdies ein naher Verwandter unsrer kaiserlichen Familie ist, bean¬
spruchen konnte. Auch der Reichskanzler war, allerdings erst durch die Sendung
Graf Lehndorffs von Fricdrichsruhe herbeigerufen, dabei zugegen. Doch ist
daraus nicht zu schließen, daß es sich bei der Zusammenkunft auch um ein¬
gehende Besprechung der zwischen Nußland und dem deutschen Reiche bestehenden
Meinungsverschiedenheiten gehandelt habe, und noch weniger wird an irgend¬
welche bestimmte Abmachungen politischer Art, die dabei zu stände gekommen
wären, zu denken sein, da ja schon zur bloßen Einleitung solcher doch wohl
die Anwesenheit des Herrn von Giers notwendig gewesen sein würde. Der
Besuch war also wesentlich ein Familienereignis mit einem gewissen politischen
Beigeschmack, insofern als er zeigte, daß die Entfremdung zwischen den betraf-


Schon versucht man, seinen Bruder Paul als bei dem Handel der Limousin beteiligt
hinzustellen, zwei andre nahe Verwendte, Albert Grevy, früher Gouverneur von
Algerien, und Leon Grcvy, Mitglied des Staatsrates, werden des Ämterhandels
beschuldigt, dem Präsidenten selbst wird vorgeworfen, seine ganze Vetternschaft
auf Staatskosten versorgt zu haben, endlich wird auch die alte Klage wieder¬
holt, Wilson habe während der Gambettaschen Periode im Auftrage Grevhs
in der Deputirtenkammer allerhand Intriguen getrieben. Wie viel davon auch
begründet sein mag, zweifelsohne liegen diesen Angriffen doch mehr das Streber¬
tum in der Volkskammer und der Neid, welcher aller Demokratie beiwohnt, zu
Grunde; auch muß man sich erinnern, daß Grevy bei seiner zweiten Wahl
140 Republikaner gegen sich hatte, während 270 Monarchisten sich dabei der
Abstimmung enthielten. Der Wunsch des Präsidenten geht jetzt dahin, die
nächsten zwanzig Monate noch auf seinem Posten ausharren zu können, weil
im Sommer 1889 neue Wahlen zur Deputirtenkammer stattfinden müssen, von
welchen er ein günstiges Ergebnis für die Republik erhofft, und bis zu welchen
er das Staatsschiff weiter zwischen Klippen und Untiefen hindurchsteuern möchte.
Wir haben Ursache, zu wünschen, daß seine Hoffnung sich erfülle, da er ver¬
gleichsweise in seinem Verhältnisse zu Deutschland als kühler, nüchterner Poli¬
tiker und darum friedfertig erscheint, fürchten aber, daß es ihm nicht vergönnt
sein wird, sich noch lange gegen die Flut zu halten, die in der letzten Zeit in
so bedenklicher Höhe gegen ihn angeschwollen ist, und dann wäre es nicht un¬
möglich, daß Boulanger, der Mann der Revanche, zunächst wieder Minister und
darauf Grcvys Nachfolger würde. Allerdings hat der Caffarelsche Prozeß seinen
Ruf etwas geschädigt, indes wird dergleichen in Frankreich leichter vergessen als
anderwärts, und es lag bereits Bedenklicheres gegen ihn vor, ohne daß es seiner
Popularität wesentlich und dauernd Abbruch gethan hätte.

Wir kommen jetzt zu dem Besuche, den der Zar unserm Kaiser in diesen
Tagen abstattete, nachdem sein Erscheinen in der Reichshauptstadt monatelang
zweifelhaft gewesen war. Der Besuch war kurz, der Empfang selbstverständlich
so glänzend und so herzlich, wie ihn der Beherrscher des mächtigen Nachbar-
reiches, der überdies ein naher Verwandter unsrer kaiserlichen Familie ist, bean¬
spruchen konnte. Auch der Reichskanzler war, allerdings erst durch die Sendung
Graf Lehndorffs von Fricdrichsruhe herbeigerufen, dabei zugegen. Doch ist
daraus nicht zu schließen, daß es sich bei der Zusammenkunft auch um ein¬
gehende Besprechung der zwischen Nußland und dem deutschen Reiche bestehenden
Meinungsverschiedenheiten gehandelt habe, und noch weniger wird an irgend¬
welche bestimmte Abmachungen politischer Art, die dabei zu stände gekommen
wären, zu denken sein, da ja schon zur bloßen Einleitung solcher doch wohl
die Anwesenheit des Herrn von Giers notwendig gewesen sein würde. Der
Besuch war also wesentlich ein Familienereignis mit einem gewissen politischen
Beigeschmack, insofern als er zeigte, daß die Entfremdung zwischen den betraf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/420>, abgerufen am 22.07.2024.