Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hegel in seinen Briefen.

Thatsache über die größere Lebendigkeit und damit Popularität seiner spätern
Vorlesungen auf Rechnung dieses schönen Verhältnisses setzein Von einer Pose,
einer berechneten Auswahl und Anordnung ist in diesen Berichten keine Rede,
wie sie überhaupt nicht den Charakter eines zur Veröffentlichung bestimmten
Briefwechsels tragen und daher auch in Stil und Gedanken keine ungerechten
Vergleiche -- etwa mit Goethes Neisebriefcn -- dulden. Alles, was gesehen
wird, wird mitgeteilt, ja oft macht es den ganz unbefangen humoristischen Ein¬
druck, schon auf die Mitteilung hin gesehen worden zu sein. Wiener, Pariser
und niederländische Küche, Pariser Moden -- die ungeheuern Strohhüte der
zwanziger Jahre, eine "Institution," die ja gerade diesen Herbst wieder ihre
schrecklichen Schatten vorauszuwerfen beginnt --, sogar das Pariser Schlacht¬
haus -- "in welcher andern Stadt der Welt würde ich ius Schlachthaus
fahren!" schreibt Hegel --, Städte-und Landschaftsbilder, Begegnungen auf der
Postkutsche und der Fahrgelegenheit, reisende Engländer und bnmmclnde Stu¬
denten, alles kunterbunt abwechselnd mit den Eindrücken der Architektur, der
Gemäldegalerien, der Musik, des Theaters.

Hegels Geschmack war, wie dein Kenner seiner Ästhetik schon aufgefallen
sein wird, sehr weit. Das hängt zusammen mit dem ganzen objektiven Charakter,
wenn eines, wie uns wenigstens dünkt, nicht mit dem Grunde seiner Philosophie.
Er begab sich willig und anstandslos in den Bann der seine Zeit beherrschenden
italienischen Opernarie, die italienische Oper ist in Wien sein Entzücken, seine
Leidenschaft, in Wien, wo sie zu derselben Zeit im abgelegenen Stübchen dem
letzten großen Meister der klassischen deutschen Musik seine letzten Tage ver¬
bitterte. Scribes Stücken sagt er "tiefe Wirkungen" nach und begreift nicht,
"wie das kritische Gesinde! bey uns ewig über Scribe, den Verfasser der Valerie,
schimpfen kann." Grillparzer, der ihn um diese Zeit besuchte, macht auf ihn
gar keinen Eindruck. Ihn interessirte jedes geistige Können vornehmlich durch
die Art seines "in Erscheinung trctcns." War dies fesselnd, und vornehmlich
war es etwas Besondres, ein Typus, so war es ihm zugleich bedeutend. In
das Innere, oder besser hier, in das Seelische der Erscheinung einzutreten, war
seine Sache nicht. Das ist der Blick des Naturforschers, des Anthropologen und
in dessen Sinne mich des Historikers. Weniger schon wird er dem eigentlichen
Geschichtsforscher, am allerwenigsten dem künstlerischen Geschichtschreiber, gar
dem Kunstforscher und Künstler eigen sein. Das ist für Hegels Wirkungen im
allgemeinsten wichtig geworden, und manche Wirrnis, manche Wunderlichkeit
und Verschrobenheit darin, aber auch manche ganz eigentümliche, ganz unbeab¬
sichtigte und unbewußte Formwirkuug (z. B. die Beziehung Hegels zum Ma¬
terialismus) wird dadurch erklärt oder aufgedeckt. Goethe, der ihn persönlich
ungemein hochschätzte und im Verkehr Schelling immer mehr vorzog, konnte
daher seiner Philosophie nichts abgewinnen, während er Schellings oft krauses
philosophisches Treiben von Anfang an mit einer Art olympischer Neugier ver-


Hegel in seinen Briefen.

Thatsache über die größere Lebendigkeit und damit Popularität seiner spätern
Vorlesungen auf Rechnung dieses schönen Verhältnisses setzein Von einer Pose,
einer berechneten Auswahl und Anordnung ist in diesen Berichten keine Rede,
wie sie überhaupt nicht den Charakter eines zur Veröffentlichung bestimmten
Briefwechsels tragen und daher auch in Stil und Gedanken keine ungerechten
Vergleiche — etwa mit Goethes Neisebriefcn — dulden. Alles, was gesehen
wird, wird mitgeteilt, ja oft macht es den ganz unbefangen humoristischen Ein¬
druck, schon auf die Mitteilung hin gesehen worden zu sein. Wiener, Pariser
und niederländische Küche, Pariser Moden — die ungeheuern Strohhüte der
zwanziger Jahre, eine „Institution," die ja gerade diesen Herbst wieder ihre
schrecklichen Schatten vorauszuwerfen beginnt —, sogar das Pariser Schlacht¬
haus — „in welcher andern Stadt der Welt würde ich ius Schlachthaus
fahren!" schreibt Hegel —, Städte-und Landschaftsbilder, Begegnungen auf der
Postkutsche und der Fahrgelegenheit, reisende Engländer und bnmmclnde Stu¬
denten, alles kunterbunt abwechselnd mit den Eindrücken der Architektur, der
Gemäldegalerien, der Musik, des Theaters.

Hegels Geschmack war, wie dein Kenner seiner Ästhetik schon aufgefallen
sein wird, sehr weit. Das hängt zusammen mit dem ganzen objektiven Charakter,
wenn eines, wie uns wenigstens dünkt, nicht mit dem Grunde seiner Philosophie.
Er begab sich willig und anstandslos in den Bann der seine Zeit beherrschenden
italienischen Opernarie, die italienische Oper ist in Wien sein Entzücken, seine
Leidenschaft, in Wien, wo sie zu derselben Zeit im abgelegenen Stübchen dem
letzten großen Meister der klassischen deutschen Musik seine letzten Tage ver¬
bitterte. Scribes Stücken sagt er „tiefe Wirkungen" nach und begreift nicht,
„wie das kritische Gesinde! bey uns ewig über Scribe, den Verfasser der Valerie,
schimpfen kann." Grillparzer, der ihn um diese Zeit besuchte, macht auf ihn
gar keinen Eindruck. Ihn interessirte jedes geistige Können vornehmlich durch
die Art seines „in Erscheinung trctcns." War dies fesselnd, und vornehmlich
war es etwas Besondres, ein Typus, so war es ihm zugleich bedeutend. In
das Innere, oder besser hier, in das Seelische der Erscheinung einzutreten, war
seine Sache nicht. Das ist der Blick des Naturforschers, des Anthropologen und
in dessen Sinne mich des Historikers. Weniger schon wird er dem eigentlichen
Geschichtsforscher, am allerwenigsten dem künstlerischen Geschichtschreiber, gar
dem Kunstforscher und Künstler eigen sein. Das ist für Hegels Wirkungen im
allgemeinsten wichtig geworden, und manche Wirrnis, manche Wunderlichkeit
und Verschrobenheit darin, aber auch manche ganz eigentümliche, ganz unbeab¬
sichtigte und unbewußte Formwirkuug (z. B. die Beziehung Hegels zum Ma¬
terialismus) wird dadurch erklärt oder aufgedeckt. Goethe, der ihn persönlich
ungemein hochschätzte und im Verkehr Schelling immer mehr vorzog, konnte
daher seiner Philosophie nichts abgewinnen, während er Schellings oft krauses
philosophisches Treiben von Anfang an mit einer Art olympischer Neugier ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201468"/>
          <fw type="header" place="top"> Hegel in seinen Briefen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_68" prev="#ID_67"> Thatsache über die größere Lebendigkeit und damit Popularität seiner spätern<lb/>
Vorlesungen auf Rechnung dieses schönen Verhältnisses setzein Von einer Pose,<lb/>
einer berechneten Auswahl und Anordnung ist in diesen Berichten keine Rede,<lb/>
wie sie überhaupt nicht den Charakter eines zur Veröffentlichung bestimmten<lb/>
Briefwechsels tragen und daher auch in Stil und Gedanken keine ungerechten<lb/>
Vergleiche &#x2014; etwa mit Goethes Neisebriefcn &#x2014; dulden. Alles, was gesehen<lb/>
wird, wird mitgeteilt, ja oft macht es den ganz unbefangen humoristischen Ein¬<lb/>
druck, schon auf die Mitteilung hin gesehen worden zu sein. Wiener, Pariser<lb/>
und niederländische Küche, Pariser Moden &#x2014; die ungeheuern Strohhüte der<lb/>
zwanziger Jahre, eine &#x201E;Institution," die ja gerade diesen Herbst wieder ihre<lb/>
schrecklichen Schatten vorauszuwerfen beginnt &#x2014;, sogar das Pariser Schlacht¬<lb/>
haus &#x2014; &#x201E;in welcher andern Stadt der Welt würde ich ius Schlachthaus<lb/>
fahren!" schreibt Hegel &#x2014;, Städte-und Landschaftsbilder, Begegnungen auf der<lb/>
Postkutsche und der Fahrgelegenheit, reisende Engländer und bnmmclnde Stu¬<lb/>
denten, alles kunterbunt abwechselnd mit den Eindrücken der Architektur, der<lb/>
Gemäldegalerien, der Musik, des Theaters.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_69" next="#ID_70"> Hegels Geschmack war, wie dein Kenner seiner Ästhetik schon aufgefallen<lb/>
sein wird, sehr weit. Das hängt zusammen mit dem ganzen objektiven Charakter,<lb/>
wenn eines, wie uns wenigstens dünkt, nicht mit dem Grunde seiner Philosophie.<lb/>
Er begab sich willig und anstandslos in den Bann der seine Zeit beherrschenden<lb/>
italienischen Opernarie, die italienische Oper ist in Wien sein Entzücken, seine<lb/>
Leidenschaft, in Wien, wo sie zu derselben Zeit im abgelegenen Stübchen dem<lb/>
letzten großen Meister der klassischen deutschen Musik seine letzten Tage ver¬<lb/>
bitterte. Scribes Stücken sagt er &#x201E;tiefe Wirkungen" nach und begreift nicht,<lb/>
&#x201E;wie das kritische Gesinde! bey uns ewig über Scribe, den Verfasser der Valerie,<lb/>
schimpfen kann." Grillparzer, der ihn um diese Zeit besuchte, macht auf ihn<lb/>
gar keinen Eindruck. Ihn interessirte jedes geistige Können vornehmlich durch<lb/>
die Art seines &#x201E;in Erscheinung trctcns." War dies fesselnd, und vornehmlich<lb/>
war es etwas Besondres, ein Typus, so war es ihm zugleich bedeutend. In<lb/>
das Innere, oder besser hier, in das Seelische der Erscheinung einzutreten, war<lb/>
seine Sache nicht. Das ist der Blick des Naturforschers, des Anthropologen und<lb/>
in dessen Sinne mich des Historikers. Weniger schon wird er dem eigentlichen<lb/>
Geschichtsforscher, am allerwenigsten dem künstlerischen Geschichtschreiber, gar<lb/>
dem Kunstforscher und Künstler eigen sein. Das ist für Hegels Wirkungen im<lb/>
allgemeinsten wichtig geworden, und manche Wirrnis, manche Wunderlichkeit<lb/>
und Verschrobenheit darin, aber auch manche ganz eigentümliche, ganz unbeab¬<lb/>
sichtigte und unbewußte Formwirkuug (z. B. die Beziehung Hegels zum Ma¬<lb/>
terialismus) wird dadurch erklärt oder aufgedeckt. Goethe, der ihn persönlich<lb/>
ungemein hochschätzte und im Verkehr Schelling immer mehr vorzog, konnte<lb/>
daher seiner Philosophie nichts abgewinnen, während er Schellings oft krauses<lb/>
philosophisches Treiben von Anfang an mit einer Art olympischer Neugier ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] Hegel in seinen Briefen. Thatsache über die größere Lebendigkeit und damit Popularität seiner spätern Vorlesungen auf Rechnung dieses schönen Verhältnisses setzein Von einer Pose, einer berechneten Auswahl und Anordnung ist in diesen Berichten keine Rede, wie sie überhaupt nicht den Charakter eines zur Veröffentlichung bestimmten Briefwechsels tragen und daher auch in Stil und Gedanken keine ungerechten Vergleiche — etwa mit Goethes Neisebriefcn — dulden. Alles, was gesehen wird, wird mitgeteilt, ja oft macht es den ganz unbefangen humoristischen Ein¬ druck, schon auf die Mitteilung hin gesehen worden zu sein. Wiener, Pariser und niederländische Küche, Pariser Moden — die ungeheuern Strohhüte der zwanziger Jahre, eine „Institution," die ja gerade diesen Herbst wieder ihre schrecklichen Schatten vorauszuwerfen beginnt —, sogar das Pariser Schlacht¬ haus — „in welcher andern Stadt der Welt würde ich ius Schlachthaus fahren!" schreibt Hegel —, Städte-und Landschaftsbilder, Begegnungen auf der Postkutsche und der Fahrgelegenheit, reisende Engländer und bnmmclnde Stu¬ denten, alles kunterbunt abwechselnd mit den Eindrücken der Architektur, der Gemäldegalerien, der Musik, des Theaters. Hegels Geschmack war, wie dein Kenner seiner Ästhetik schon aufgefallen sein wird, sehr weit. Das hängt zusammen mit dem ganzen objektiven Charakter, wenn eines, wie uns wenigstens dünkt, nicht mit dem Grunde seiner Philosophie. Er begab sich willig und anstandslos in den Bann der seine Zeit beherrschenden italienischen Opernarie, die italienische Oper ist in Wien sein Entzücken, seine Leidenschaft, in Wien, wo sie zu derselben Zeit im abgelegenen Stübchen dem letzten großen Meister der klassischen deutschen Musik seine letzten Tage ver¬ bitterte. Scribes Stücken sagt er „tiefe Wirkungen" nach und begreift nicht, „wie das kritische Gesinde! bey uns ewig über Scribe, den Verfasser der Valerie, schimpfen kann." Grillparzer, der ihn um diese Zeit besuchte, macht auf ihn gar keinen Eindruck. Ihn interessirte jedes geistige Können vornehmlich durch die Art seines „in Erscheinung trctcns." War dies fesselnd, und vornehmlich war es etwas Besondres, ein Typus, so war es ihm zugleich bedeutend. In das Innere, oder besser hier, in das Seelische der Erscheinung einzutreten, war seine Sache nicht. Das ist der Blick des Naturforschers, des Anthropologen und in dessen Sinne mich des Historikers. Weniger schon wird er dem eigentlichen Geschichtsforscher, am allerwenigsten dem künstlerischen Geschichtschreiber, gar dem Kunstforscher und Künstler eigen sein. Das ist für Hegels Wirkungen im allgemeinsten wichtig geworden, und manche Wirrnis, manche Wunderlichkeit und Verschrobenheit darin, aber auch manche ganz eigentümliche, ganz unbeab¬ sichtigte und unbewußte Formwirkuug (z. B. die Beziehung Hegels zum Ma¬ terialismus) wird dadurch erklärt oder aufgedeckt. Goethe, der ihn persönlich ungemein hochschätzte und im Verkehr Schelling immer mehr vorzog, konnte daher seiner Philosophie nichts abgewinnen, während er Schellings oft krauses philosophisches Treiben von Anfang an mit einer Art olympischer Neugier ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/39
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/39>, abgerufen am 22.07.2024.