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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

ich zu ihm zurückkehrte, schöner wurde. Aber es ist kein Märchen von Menschen-
Phantasie erschaffen -- der Tod selber erzählt es.

Sie stand da und sah ihn verwundert an; ein fremder Geist, der ihr bange
machte und sie doch unwiderstehlich zu ihm hinzog, schien über ihn gekommen zu
sein. Sie schmiegte sich fester an ihn.

Lache mich nur aus, wenn du willst, Geliebte, fuhr er fort. Aber ich habe
stets ein Gefühl gehabt, als sei es gerade mir besonders dienlich, das Geheimnis
des Todes verstehen zu lernen, um getrost unter seinen Augen einschlafen zu
können. Wer weiß, wie bald wir beide seine Macht kennen lernen. Willst du
das Geheimnis des Todes mit mir teilen? ich könnte es sonst niemand an¬
vertrauen, nur dir kann ich es sagen!

Seine junge Breme nickte, aber ihr Herz klopfte lant, und es war ihr, als
solle sie ein wildfremdes Land kennen lernen.

Komm her, ich will dich wie ein Kind auf meine Arme nehmen, flüsterte
er, dann sollst du ihm getrost ins Auge schauen!

Ehe sie wußte, wie ihr geschah, hatte er sie in die Höhe gehoben, und nun
starrte ihr der Tod ins Antlitz. Unwillkürlich fuhr sie zurück, aber schon nach
wenig Augenblicken sah sie ihm mutig in die großen, schwarzen Augenhöhlen,
und ein Lächeln glitt über ihr Antlitz -- dasselbe Lächeln, das die Züge des
jungen Mädchens verschönte, welche zu den Füßen des Todes ins Grab sank.
Als sie wieder an seiner Seite stand, lehnte sie ihr Haupt an seine Schulter
und flüsterte Worte, die nur er hören konnte. Und das war das zweite mal,
daß der Tod den Sieg davon getragen und seinen Platz behauptet hatte.

Und dort war er geblieben, und von dort aus hatte er Teil genommen
an der bange" Hoffnung, mit der die jungen Eheleute ihr Söhnchen erwartet,
wie an der jubelnden Frende, mit der sie ihn begrüßt hatten. Von dort aus
konnte er täglich sehen, wie lieb sie ihn hatten, wie sie die kleine Menschenknvspe
mit den zärtlichsten Namen überschütteten. Und das Ende davon war, daß
auch der Tod den kleinen Jungen lieb gewann, denn wer kann Tag für Tag auf
so ein kleines Wesen Herabschanen, ohne etwas von ihm zu halten?

Wie soll unser Junge heißen? fragte der Schulmeister eines Tages seine
Frau, als sie beide an der Wiege des Kleinen saßen.

Natürlich Theodor! erwiederte die junge Freir und blickte ihn lächelnd an.

Gott segne dich dafür, rief der Schulmeister aus. Das war der Name
meines guten, frommen Vaters, und der soll in dem kleinen Burschen weiter
leben. Und dann bedeutet ja Theodor "Gottes Gabe," das soll uns daran er¬
innern, daß Gott den Knaben in unsre Hände gegeben und ihn dereinst von
uns zurückfordern wird.

Ja, dann müssen wir auch wohl den Tauftag festsetzen, meinte die junge
Hausfrau.

Das soll ein Fest werden! rief der Schulmeister aus und sprang auf.


Gevatter Tod.

ich zu ihm zurückkehrte, schöner wurde. Aber es ist kein Märchen von Menschen-
Phantasie erschaffen — der Tod selber erzählt es.

Sie stand da und sah ihn verwundert an; ein fremder Geist, der ihr bange
machte und sie doch unwiderstehlich zu ihm hinzog, schien über ihn gekommen zu
sein. Sie schmiegte sich fester an ihn.

Lache mich nur aus, wenn du willst, Geliebte, fuhr er fort. Aber ich habe
stets ein Gefühl gehabt, als sei es gerade mir besonders dienlich, das Geheimnis
des Todes verstehen zu lernen, um getrost unter seinen Augen einschlafen zu
können. Wer weiß, wie bald wir beide seine Macht kennen lernen. Willst du
das Geheimnis des Todes mit mir teilen? ich könnte es sonst niemand an¬
vertrauen, nur dir kann ich es sagen!

Seine junge Breme nickte, aber ihr Herz klopfte lant, und es war ihr, als
solle sie ein wildfremdes Land kennen lernen.

Komm her, ich will dich wie ein Kind auf meine Arme nehmen, flüsterte
er, dann sollst du ihm getrost ins Auge schauen!

Ehe sie wußte, wie ihr geschah, hatte er sie in die Höhe gehoben, und nun
starrte ihr der Tod ins Antlitz. Unwillkürlich fuhr sie zurück, aber schon nach
wenig Augenblicken sah sie ihm mutig in die großen, schwarzen Augenhöhlen,
und ein Lächeln glitt über ihr Antlitz — dasselbe Lächeln, das die Züge des
jungen Mädchens verschönte, welche zu den Füßen des Todes ins Grab sank.
Als sie wieder an seiner Seite stand, lehnte sie ihr Haupt an seine Schulter
und flüsterte Worte, die nur er hören konnte. Und das war das zweite mal,
daß der Tod den Sieg davon getragen und seinen Platz behauptet hatte.

Und dort war er geblieben, und von dort aus hatte er Teil genommen
an der bange» Hoffnung, mit der die jungen Eheleute ihr Söhnchen erwartet,
wie an der jubelnden Frende, mit der sie ihn begrüßt hatten. Von dort aus
konnte er täglich sehen, wie lieb sie ihn hatten, wie sie die kleine Menschenknvspe
mit den zärtlichsten Namen überschütteten. Und das Ende davon war, daß
auch der Tod den kleinen Jungen lieb gewann, denn wer kann Tag für Tag auf
so ein kleines Wesen Herabschanen, ohne etwas von ihm zu halten?

Wie soll unser Junge heißen? fragte der Schulmeister eines Tages seine
Frau, als sie beide an der Wiege des Kleinen saßen.

Natürlich Theodor! erwiederte die junge Freir und blickte ihn lächelnd an.

Gott segne dich dafür, rief der Schulmeister aus. Das war der Name
meines guten, frommen Vaters, und der soll in dem kleinen Burschen weiter
leben. Und dann bedeutet ja Theodor „Gottes Gabe," das soll uns daran er¬
innern, daß Gott den Knaben in unsre Hände gegeben und ihn dereinst von
uns zurückfordern wird.

Ja, dann müssen wir auch wohl den Tauftag festsetzen, meinte die junge
Hausfrau.

Das soll ein Fest werden! rief der Schulmeister aus und sprang auf.


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[0411] Gevatter Tod. ich zu ihm zurückkehrte, schöner wurde. Aber es ist kein Märchen von Menschen- Phantasie erschaffen — der Tod selber erzählt es. Sie stand da und sah ihn verwundert an; ein fremder Geist, der ihr bange machte und sie doch unwiderstehlich zu ihm hinzog, schien über ihn gekommen zu sein. Sie schmiegte sich fester an ihn. Lache mich nur aus, wenn du willst, Geliebte, fuhr er fort. Aber ich habe stets ein Gefühl gehabt, als sei es gerade mir besonders dienlich, das Geheimnis des Todes verstehen zu lernen, um getrost unter seinen Augen einschlafen zu können. Wer weiß, wie bald wir beide seine Macht kennen lernen. Willst du das Geheimnis des Todes mit mir teilen? ich könnte es sonst niemand an¬ vertrauen, nur dir kann ich es sagen! Seine junge Breme nickte, aber ihr Herz klopfte lant, und es war ihr, als solle sie ein wildfremdes Land kennen lernen. Komm her, ich will dich wie ein Kind auf meine Arme nehmen, flüsterte er, dann sollst du ihm getrost ins Auge schauen! Ehe sie wußte, wie ihr geschah, hatte er sie in die Höhe gehoben, und nun starrte ihr der Tod ins Antlitz. Unwillkürlich fuhr sie zurück, aber schon nach wenig Augenblicken sah sie ihm mutig in die großen, schwarzen Augenhöhlen, und ein Lächeln glitt über ihr Antlitz — dasselbe Lächeln, das die Züge des jungen Mädchens verschönte, welche zu den Füßen des Todes ins Grab sank. Als sie wieder an seiner Seite stand, lehnte sie ihr Haupt an seine Schulter und flüsterte Worte, die nur er hören konnte. Und das war das zweite mal, daß der Tod den Sieg davon getragen und seinen Platz behauptet hatte. Und dort war er geblieben, und von dort aus hatte er Teil genommen an der bange» Hoffnung, mit der die jungen Eheleute ihr Söhnchen erwartet, wie an der jubelnden Frende, mit der sie ihn begrüßt hatten. Von dort aus konnte er täglich sehen, wie lieb sie ihn hatten, wie sie die kleine Menschenknvspe mit den zärtlichsten Namen überschütteten. Und das Ende davon war, daß auch der Tod den kleinen Jungen lieb gewann, denn wer kann Tag für Tag auf so ein kleines Wesen Herabschanen, ohne etwas von ihm zu halten? Wie soll unser Junge heißen? fragte der Schulmeister eines Tages seine Frau, als sie beide an der Wiege des Kleinen saßen. Natürlich Theodor! erwiederte die junge Freir und blickte ihn lächelnd an. Gott segne dich dafür, rief der Schulmeister aus. Das war der Name meines guten, frommen Vaters, und der soll in dem kleinen Burschen weiter leben. Und dann bedeutet ja Theodor „Gottes Gabe," das soll uns daran er¬ innern, daß Gott den Knaben in unsre Hände gegeben und ihn dereinst von uns zurückfordern wird. Ja, dann müssen wir auch wohl den Tauftag festsetzen, meinte die junge Hausfrau. Das soll ein Fest werden! rief der Schulmeister aus und sprang auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/411>, abgerufen am 27.06.2024.