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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Fragen des Tages.

senden beiden Reichen, die unleugbar besteht, noch nicht soweit gediehen ist, daß
sie freundliche Begegnungen ihrer Beherrscher ausschließt, was bei einer Rück¬
reise des Zaren durch Deutschland, die Berlin nicht berührt hätte, natürlich
anzunehmen gewesen wäre. Es war ein Akt schwer zu vermeidender Höflichkeit,
wenn Alexander III. von Kopenhagen über Berlin nach Petersburg heimkehrte,
kein Zeichen der Annäherung. Man hätte sonst bei uus, als man von der
Absicht schon wissen mußte, nicht zu den bekannten Maßregeln auf finanziellem
Gebiete gegriffen, und man hätte sonst anderseits die immer nur scheinbar
unabhängige russische Presse genötigt, einen wesentlich andern Ton gegen
Deutschland anzuschlagen, als den, in welchem sie in den letzten Jahren
gespielt hat. Als die Berliner Kaiserbegegnung wahrscheinlicher wurde, be¬
eilten sich diese Blätter, ihr jede politische Wichtigkeit abzusprechen, und später
beliebten sie weiter zu gehen und dabei eine Art Fußfall Deutschlands vor
Rußland zu erwarten. Man las da z. B. im "Graschdanin" Fürst Mesch-
tscherskys, des Erben Katkows, folgende hochmütige Tiraden: "Die geschichtliche
Ordnung der Dinge war so gestaltet, daß das deutsche Reich ohne Rußland
nicht entstehen konnte und nicht weiter bestehen kaun, mit andern Worten, daß
die Einigung Deutschlands, der Erfolg des Programms und der Politik des
Fürsten Bismarck, von der Einwilligung und Unterstützung Rußlands abhingen.
So entwickelte sich das denn auch. Die Unterstützung wurde gewährt, und
Deutschland gelangte zur Einheit, Bismarck wurde der Götze Deutschlands.
Bismarck wollte aber nun das Gesetz, nach welchem Deutschland von Rußland
abhängig ist, beseitigen und an seine Stelle das Gegenteil setzen, die Abhängigkeit
Rußlands von Deutschland. Er suchte das auf zwei Wegen zu erreichen:
erstens durch den Abschluß verschiedener gegen Rußland gerichteten Bündnisse
und zweitens durch Entstellung der Thatsachen, wodurch den Deutschen jedes
Gefühl der Verpflichtung abhanden kommen sollte, Rußland dankbar zu sei".
Auf beiden Wegen gelang es dem deutschen Kanzler, aber schließlich trat nur
das Gegenteil seines Endzieles ein: Nußland hat Deutschland jetzt in keiner
Weise mehr nötig, dagegen hängt letzteres gegenwärtig mehr denn je vorher
von Rußland ab." Ähnliche Thorheit predigen auch andre kluge Thebaner
der russischen Journalistenwelt, und zwar sicherlich meist in Höheren Auf¬
trage oder doch mit wohlgefälligem und ermunternden Kopfnicken hoch¬
stehender Herren. Es soll ein naturwidriges Verhalten sein, wenn Deutsch¬
land sich auf gleichen Fuß mit Rußland stellt, es nicht als Lehnsherrn, als
Gönner ansieht und behandelt, und da man das nicht mit dürren Worten zu
sagen sich erdreisten mag, so wird behauptet, der deutsche Reichskanzler suche
Rußland unter unsre Botmäßigkeit zu bringen. Das wird auch in einem sonst
nicht unverständigen Aufsatze der "Petcrburgskija Wjedomosti" ausgesprochen,
wo es heißt: "Von einem Verzichte auf selbständige Politik kann bei Rußland
nicht die Rede sein, aber eine gute Nachbarschaft und gute Beziehungen zu


Zwei Fragen des Tages.

senden beiden Reichen, die unleugbar besteht, noch nicht soweit gediehen ist, daß
sie freundliche Begegnungen ihrer Beherrscher ausschließt, was bei einer Rück¬
reise des Zaren durch Deutschland, die Berlin nicht berührt hätte, natürlich
anzunehmen gewesen wäre. Es war ein Akt schwer zu vermeidender Höflichkeit,
wenn Alexander III. von Kopenhagen über Berlin nach Petersburg heimkehrte,
kein Zeichen der Annäherung. Man hätte sonst bei uus, als man von der
Absicht schon wissen mußte, nicht zu den bekannten Maßregeln auf finanziellem
Gebiete gegriffen, und man hätte sonst anderseits die immer nur scheinbar
unabhängige russische Presse genötigt, einen wesentlich andern Ton gegen
Deutschland anzuschlagen, als den, in welchem sie in den letzten Jahren
gespielt hat. Als die Berliner Kaiserbegegnung wahrscheinlicher wurde, be¬
eilten sich diese Blätter, ihr jede politische Wichtigkeit abzusprechen, und später
beliebten sie weiter zu gehen und dabei eine Art Fußfall Deutschlands vor
Rußland zu erwarten. Man las da z. B. im „Graschdanin" Fürst Mesch-
tscherskys, des Erben Katkows, folgende hochmütige Tiraden: „Die geschichtliche
Ordnung der Dinge war so gestaltet, daß das deutsche Reich ohne Rußland
nicht entstehen konnte und nicht weiter bestehen kaun, mit andern Worten, daß
die Einigung Deutschlands, der Erfolg des Programms und der Politik des
Fürsten Bismarck, von der Einwilligung und Unterstützung Rußlands abhingen.
So entwickelte sich das denn auch. Die Unterstützung wurde gewährt, und
Deutschland gelangte zur Einheit, Bismarck wurde der Götze Deutschlands.
Bismarck wollte aber nun das Gesetz, nach welchem Deutschland von Rußland
abhängig ist, beseitigen und an seine Stelle das Gegenteil setzen, die Abhängigkeit
Rußlands von Deutschland. Er suchte das auf zwei Wegen zu erreichen:
erstens durch den Abschluß verschiedener gegen Rußland gerichteten Bündnisse
und zweitens durch Entstellung der Thatsachen, wodurch den Deutschen jedes
Gefühl der Verpflichtung abhanden kommen sollte, Rußland dankbar zu sei».
Auf beiden Wegen gelang es dem deutschen Kanzler, aber schließlich trat nur
das Gegenteil seines Endzieles ein: Nußland hat Deutschland jetzt in keiner
Weise mehr nötig, dagegen hängt letzteres gegenwärtig mehr denn je vorher
von Rußland ab." Ähnliche Thorheit predigen auch andre kluge Thebaner
der russischen Journalistenwelt, und zwar sicherlich meist in Höheren Auf¬
trage oder doch mit wohlgefälligem und ermunternden Kopfnicken hoch¬
stehender Herren. Es soll ein naturwidriges Verhalten sein, wenn Deutsch¬
land sich auf gleichen Fuß mit Rußland stellt, es nicht als Lehnsherrn, als
Gönner ansieht und behandelt, und da man das nicht mit dürren Worten zu
sagen sich erdreisten mag, so wird behauptet, der deutsche Reichskanzler suche
Rußland unter unsre Botmäßigkeit zu bringen. Das wird auch in einem sonst
nicht unverständigen Aufsatze der „Petcrburgskija Wjedomosti" ausgesprochen,
wo es heißt: „Von einem Verzichte auf selbständige Politik kann bei Rußland
nicht die Rede sein, aber eine gute Nachbarschaft und gute Beziehungen zu


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[0421] Zwei Fragen des Tages. senden beiden Reichen, die unleugbar besteht, noch nicht soweit gediehen ist, daß sie freundliche Begegnungen ihrer Beherrscher ausschließt, was bei einer Rück¬ reise des Zaren durch Deutschland, die Berlin nicht berührt hätte, natürlich anzunehmen gewesen wäre. Es war ein Akt schwer zu vermeidender Höflichkeit, wenn Alexander III. von Kopenhagen über Berlin nach Petersburg heimkehrte, kein Zeichen der Annäherung. Man hätte sonst bei uus, als man von der Absicht schon wissen mußte, nicht zu den bekannten Maßregeln auf finanziellem Gebiete gegriffen, und man hätte sonst anderseits die immer nur scheinbar unabhängige russische Presse genötigt, einen wesentlich andern Ton gegen Deutschland anzuschlagen, als den, in welchem sie in den letzten Jahren gespielt hat. Als die Berliner Kaiserbegegnung wahrscheinlicher wurde, be¬ eilten sich diese Blätter, ihr jede politische Wichtigkeit abzusprechen, und später beliebten sie weiter zu gehen und dabei eine Art Fußfall Deutschlands vor Rußland zu erwarten. Man las da z. B. im „Graschdanin" Fürst Mesch- tscherskys, des Erben Katkows, folgende hochmütige Tiraden: „Die geschichtliche Ordnung der Dinge war so gestaltet, daß das deutsche Reich ohne Rußland nicht entstehen konnte und nicht weiter bestehen kaun, mit andern Worten, daß die Einigung Deutschlands, der Erfolg des Programms und der Politik des Fürsten Bismarck, von der Einwilligung und Unterstützung Rußlands abhingen. So entwickelte sich das denn auch. Die Unterstützung wurde gewährt, und Deutschland gelangte zur Einheit, Bismarck wurde der Götze Deutschlands. Bismarck wollte aber nun das Gesetz, nach welchem Deutschland von Rußland abhängig ist, beseitigen und an seine Stelle das Gegenteil setzen, die Abhängigkeit Rußlands von Deutschland. Er suchte das auf zwei Wegen zu erreichen: erstens durch den Abschluß verschiedener gegen Rußland gerichteten Bündnisse und zweitens durch Entstellung der Thatsachen, wodurch den Deutschen jedes Gefühl der Verpflichtung abhanden kommen sollte, Rußland dankbar zu sei». Auf beiden Wegen gelang es dem deutschen Kanzler, aber schließlich trat nur das Gegenteil seines Endzieles ein: Nußland hat Deutschland jetzt in keiner Weise mehr nötig, dagegen hängt letzteres gegenwärtig mehr denn je vorher von Rußland ab." Ähnliche Thorheit predigen auch andre kluge Thebaner der russischen Journalistenwelt, und zwar sicherlich meist in Höheren Auf¬ trage oder doch mit wohlgefälligem und ermunternden Kopfnicken hoch¬ stehender Herren. Es soll ein naturwidriges Verhalten sein, wenn Deutsch¬ land sich auf gleichen Fuß mit Rußland stellt, es nicht als Lehnsherrn, als Gönner ansieht und behandelt, und da man das nicht mit dürren Worten zu sagen sich erdreisten mag, so wird behauptet, der deutsche Reichskanzler suche Rußland unter unsre Botmäßigkeit zu bringen. Das wird auch in einem sonst nicht unverständigen Aufsatze der „Petcrburgskija Wjedomosti" ausgesprochen, wo es heißt: „Von einem Verzichte auf selbständige Politik kann bei Rußland nicht die Rede sein, aber eine gute Nachbarschaft und gute Beziehungen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/421>, abgerufen am 22.07.2024.