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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

des Dorfes gegen sich, und mit jedem Tage wuchs die feindliche Stimmung, man
war fest entschlossen, den Friedensstörer zu verdrängen.

Das ganze Dorf war es nun freilich doch nicht, denn der alte Toten¬
gräber Jens hielt es mit dein Tode, und das war ja auch seine Pflicht und
Schuldigkeit. Einesteils war der Totengräber Jens gern andrer Meinung
als die Leute im Dorfe, und dann hatte er ja auch so sehr viel mit dem Tode
zu schaffen; war doch der Tod sein täglicher Verkehr. Ja er hatte sogar
weiter gar keinen Umgang, und das konnte man ihm auch anmerken.

Er läutete die Glocke in der Kirche des Dorfes, er grub die Gräber,
hielt den Friedhof in Ordnung und war in dieser Beschäftigung ergraut;
selbst die ältesten Leute des Dorfes wußten sich kaum zu erinnern, daß er
auch einmal jung gewesen sei. Aber der Tod selber war nicht sicherer in seinem
Fach als der alte Jens; er wußte aufs genaueste mit allem Bescheid, was
dahin gehörte.

Jeden Morgen, wenn seine kurzen, eiligen Schritte den Weg, der zum
Kirchhof führte, entlang klapperten, wußte man im Dorfe, wie es an der Zeit
sei; man konnte seine Uhr darnach stellen, so zuverlässig war er. Den Tag
hindurch war er bei den Gräbern beschäftigt und hielt mit so strenger Miene
Wacht über den Friedhof, als bewache er einen kostbaren Besitz und sei bereit,
ihn gegen jedermann zu verteidigen. Ein neues Grab schüttete er mit so
sichtlicher Befriedigung zu, als wolle er sagen: Da hab' ich dich gefangen!
Nun bleibst du hier bei mir, es entgeht mir doch keiner.

Langsam aber sicher belaste er so jahraus jahrein seine Ernte auf dem
Friedhofe ein, ihn selber aber schien der Tod vergessen zu haben. Je mehr seine
Gestalt zu Knochen und Sehnen zusammenschrumpfte, desto eisenfester schien
sie, ja, je schrumpliger die Haut in seinem Antlitz wurde, ein desto zäheres Aus¬
sehen gewann sie. Die Bewohner des Dorfes zeichneten sich nicht gerade durch
besondern Scharfsinn aus, aber zuweilen wollte es ihnen doch scheinen, "is
wenn zwischen dem alten Jens und dem Tode ein besondres Verhältnis bestünde,
als wenn er mit einer Miene umherginge, die deutlich bekundete, daß er fest
entschlossen sei, sie allesamt zu begraben, einen nach dem andern, und das gefiel
ihnen nicht.

Und es war doch auch wunderlich, daß er solchen Geschmack daran finden
konnte, sich zwischen den Gräbern zu beschäftigen, und noch dazu zu solchen Zeiten,
wo ehrbare Leute sich am liebsten so fern wie möglich vom Friedhof hielten. Zu
später Abendstunde, wenn die Dämmerung schon längst hereingebrochen war, er¬
schallte oft eine zitternde Stimme aus einem halbfertigen Grabe und sang in die
Nacht hinaus:

Ich grabe und ich grabe,
Und wer kommt jetzt daran?
Wer laßt jetzt seine Habe,
Ist's Kind, ist's Weib, ist's Mann?

Gevatter Tod.

des Dorfes gegen sich, und mit jedem Tage wuchs die feindliche Stimmung, man
war fest entschlossen, den Friedensstörer zu verdrängen.

Das ganze Dorf war es nun freilich doch nicht, denn der alte Toten¬
gräber Jens hielt es mit dein Tode, und das war ja auch seine Pflicht und
Schuldigkeit. Einesteils war der Totengräber Jens gern andrer Meinung
als die Leute im Dorfe, und dann hatte er ja auch so sehr viel mit dem Tode
zu schaffen; war doch der Tod sein täglicher Verkehr. Ja er hatte sogar
weiter gar keinen Umgang, und das konnte man ihm auch anmerken.

Er läutete die Glocke in der Kirche des Dorfes, er grub die Gräber,
hielt den Friedhof in Ordnung und war in dieser Beschäftigung ergraut;
selbst die ältesten Leute des Dorfes wußten sich kaum zu erinnern, daß er
auch einmal jung gewesen sei. Aber der Tod selber war nicht sicherer in seinem
Fach als der alte Jens; er wußte aufs genaueste mit allem Bescheid, was
dahin gehörte.

Jeden Morgen, wenn seine kurzen, eiligen Schritte den Weg, der zum
Kirchhof führte, entlang klapperten, wußte man im Dorfe, wie es an der Zeit
sei; man konnte seine Uhr darnach stellen, so zuverlässig war er. Den Tag
hindurch war er bei den Gräbern beschäftigt und hielt mit so strenger Miene
Wacht über den Friedhof, als bewache er einen kostbaren Besitz und sei bereit,
ihn gegen jedermann zu verteidigen. Ein neues Grab schüttete er mit so
sichtlicher Befriedigung zu, als wolle er sagen: Da hab' ich dich gefangen!
Nun bleibst du hier bei mir, es entgeht mir doch keiner.

Langsam aber sicher belaste er so jahraus jahrein seine Ernte auf dem
Friedhofe ein, ihn selber aber schien der Tod vergessen zu haben. Je mehr seine
Gestalt zu Knochen und Sehnen zusammenschrumpfte, desto eisenfester schien
sie, ja, je schrumpliger die Haut in seinem Antlitz wurde, ein desto zäheres Aus¬
sehen gewann sie. Die Bewohner des Dorfes zeichneten sich nicht gerade durch
besondern Scharfsinn aus, aber zuweilen wollte es ihnen doch scheinen, «is
wenn zwischen dem alten Jens und dem Tode ein besondres Verhältnis bestünde,
als wenn er mit einer Miene umherginge, die deutlich bekundete, daß er fest
entschlossen sei, sie allesamt zu begraben, einen nach dem andern, und das gefiel
ihnen nicht.

Und es war doch auch wunderlich, daß er solchen Geschmack daran finden
konnte, sich zwischen den Gräbern zu beschäftigen, und noch dazu zu solchen Zeiten,
wo ehrbare Leute sich am liebsten so fern wie möglich vom Friedhof hielten. Zu
später Abendstunde, wenn die Dämmerung schon längst hereingebrochen war, er¬
schallte oft eine zitternde Stimme aus einem halbfertigen Grabe und sang in die
Nacht hinaus:

Ich grabe und ich grabe,
Und wer kommt jetzt daran?
Wer laßt jetzt seine Habe,
Ist's Kind, ist's Weib, ist's Mann?

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[0407] Gevatter Tod. des Dorfes gegen sich, und mit jedem Tage wuchs die feindliche Stimmung, man war fest entschlossen, den Friedensstörer zu verdrängen. Das ganze Dorf war es nun freilich doch nicht, denn der alte Toten¬ gräber Jens hielt es mit dein Tode, und das war ja auch seine Pflicht und Schuldigkeit. Einesteils war der Totengräber Jens gern andrer Meinung als die Leute im Dorfe, und dann hatte er ja auch so sehr viel mit dem Tode zu schaffen; war doch der Tod sein täglicher Verkehr. Ja er hatte sogar weiter gar keinen Umgang, und das konnte man ihm auch anmerken. Er läutete die Glocke in der Kirche des Dorfes, er grub die Gräber, hielt den Friedhof in Ordnung und war in dieser Beschäftigung ergraut; selbst die ältesten Leute des Dorfes wußten sich kaum zu erinnern, daß er auch einmal jung gewesen sei. Aber der Tod selber war nicht sicherer in seinem Fach als der alte Jens; er wußte aufs genaueste mit allem Bescheid, was dahin gehörte. Jeden Morgen, wenn seine kurzen, eiligen Schritte den Weg, der zum Kirchhof führte, entlang klapperten, wußte man im Dorfe, wie es an der Zeit sei; man konnte seine Uhr darnach stellen, so zuverlässig war er. Den Tag hindurch war er bei den Gräbern beschäftigt und hielt mit so strenger Miene Wacht über den Friedhof, als bewache er einen kostbaren Besitz und sei bereit, ihn gegen jedermann zu verteidigen. Ein neues Grab schüttete er mit so sichtlicher Befriedigung zu, als wolle er sagen: Da hab' ich dich gefangen! Nun bleibst du hier bei mir, es entgeht mir doch keiner. Langsam aber sicher belaste er so jahraus jahrein seine Ernte auf dem Friedhofe ein, ihn selber aber schien der Tod vergessen zu haben. Je mehr seine Gestalt zu Knochen und Sehnen zusammenschrumpfte, desto eisenfester schien sie, ja, je schrumpliger die Haut in seinem Antlitz wurde, ein desto zäheres Aus¬ sehen gewann sie. Die Bewohner des Dorfes zeichneten sich nicht gerade durch besondern Scharfsinn aus, aber zuweilen wollte es ihnen doch scheinen, «is wenn zwischen dem alten Jens und dem Tode ein besondres Verhältnis bestünde, als wenn er mit einer Miene umherginge, die deutlich bekundete, daß er fest entschlossen sei, sie allesamt zu begraben, einen nach dem andern, und das gefiel ihnen nicht. Und es war doch auch wunderlich, daß er solchen Geschmack daran finden konnte, sich zwischen den Gräbern zu beschäftigen, und noch dazu zu solchen Zeiten, wo ehrbare Leute sich am liebsten so fern wie möglich vom Friedhof hielten. Zu später Abendstunde, wenn die Dämmerung schon längst hereingebrochen war, er¬ schallte oft eine zitternde Stimme aus einem halbfertigen Grabe und sang in die Nacht hinaus: Ich grabe und ich grabe, Und wer kommt jetzt daran? Wer laßt jetzt seine Habe, Ist's Kind, ist's Weib, ist's Mann?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/407>, abgerufen am 23.07.2024.