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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Alten verdrängt hatte und sich nicht selten mit dem zitternden Gesänge des
Totengräbers vereinte, der von Kirchhofe her erschallte. Es schien ihnen eine
Zaubermacht zu sein, die von dem Bilde des Todes ausging, und sie fingen an,
etwas Respekt davor zu empfinden.

Und doch ist es zweifelhaft, ob der Totengräber Jens und der Tod ans die
Dauer dem ganzen Dorfe siegreich hätten widerstehen können. Aber glücklicher¬
weise erhielten sie Unterstützung. Es geschah nämlich, daß eines Tages ein Fremder
in das Dorf kam, der Verständnis von dergleichen Dingen hatte; der sah das
Bild und erklärte, daß es von großem Werte sei. Wenn es an den richtigen
Künfer käme, könnten wohl mehrere hundert Thaler dafür bezahlt werden. Da
staunten die klugen Leute im Dorfe und bekamen großen Respekt vor dem Bilde.
Jetzt konnten sie die Vorliebe des Schulmeisters dafür begreifen, sie sahen ein,
daß die Worte von dem Schatz, die unter dem Bilde standen, wohl ihre Be¬
gründung haben mußten. Und von Stund an hatte der Tod den Sieg über die
ganze Bevölkerung des Dorfes errungen und behauptete fortan seinen Platz.
Aber damit war der Kampf noch nicht zu Ende.

Der Schulmeister verlobte sich mit einem Mädchen, das einsam und allein
in der Welt dastand, wie er selber, es schien den beiden, als gehörten sie darum
einander nur desto inniger an. Er führte sie zum erstenmal in sein kleines
Heim und zeigte ihr die Herrlichkeiten desselben, und sie sah ihn mit ihren
liebevollen Augen so glücklich und dankbar an -- dies alles sollte ja nun ihr
gemeinsamer Reichtum sein, wie ärmlich und gering es andern anch erscheinen
mochte. Da stand auch sie vor dein Bilde des Todes still.

Meinst dn, fragte sie leise, und ein Beben ging dnrch ihren Körper, meinst
dn wirklich, daß wir dies Bild hier hängen lassen sollen?

Fürchtest auch du dich vor dem Alten? fragte der Schulmeister lächelnd.
Er ist nicht so schlimm, wie er aussieht, und dann hat er das Gute, daß
man ihn lieber gewinnt, je näher man ihn kennen lernt. Das kann man aber
nicht von vielen sagen.

Seine junge Braut schlug die Augen nieder und sah aus, als wenn sie
doch nicht so ganz damit einverstanden wäre. Der Schulmeister aber ergriff
ihre Hand und fuhr fort: Sich nicht so traurig drein! Hier soll ja dein Reich
sei", und wenn du es wünschst, muß mein alter Freund dir weichen. Aber erst
sollst du hören, warum ich so viel von ihm halte, dann kannst du selber ur¬
teilen. Er hat dir wie mir Eltern und Geschwister genommen, auch nach uns
streckt er seine Hand aus, und in seinem Antlitz steht die bittere Notwendigkeit
geschrieben. Aber in seineu Augen liegt ein Geheimnis, und wer ihn gerade
anschaut und ihm mit kindlichem Vertrauen ins Ange blickt, hat Teil daran. Ich
war ein kleiner Junge und saß auf den Knieen meines Vaters, als ich zum
erstenmale einen Einblick in dies Geheimnis that; es war für mich gleichsam
ein Märchen, das ich seitdem niemals vergesse" habe, das mit jedem mille, daß


Gevatter Tod.

Alten verdrängt hatte und sich nicht selten mit dem zitternden Gesänge des
Totengräbers vereinte, der von Kirchhofe her erschallte. Es schien ihnen eine
Zaubermacht zu sein, die von dem Bilde des Todes ausging, und sie fingen an,
etwas Respekt davor zu empfinden.

Und doch ist es zweifelhaft, ob der Totengräber Jens und der Tod ans die
Dauer dem ganzen Dorfe siegreich hätten widerstehen können. Aber glücklicher¬
weise erhielten sie Unterstützung. Es geschah nämlich, daß eines Tages ein Fremder
in das Dorf kam, der Verständnis von dergleichen Dingen hatte; der sah das
Bild und erklärte, daß es von großem Werte sei. Wenn es an den richtigen
Künfer käme, könnten wohl mehrere hundert Thaler dafür bezahlt werden. Da
staunten die klugen Leute im Dorfe und bekamen großen Respekt vor dem Bilde.
Jetzt konnten sie die Vorliebe des Schulmeisters dafür begreifen, sie sahen ein,
daß die Worte von dem Schatz, die unter dem Bilde standen, wohl ihre Be¬
gründung haben mußten. Und von Stund an hatte der Tod den Sieg über die
ganze Bevölkerung des Dorfes errungen und behauptete fortan seinen Platz.
Aber damit war der Kampf noch nicht zu Ende.

Der Schulmeister verlobte sich mit einem Mädchen, das einsam und allein
in der Welt dastand, wie er selber, es schien den beiden, als gehörten sie darum
einander nur desto inniger an. Er führte sie zum erstenmal in sein kleines
Heim und zeigte ihr die Herrlichkeiten desselben, und sie sah ihn mit ihren
liebevollen Augen so glücklich und dankbar an — dies alles sollte ja nun ihr
gemeinsamer Reichtum sein, wie ärmlich und gering es andern anch erscheinen
mochte. Da stand auch sie vor dein Bilde des Todes still.

Meinst dn, fragte sie leise, und ein Beben ging dnrch ihren Körper, meinst
dn wirklich, daß wir dies Bild hier hängen lassen sollen?

Fürchtest auch du dich vor dem Alten? fragte der Schulmeister lächelnd.
Er ist nicht so schlimm, wie er aussieht, und dann hat er das Gute, daß
man ihn lieber gewinnt, je näher man ihn kennen lernt. Das kann man aber
nicht von vielen sagen.

Seine junge Braut schlug die Augen nieder und sah aus, als wenn sie
doch nicht so ganz damit einverstanden wäre. Der Schulmeister aber ergriff
ihre Hand und fuhr fort: Sich nicht so traurig drein! Hier soll ja dein Reich
sei», und wenn du es wünschst, muß mein alter Freund dir weichen. Aber erst
sollst du hören, warum ich so viel von ihm halte, dann kannst du selber ur¬
teilen. Er hat dir wie mir Eltern und Geschwister genommen, auch nach uns
streckt er seine Hand aus, und in seinem Antlitz steht die bittere Notwendigkeit
geschrieben. Aber in seineu Augen liegt ein Geheimnis, und wer ihn gerade
anschaut und ihm mit kindlichem Vertrauen ins Ange blickt, hat Teil daran. Ich
war ein kleiner Junge und saß auf den Knieen meines Vaters, als ich zum
erstenmale einen Einblick in dies Geheimnis that; es war für mich gleichsam
ein Märchen, das ich seitdem niemals vergesse» habe, das mit jedem mille, daß


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[0410] Gevatter Tod. Alten verdrängt hatte und sich nicht selten mit dem zitternden Gesänge des Totengräbers vereinte, der von Kirchhofe her erschallte. Es schien ihnen eine Zaubermacht zu sein, die von dem Bilde des Todes ausging, und sie fingen an, etwas Respekt davor zu empfinden. Und doch ist es zweifelhaft, ob der Totengräber Jens und der Tod ans die Dauer dem ganzen Dorfe siegreich hätten widerstehen können. Aber glücklicher¬ weise erhielten sie Unterstützung. Es geschah nämlich, daß eines Tages ein Fremder in das Dorf kam, der Verständnis von dergleichen Dingen hatte; der sah das Bild und erklärte, daß es von großem Werte sei. Wenn es an den richtigen Künfer käme, könnten wohl mehrere hundert Thaler dafür bezahlt werden. Da staunten die klugen Leute im Dorfe und bekamen großen Respekt vor dem Bilde. Jetzt konnten sie die Vorliebe des Schulmeisters dafür begreifen, sie sahen ein, daß die Worte von dem Schatz, die unter dem Bilde standen, wohl ihre Be¬ gründung haben mußten. Und von Stund an hatte der Tod den Sieg über die ganze Bevölkerung des Dorfes errungen und behauptete fortan seinen Platz. Aber damit war der Kampf noch nicht zu Ende. Der Schulmeister verlobte sich mit einem Mädchen, das einsam und allein in der Welt dastand, wie er selber, es schien den beiden, als gehörten sie darum einander nur desto inniger an. Er führte sie zum erstenmal in sein kleines Heim und zeigte ihr die Herrlichkeiten desselben, und sie sah ihn mit ihren liebevollen Augen so glücklich und dankbar an — dies alles sollte ja nun ihr gemeinsamer Reichtum sein, wie ärmlich und gering es andern anch erscheinen mochte. Da stand auch sie vor dein Bilde des Todes still. Meinst dn, fragte sie leise, und ein Beben ging dnrch ihren Körper, meinst dn wirklich, daß wir dies Bild hier hängen lassen sollen? Fürchtest auch du dich vor dem Alten? fragte der Schulmeister lächelnd. Er ist nicht so schlimm, wie er aussieht, und dann hat er das Gute, daß man ihn lieber gewinnt, je näher man ihn kennen lernt. Das kann man aber nicht von vielen sagen. Seine junge Braut schlug die Augen nieder und sah aus, als wenn sie doch nicht so ganz damit einverstanden wäre. Der Schulmeister aber ergriff ihre Hand und fuhr fort: Sich nicht so traurig drein! Hier soll ja dein Reich sei», und wenn du es wünschst, muß mein alter Freund dir weichen. Aber erst sollst du hören, warum ich so viel von ihm halte, dann kannst du selber ur¬ teilen. Er hat dir wie mir Eltern und Geschwister genommen, auch nach uns streckt er seine Hand aus, und in seinem Antlitz steht die bittere Notwendigkeit geschrieben. Aber in seineu Augen liegt ein Geheimnis, und wer ihn gerade anschaut und ihm mit kindlichem Vertrauen ins Ange blickt, hat Teil daran. Ich war ein kleiner Junge und saß auf den Knieen meines Vaters, als ich zum erstenmale einen Einblick in dies Geheimnis that; es war für mich gleichsam ein Märchen, das ich seitdem niemals vergesse» habe, das mit jedem mille, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/410>, abgerufen am 29.06.2024.