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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Cod.

Aber wenn die Leute aus dem Dorfe am Friedhofe vorüber kamen und
den Gesang hörten, dann beschleunigten sie wohl ihren Gang und verzichteten
gern auf das Ende des Liedes. Sie mußten unwillkürlich denken, daß es eine
Geisterstimme sei, die auch ihnen galt, und das war ihnen nicht angenehm.

Die natürliche Folge von alledem war, daß die Leute im Dorfe den Toten¬
gräber Jens nicht besonders gern hatten, und auch ihm lag nichts an der
Freundschaft der Leute; so blieb denn auf dem gemeinsamen Wege jeder gern
auf seiner Seite.

Vor dem Friedhofe lag der große Teich, auf den das Dorf nicht wenig
stolz war, und jenseits des Teiches das Hans des alten Jens. Das Haus
war groß und stattlich, und doch bewohnte der Besitzer nur ein ganz kleines
Stübchen am äußersten Ende desselben. Der übrige Teil des Hauses diente
nur zum Staat, obgleich niemand da war, der den Staat hätte sehen können.

Man erzählte sich, daß der Totengräber, der jetzt freilich alt, sonderbar
und unzugänglich war, auch einmal jung und lebensfroh gewesen sei, daß er
die Absicht gehabt habe, sich zu verheiraten, und zwar mit dem schönsten Mädchen
des Dorfes. Das Haus war fertig gewesen und geschmückt wie zum Empfang
einer Prinzessin, aber die Prinzessin war launenhaft gewesen, sie hatte doch
lieber einen andern haben wollen, und den hatte sie denn auch bekommen.
Da hatte der Totengräber Jens seinen ganzen Staat eingeschlossen, hatte sich
in das kleine Hinterstübchen zurückgezogen und den Friedhof zu seinem Haupt-
aufenthaltsorte gewählt. Und jetzt war er ein alter, unzugänglicher Sonder¬
ling, und das war er nun schon viele Jahre lang. Die Prinzessin aber war
jetzt eine alte, kümmerliche Witwe mit triefenden Augen und saß auf dem Alten¬
teil in der Ofenecke.

So erzählte man es sich, und unglaublich ist es ja am Ende nicht, man
hat ja schon ähnliches erlebt. Der alte Jens sagte, daß man nicht langer in
Frieden leben könne, als es dem Nachbar gefällt, weswegen es das Gescheiteste
sei, gar keine Nachbarn zu haben, und darin hatte er wohl nicht so ganz Unrecht.
Im übrigen nahm er niemandes Hilfe in Anspruch, denn, sagte er, wer sich für
sich selber hält, tritt keinem zu nahe, und auch darin mochte er wohl Recht haben.
Ja, das kann er wohl sagen, meinten die Leute; hatte er doch einen hübschen
Schilling von den Eltern geerbt und immer mehr dazu verdient, ohne viel zu
verbrauchen. Also mußte er einen guten Sparpfennig zurückgelegt haben.


Gevatter Cod.

Aber wenn die Leute aus dem Dorfe am Friedhofe vorüber kamen und
den Gesang hörten, dann beschleunigten sie wohl ihren Gang und verzichteten
gern auf das Ende des Liedes. Sie mußten unwillkürlich denken, daß es eine
Geisterstimme sei, die auch ihnen galt, und das war ihnen nicht angenehm.

Die natürliche Folge von alledem war, daß die Leute im Dorfe den Toten¬
gräber Jens nicht besonders gern hatten, und auch ihm lag nichts an der
Freundschaft der Leute; so blieb denn auf dem gemeinsamen Wege jeder gern
auf seiner Seite.

Vor dem Friedhofe lag der große Teich, auf den das Dorf nicht wenig
stolz war, und jenseits des Teiches das Hans des alten Jens. Das Haus
war groß und stattlich, und doch bewohnte der Besitzer nur ein ganz kleines
Stübchen am äußersten Ende desselben. Der übrige Teil des Hauses diente
nur zum Staat, obgleich niemand da war, der den Staat hätte sehen können.

Man erzählte sich, daß der Totengräber, der jetzt freilich alt, sonderbar
und unzugänglich war, auch einmal jung und lebensfroh gewesen sei, daß er
die Absicht gehabt habe, sich zu verheiraten, und zwar mit dem schönsten Mädchen
des Dorfes. Das Haus war fertig gewesen und geschmückt wie zum Empfang
einer Prinzessin, aber die Prinzessin war launenhaft gewesen, sie hatte doch
lieber einen andern haben wollen, und den hatte sie denn auch bekommen.
Da hatte der Totengräber Jens seinen ganzen Staat eingeschlossen, hatte sich
in das kleine Hinterstübchen zurückgezogen und den Friedhof zu seinem Haupt-
aufenthaltsorte gewählt. Und jetzt war er ein alter, unzugänglicher Sonder¬
ling, und das war er nun schon viele Jahre lang. Die Prinzessin aber war
jetzt eine alte, kümmerliche Witwe mit triefenden Augen und saß auf dem Alten¬
teil in der Ofenecke.

So erzählte man es sich, und unglaublich ist es ja am Ende nicht, man
hat ja schon ähnliches erlebt. Der alte Jens sagte, daß man nicht langer in
Frieden leben könne, als es dem Nachbar gefällt, weswegen es das Gescheiteste
sei, gar keine Nachbarn zu haben, und darin hatte er wohl nicht so ganz Unrecht.
Im übrigen nahm er niemandes Hilfe in Anspruch, denn, sagte er, wer sich für
sich selber hält, tritt keinem zu nahe, und auch darin mochte er wohl Recht haben.
Ja, das kann er wohl sagen, meinten die Leute; hatte er doch einen hübschen
Schilling von den Eltern geerbt und immer mehr dazu verdient, ohne viel zu
verbrauchen. Also mußte er einen guten Sparpfennig zurückgelegt haben.


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[0408] Gevatter Cod. Aber wenn die Leute aus dem Dorfe am Friedhofe vorüber kamen und den Gesang hörten, dann beschleunigten sie wohl ihren Gang und verzichteten gern auf das Ende des Liedes. Sie mußten unwillkürlich denken, daß es eine Geisterstimme sei, die auch ihnen galt, und das war ihnen nicht angenehm. Die natürliche Folge von alledem war, daß die Leute im Dorfe den Toten¬ gräber Jens nicht besonders gern hatten, und auch ihm lag nichts an der Freundschaft der Leute; so blieb denn auf dem gemeinsamen Wege jeder gern auf seiner Seite. Vor dem Friedhofe lag der große Teich, auf den das Dorf nicht wenig stolz war, und jenseits des Teiches das Hans des alten Jens. Das Haus war groß und stattlich, und doch bewohnte der Besitzer nur ein ganz kleines Stübchen am äußersten Ende desselben. Der übrige Teil des Hauses diente nur zum Staat, obgleich niemand da war, der den Staat hätte sehen können. Man erzählte sich, daß der Totengräber, der jetzt freilich alt, sonderbar und unzugänglich war, auch einmal jung und lebensfroh gewesen sei, daß er die Absicht gehabt habe, sich zu verheiraten, und zwar mit dem schönsten Mädchen des Dorfes. Das Haus war fertig gewesen und geschmückt wie zum Empfang einer Prinzessin, aber die Prinzessin war launenhaft gewesen, sie hatte doch lieber einen andern haben wollen, und den hatte sie denn auch bekommen. Da hatte der Totengräber Jens seinen ganzen Staat eingeschlossen, hatte sich in das kleine Hinterstübchen zurückgezogen und den Friedhof zu seinem Haupt- aufenthaltsorte gewählt. Und jetzt war er ein alter, unzugänglicher Sonder¬ ling, und das war er nun schon viele Jahre lang. Die Prinzessin aber war jetzt eine alte, kümmerliche Witwe mit triefenden Augen und saß auf dem Alten¬ teil in der Ofenecke. So erzählte man es sich, und unglaublich ist es ja am Ende nicht, man hat ja schon ähnliches erlebt. Der alte Jens sagte, daß man nicht langer in Frieden leben könne, als es dem Nachbar gefällt, weswegen es das Gescheiteste sei, gar keine Nachbarn zu haben, und darin hatte er wohl nicht so ganz Unrecht. Im übrigen nahm er niemandes Hilfe in Anspruch, denn, sagte er, wer sich für sich selber hält, tritt keinem zu nahe, und auch darin mochte er wohl Recht haben. Ja, das kann er wohl sagen, meinten die Leute; hatte er doch einen hübschen Schilling von den Eltern geerbt und immer mehr dazu verdient, ohne viel zu verbrauchen. Also mußte er einen guten Sparpfennig zurückgelegt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/408>, abgerufen am 03.07.2024.