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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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wohl auch schon vordem der leise, aber stetige Einfluß des ewig Weiblichen in
seiner Frau, "der Gewinn einer Liebe, auf den er sich kaum noch Hoffnungen
in der Welt machte," haben jedoch erfreulicherweise verhütet, eine solche Natur
in das ihr drohende Extrem der Pedanterie und Herzensdürre verfallen zu lassen.
Die Briefe an seine Frau, wie sie jetzt getreu nach den Originalen, ohne Aus¬
lassungen und vollzählig vorliegen, sind am ehesten geeignet, die aschgrauen
Vorstellungen von Hegels Persönlichkeit, auf die man gerade in neuester Zeit
unter den Einwirkungen seines gehässigen Gegners Schopenhauer so oft stoßen
kann, zu berichtigen. Man wird kaum von dem Philosophen und am wenigsten
von diesem Philosophen jene herkömmlichen Formen des "süßen Wahns," und
sei es in noch so absonderlicher Gestaltung, erwarten, in denen jeder Philister
einmal in seinem Leben mit dem Dichter zu wetteifern sich gemüssigt fühlt.
Schelling freilich, der sich hier wie überall zum gegensätzlichen Vergleich an¬
bietet, liebte es auch da, etwas vom blauen Dunste der Magie einfließen zu
lassen. Aber es berührt nicht gerade natürlich, ihn, den Witwer aus der Ehe-
mannsschulc Karolinens, noch im zweiten Brüutigamsstande mit "Maiblümchen,"
"mädchenhaften Mädchen" u. dergl. um sich werfen zu hören, besonders wenn
man dagegen die sehr nüchtern-verständige ärztliche Untersuchung hält, welche
er vor der Verlobung das "Maiblümchen" zu unterwerfen für zweckmüßig er¬
achtete. Hegel ist in diesem Verhältnis, das durch seine Besonderheit doch auch
das allzu Menschliche adeln mag, vielleicht ein wenig zu sehr er selbst gewesen.
Es kann so einem Philosophenbräntchen eigentlich gar nicht verdacht werden,
daß sie gelegentlich den Kopf oder wohl auch die Lippe hängen läßt, wenn sie
von dem geliebten Zukünftigen statt mit Canzonen und Sonetten, mit weisen
Betrachtungen über die Relativität und UnWirklichkeit des -- Glückes bedacht
wird. Gleichwohl sind die diesen Gegenstand betreffenden wunderlichsten aller
Liebesbriefe der nicht unliebenswürdige Ausdruck einer gleichmäßigen klaren
und dabei doch hochsinnigen und genialen Natur, jedenfalls haben noch nie
Liebesbriefe mehr gehalten als diese, die so wenig versprachen. Es bedarf nicht
der aus dem tiefsten Herzen kommenden Bestätigung der edeln Frau selbst an
den treuesten Lebensfreuud des verewigten Gatten am Schlüsse der Sammlung;
die Briefe selbst belegen es ans Schritt und Tritt durch die mannichfachsten
Züge, wie viel er ihr und seiner Familie rein menschlich gewesen ist. Auf
großen Ferienreisen nach den Niederlanden, nach Wien und Paris, die er sich
als Berliner Professor gönnen konnte, läßt er kaum einen Tag verstreichen,
ohne ihn mit einem Bericht an sie zu beginnen oder zu beschließen. Hier zeigt
sich die seinen Geist auszeichnende tiefe Vielseitigkeit in ihrer greifbarsten, ur¬
sprünglichsten Gestalt. Sie machte er darnach zur ersten Vertrauten seiner reich¬
haltigen Eindrücke in Kunst, Literatur und Leben. Und man darf wohl die
von dem Herausgeber dieser Briefe, seinem ältesten Sohne, schon in der Ein¬
leitung zu den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte hervorgehobene


wohl auch schon vordem der leise, aber stetige Einfluß des ewig Weiblichen in
seiner Frau, „der Gewinn einer Liebe, auf den er sich kaum noch Hoffnungen
in der Welt machte," haben jedoch erfreulicherweise verhütet, eine solche Natur
in das ihr drohende Extrem der Pedanterie und Herzensdürre verfallen zu lassen.
Die Briefe an seine Frau, wie sie jetzt getreu nach den Originalen, ohne Aus¬
lassungen und vollzählig vorliegen, sind am ehesten geeignet, die aschgrauen
Vorstellungen von Hegels Persönlichkeit, auf die man gerade in neuester Zeit
unter den Einwirkungen seines gehässigen Gegners Schopenhauer so oft stoßen
kann, zu berichtigen. Man wird kaum von dem Philosophen und am wenigsten
von diesem Philosophen jene herkömmlichen Formen des „süßen Wahns," und
sei es in noch so absonderlicher Gestaltung, erwarten, in denen jeder Philister
einmal in seinem Leben mit dem Dichter zu wetteifern sich gemüssigt fühlt.
Schelling freilich, der sich hier wie überall zum gegensätzlichen Vergleich an¬
bietet, liebte es auch da, etwas vom blauen Dunste der Magie einfließen zu
lassen. Aber es berührt nicht gerade natürlich, ihn, den Witwer aus der Ehe-
mannsschulc Karolinens, noch im zweiten Brüutigamsstande mit „Maiblümchen,"
„mädchenhaften Mädchen" u. dergl. um sich werfen zu hören, besonders wenn
man dagegen die sehr nüchtern-verständige ärztliche Untersuchung hält, welche
er vor der Verlobung das „Maiblümchen" zu unterwerfen für zweckmüßig er¬
achtete. Hegel ist in diesem Verhältnis, das durch seine Besonderheit doch auch
das allzu Menschliche adeln mag, vielleicht ein wenig zu sehr er selbst gewesen.
Es kann so einem Philosophenbräntchen eigentlich gar nicht verdacht werden,
daß sie gelegentlich den Kopf oder wohl auch die Lippe hängen läßt, wenn sie
von dem geliebten Zukünftigen statt mit Canzonen und Sonetten, mit weisen
Betrachtungen über die Relativität und UnWirklichkeit des — Glückes bedacht
wird. Gleichwohl sind die diesen Gegenstand betreffenden wunderlichsten aller
Liebesbriefe der nicht unliebenswürdige Ausdruck einer gleichmäßigen klaren
und dabei doch hochsinnigen und genialen Natur, jedenfalls haben noch nie
Liebesbriefe mehr gehalten als diese, die so wenig versprachen. Es bedarf nicht
der aus dem tiefsten Herzen kommenden Bestätigung der edeln Frau selbst an
den treuesten Lebensfreuud des verewigten Gatten am Schlüsse der Sammlung;
die Briefe selbst belegen es ans Schritt und Tritt durch die mannichfachsten
Züge, wie viel er ihr und seiner Familie rein menschlich gewesen ist. Auf
großen Ferienreisen nach den Niederlanden, nach Wien und Paris, die er sich
als Berliner Professor gönnen konnte, läßt er kaum einen Tag verstreichen,
ohne ihn mit einem Bericht an sie zu beginnen oder zu beschließen. Hier zeigt
sich die seinen Geist auszeichnende tiefe Vielseitigkeit in ihrer greifbarsten, ur¬
sprünglichsten Gestalt. Sie machte er darnach zur ersten Vertrauten seiner reich¬
haltigen Eindrücke in Kunst, Literatur und Leben. Und man darf wohl die
von dem Herausgeber dieser Briefe, seinem ältesten Sohne, schon in der Ein¬
leitung zu den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte hervorgehobene


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[0038] wohl auch schon vordem der leise, aber stetige Einfluß des ewig Weiblichen in seiner Frau, „der Gewinn einer Liebe, auf den er sich kaum noch Hoffnungen in der Welt machte," haben jedoch erfreulicherweise verhütet, eine solche Natur in das ihr drohende Extrem der Pedanterie und Herzensdürre verfallen zu lassen. Die Briefe an seine Frau, wie sie jetzt getreu nach den Originalen, ohne Aus¬ lassungen und vollzählig vorliegen, sind am ehesten geeignet, die aschgrauen Vorstellungen von Hegels Persönlichkeit, auf die man gerade in neuester Zeit unter den Einwirkungen seines gehässigen Gegners Schopenhauer so oft stoßen kann, zu berichtigen. Man wird kaum von dem Philosophen und am wenigsten von diesem Philosophen jene herkömmlichen Formen des „süßen Wahns," und sei es in noch so absonderlicher Gestaltung, erwarten, in denen jeder Philister einmal in seinem Leben mit dem Dichter zu wetteifern sich gemüssigt fühlt. Schelling freilich, der sich hier wie überall zum gegensätzlichen Vergleich an¬ bietet, liebte es auch da, etwas vom blauen Dunste der Magie einfließen zu lassen. Aber es berührt nicht gerade natürlich, ihn, den Witwer aus der Ehe- mannsschulc Karolinens, noch im zweiten Brüutigamsstande mit „Maiblümchen," „mädchenhaften Mädchen" u. dergl. um sich werfen zu hören, besonders wenn man dagegen die sehr nüchtern-verständige ärztliche Untersuchung hält, welche er vor der Verlobung das „Maiblümchen" zu unterwerfen für zweckmüßig er¬ achtete. Hegel ist in diesem Verhältnis, das durch seine Besonderheit doch auch das allzu Menschliche adeln mag, vielleicht ein wenig zu sehr er selbst gewesen. Es kann so einem Philosophenbräntchen eigentlich gar nicht verdacht werden, daß sie gelegentlich den Kopf oder wohl auch die Lippe hängen läßt, wenn sie von dem geliebten Zukünftigen statt mit Canzonen und Sonetten, mit weisen Betrachtungen über die Relativität und UnWirklichkeit des — Glückes bedacht wird. Gleichwohl sind die diesen Gegenstand betreffenden wunderlichsten aller Liebesbriefe der nicht unliebenswürdige Ausdruck einer gleichmäßigen klaren und dabei doch hochsinnigen und genialen Natur, jedenfalls haben noch nie Liebesbriefe mehr gehalten als diese, die so wenig versprachen. Es bedarf nicht der aus dem tiefsten Herzen kommenden Bestätigung der edeln Frau selbst an den treuesten Lebensfreuud des verewigten Gatten am Schlüsse der Sammlung; die Briefe selbst belegen es ans Schritt und Tritt durch die mannichfachsten Züge, wie viel er ihr und seiner Familie rein menschlich gewesen ist. Auf großen Ferienreisen nach den Niederlanden, nach Wien und Paris, die er sich als Berliner Professor gönnen konnte, läßt er kaum einen Tag verstreichen, ohne ihn mit einem Bericht an sie zu beginnen oder zu beschließen. Hier zeigt sich die seinen Geist auszeichnende tiefe Vielseitigkeit in ihrer greifbarsten, ur¬ sprünglichsten Gestalt. Sie machte er darnach zur ersten Vertrauten seiner reich¬ haltigen Eindrücke in Kunst, Literatur und Leben. Und man darf wohl die von dem Herausgeber dieser Briefe, seinem ältesten Sohne, schon in der Ein¬ leitung zu den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte hervorgehobene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/38>, abgerufen am 24.07.2024.