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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Aber darüber verlor er niemals ein Wort, und auch darin mochte er wohl
Recht haben.

Ihr sollt sehen, mit dem Schulmeister nimmt es kein gutes Ende, sagten
die vernünftigen Leute im Dorfe, dem Tode soll man aus dem Wege gehen
und ihm nicht lange nachsehen, dann hat er keine Macht über uns. Der
Totengräber Jens aber sagte: Der Schulmeister ist der klügste Mann, den ich
seit vielen Jahren kennen gelernt habe, und von der Zeit an machte er sich
allerlei im Schulhause zu schaffen, was doch früher niemals der Fall gewesen
war. Man wunderte sich darüber, daß er plötzlich so gern die Ansichten des Schul¬
meisters über dieses oder jenes hörte, das hatte er doch früher nicht gethan,
denn er war kein Freund von vielem Reden. Und bei diesen Gelegenheiten kam
merkwürdigerweise das Gespräch stets auf das alte Bild, und er und der
Schulmeister gingen dann in das Schlafkämmerlein, um es zu besehen. Und
er schaute den Tod an, zu dem er seit so vielen Jahren in so naher Be¬
ziehung gestanden hatte, und er konnte sich nicht satt an ihm sehen, er meinte
immer, da sei so viel zu schauen, was er nie zuvor gewußt oder gesehen
habe. Es war, als verringerte sich seine eigne Sicherheit dem großen Meister
gegenüber.

Das ist ein wahres Wort, sagte er, als er zum ersten male vor dem
Bilde stand, da gehen sie hin und reden und dünken sich Gott weiß wie gut,
als seien nicht Grüber genug da, um alle ihre Größe hinein zu legen.

Und allen den alten Starrsinn obendrein, fügte der Schulmeister hinzu und
legte die Hand auf seine Schulter.

Der Totengräber Jens schaute hastig auf, aber der Blick, der dem seinen
begegnete, war so freundlich und treuherzig, daß er seine Augen niederschlug und
schwieg. Er sah deu Tod noch einmal an, und dann ging er hinweg.

Am nächsten Tage hatte er wieder etwas in der Schule zu thun, und
es endete abermals damit, daß er und der Schulmeister in die Schlafkammer
gingen und vor dem Tode standen.

Es hat doch sei" Gutes, daß es einen giebt, der ihr Meister ist, über
die Großen wie über die Kleinen, sonst möchten die Menschen am Ende zu
übermütig werden. So sagte der alte Jens und sah zu dem Schulmeister
auf, um zu sehen, ob der ihm wohl widersprechen würde. Aber daran dachte
der Schulmeister nicht.

Ihr habt Recht, Jens, sagte er und nickte ihm freundlich zu. Die Lehre
Ruinen wir beide uns auch zu Herzen nehmen.

Der Totengräber Jens ging abermals sinnend von dannen, und auch dies¬
mal hatte er nichts einzuwenden.

Und so ging und kam er, so besuchte er deu Schulmeister und den Tod,
und so sprachen die zwei über den dritten, bis die Leute ansingen, sich darüber
zu wundern, daß des Schulmeisters freundliche Stimme die garstigen Lieder des


Grenzboten IV. 1887. S1

Aber darüber verlor er niemals ein Wort, und auch darin mochte er wohl
Recht haben.

Ihr sollt sehen, mit dem Schulmeister nimmt es kein gutes Ende, sagten
die vernünftigen Leute im Dorfe, dem Tode soll man aus dem Wege gehen
und ihm nicht lange nachsehen, dann hat er keine Macht über uns. Der
Totengräber Jens aber sagte: Der Schulmeister ist der klügste Mann, den ich
seit vielen Jahren kennen gelernt habe, und von der Zeit an machte er sich
allerlei im Schulhause zu schaffen, was doch früher niemals der Fall gewesen
war. Man wunderte sich darüber, daß er plötzlich so gern die Ansichten des Schul¬
meisters über dieses oder jenes hörte, das hatte er doch früher nicht gethan,
denn er war kein Freund von vielem Reden. Und bei diesen Gelegenheiten kam
merkwürdigerweise das Gespräch stets auf das alte Bild, und er und der
Schulmeister gingen dann in das Schlafkämmerlein, um es zu besehen. Und
er schaute den Tod an, zu dem er seit so vielen Jahren in so naher Be¬
ziehung gestanden hatte, und er konnte sich nicht satt an ihm sehen, er meinte
immer, da sei so viel zu schauen, was er nie zuvor gewußt oder gesehen
habe. Es war, als verringerte sich seine eigne Sicherheit dem großen Meister
gegenüber.

Das ist ein wahres Wort, sagte er, als er zum ersten male vor dem
Bilde stand, da gehen sie hin und reden und dünken sich Gott weiß wie gut,
als seien nicht Grüber genug da, um alle ihre Größe hinein zu legen.

Und allen den alten Starrsinn obendrein, fügte der Schulmeister hinzu und
legte die Hand auf seine Schulter.

Der Totengräber Jens schaute hastig auf, aber der Blick, der dem seinen
begegnete, war so freundlich und treuherzig, daß er seine Augen niederschlug und
schwieg. Er sah deu Tod noch einmal an, und dann ging er hinweg.

Am nächsten Tage hatte er wieder etwas in der Schule zu thun, und
es endete abermals damit, daß er und der Schulmeister in die Schlafkammer
gingen und vor dem Tode standen.

Es hat doch sei» Gutes, daß es einen giebt, der ihr Meister ist, über
die Großen wie über die Kleinen, sonst möchten die Menschen am Ende zu
übermütig werden. So sagte der alte Jens und sah zu dem Schulmeister
auf, um zu sehen, ob der ihm wohl widersprechen würde. Aber daran dachte
der Schulmeister nicht.

Ihr habt Recht, Jens, sagte er und nickte ihm freundlich zu. Die Lehre
Ruinen wir beide uns auch zu Herzen nehmen.

Der Totengräber Jens ging abermals sinnend von dannen, und auch dies¬
mal hatte er nichts einzuwenden.

Und so ging und kam er, so besuchte er deu Schulmeister und den Tod,
und so sprachen die zwei über den dritten, bis die Leute ansingen, sich darüber
zu wundern, daß des Schulmeisters freundliche Stimme die garstigen Lieder des


Grenzboten IV. 1887. S1
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[0409] Aber darüber verlor er niemals ein Wort, und auch darin mochte er wohl Recht haben. Ihr sollt sehen, mit dem Schulmeister nimmt es kein gutes Ende, sagten die vernünftigen Leute im Dorfe, dem Tode soll man aus dem Wege gehen und ihm nicht lange nachsehen, dann hat er keine Macht über uns. Der Totengräber Jens aber sagte: Der Schulmeister ist der klügste Mann, den ich seit vielen Jahren kennen gelernt habe, und von der Zeit an machte er sich allerlei im Schulhause zu schaffen, was doch früher niemals der Fall gewesen war. Man wunderte sich darüber, daß er plötzlich so gern die Ansichten des Schul¬ meisters über dieses oder jenes hörte, das hatte er doch früher nicht gethan, denn er war kein Freund von vielem Reden. Und bei diesen Gelegenheiten kam merkwürdigerweise das Gespräch stets auf das alte Bild, und er und der Schulmeister gingen dann in das Schlafkämmerlein, um es zu besehen. Und er schaute den Tod an, zu dem er seit so vielen Jahren in so naher Be¬ ziehung gestanden hatte, und er konnte sich nicht satt an ihm sehen, er meinte immer, da sei so viel zu schauen, was er nie zuvor gewußt oder gesehen habe. Es war, als verringerte sich seine eigne Sicherheit dem großen Meister gegenüber. Das ist ein wahres Wort, sagte er, als er zum ersten male vor dem Bilde stand, da gehen sie hin und reden und dünken sich Gott weiß wie gut, als seien nicht Grüber genug da, um alle ihre Größe hinein zu legen. Und allen den alten Starrsinn obendrein, fügte der Schulmeister hinzu und legte die Hand auf seine Schulter. Der Totengräber Jens schaute hastig auf, aber der Blick, der dem seinen begegnete, war so freundlich und treuherzig, daß er seine Augen niederschlug und schwieg. Er sah deu Tod noch einmal an, und dann ging er hinweg. Am nächsten Tage hatte er wieder etwas in der Schule zu thun, und es endete abermals damit, daß er und der Schulmeister in die Schlafkammer gingen und vor dem Tode standen. Es hat doch sei» Gutes, daß es einen giebt, der ihr Meister ist, über die Großen wie über die Kleinen, sonst möchten die Menschen am Ende zu übermütig werden. So sagte der alte Jens und sah zu dem Schulmeister auf, um zu sehen, ob der ihm wohl widersprechen würde. Aber daran dachte der Schulmeister nicht. Ihr habt Recht, Jens, sagte er und nickte ihm freundlich zu. Die Lehre Ruinen wir beide uns auch zu Herzen nehmen. Der Totengräber Jens ging abermals sinnend von dannen, und auch dies¬ mal hatte er nichts einzuwenden. Und so ging und kam er, so besuchte er deu Schulmeister und den Tod, und so sprachen die zwei über den dritten, bis die Leute ansingen, sich darüber zu wundern, daß des Schulmeisters freundliche Stimme die garstigen Lieder des Grenzboten IV. 1887. S1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/409>, abgerufen am 01.07.2024.