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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

folgte und noch an seinem Streite mit Jakobi lebhaften Anteil nahm. An
Hegel aber schreibt er: "Ich halte meinen Sinn möglichst offen für die Gaben
des Philosophen und freue mich jedesmal, wenn ich mir zueignen kann, was
auf eine Weise erforscht wird, welche die Natur mir nicht hat zugestehen wollen."
Und dies in einer Zeit, nachdem er sogar dem anfänglich ignorirten Kant "mit
großem Nutzen" nahe getreten zu sein bekennt. Das gemeinsame Band im
höheren Geistigen bildete für sie die Farbenlehre, zu deren eifrigstem Anhänger
und Vorfechter sich Hegel gleich von ihrem Erscheinen an gemacht hatte. Ans
wie verschiedenartigen Gründen, zeigt die Behandlung dieses Gegenstandes in
der "Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften" G 320), wo Hegel an der
Newtonschen Theorie "vors erste" mißfällt, "daß auch beim Lichte nach der
schlechtesten Reflexiousform, der Zusammensetzung, gegriffen worden ist." "Über
die Barbarei dieser Vorstellung -- sagt er -- kann man sich nicht stark
genug ausdrücken." Trotz dieser wenig sachgemäßen Behandlung hat Goethe
den bloßen Beitritt des einflußreichen Mannes sehr zu schätzen gewußt, wie er
bei der Aufführung des Hegelschen brieflichen Gutachtens in der Farbenlehre
ziemlich offen bekennt. Die beißende Verwendung der Newtonschen Theorie in
Hegels Vorlesungen als Beleg für den Zahlenaberglcmben der Menge im
Gegensatze gegen die unverstandenen hohen Gedanken eines Kepler (Encyklopädie
Z 280) wird jedenfalls ihre Wirkung nicht verfehlt haben.

Der Verkehr mit Goethe muß an die Spitze gestellt werden, wenn die
Rede auf die persönlichen Beziehungen Hegels kommt. Er befand sich durchaus
ans dem Stande geistiger Ebenbürtigkeit, "als von alten treuen Freunden
ohnehin nicht ans dem Fuße der Beobachtung -- wie er sich zeige oder was
er gesprochen, sondern kordat zusammen, und nicht um des Ruhmes und der
Ehre willen, daß von ihm gesehen und gehört zu haben n. s. f." Wie
Hegel "den alten, d. h. immer jungen" Goethe schildert, "etwas stiller --
ein solches ehrwürdiges, gutes, fideles Haupt, daß man den hohen Mann von
Genie und unversiegbarer Energie des Talents darüber vergißt," so sieht er
leider immer noch nicht vor der Phantasie der meisten Deuschen. Sein Zeugnis
vom alt-Goethischen Weimar, dem ganzen, unbefangen liebenswerten, traulich
patriarchalischen Verhältnis, dem "guten, alten, etwas tauben Herrn," dem
Großherzog, der auf ein Paar Stündchen zur abendlichen Plauderei zu Goethe
kommt und Hegel "angenagelt auf dem Sopha neben sich" festhält, um sich
"über Paris" berichten zu lassen, während sich "Zelter und Riemer klüglicher¬
weise >d. h. wohl des politischen Gesprächs wegen^ in das daranstoßende Zimmer
setzen" -- alles dies ist darum denen doppelt zu empfehlen, welche den "Riemer,
Eckermaun und andern Goethischen Kreaturen" noch immer hartnäckig ihren
Glauben versagen. Durch Goethes Vermittlung wohl wurde in Berlin Zelter
der Hausfreund von Hegels Familie. In Heidelberg waren es Kreuzer und
der von seiner Philosophie, wie der Theologe weiß, geradezu berückte Daub.


Hegel in seinen Briefen.

folgte und noch an seinem Streite mit Jakobi lebhaften Anteil nahm. An
Hegel aber schreibt er: „Ich halte meinen Sinn möglichst offen für die Gaben
des Philosophen und freue mich jedesmal, wenn ich mir zueignen kann, was
auf eine Weise erforscht wird, welche die Natur mir nicht hat zugestehen wollen."
Und dies in einer Zeit, nachdem er sogar dem anfänglich ignorirten Kant „mit
großem Nutzen" nahe getreten zu sein bekennt. Das gemeinsame Band im
höheren Geistigen bildete für sie die Farbenlehre, zu deren eifrigstem Anhänger
und Vorfechter sich Hegel gleich von ihrem Erscheinen an gemacht hatte. Ans
wie verschiedenartigen Gründen, zeigt die Behandlung dieses Gegenstandes in
der „Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften" G 320), wo Hegel an der
Newtonschen Theorie „vors erste" mißfällt, „daß auch beim Lichte nach der
schlechtesten Reflexiousform, der Zusammensetzung, gegriffen worden ist." „Über
die Barbarei dieser Vorstellung — sagt er — kann man sich nicht stark
genug ausdrücken." Trotz dieser wenig sachgemäßen Behandlung hat Goethe
den bloßen Beitritt des einflußreichen Mannes sehr zu schätzen gewußt, wie er
bei der Aufführung des Hegelschen brieflichen Gutachtens in der Farbenlehre
ziemlich offen bekennt. Die beißende Verwendung der Newtonschen Theorie in
Hegels Vorlesungen als Beleg für den Zahlenaberglcmben der Menge im
Gegensatze gegen die unverstandenen hohen Gedanken eines Kepler (Encyklopädie
Z 280) wird jedenfalls ihre Wirkung nicht verfehlt haben.

Der Verkehr mit Goethe muß an die Spitze gestellt werden, wenn die
Rede auf die persönlichen Beziehungen Hegels kommt. Er befand sich durchaus
ans dem Stande geistiger Ebenbürtigkeit, „als von alten treuen Freunden
ohnehin nicht ans dem Fuße der Beobachtung — wie er sich zeige oder was
er gesprochen, sondern kordat zusammen, und nicht um des Ruhmes und der
Ehre willen, daß von ihm gesehen und gehört zu haben n. s. f." Wie
Hegel „den alten, d. h. immer jungen" Goethe schildert, „etwas stiller —
ein solches ehrwürdiges, gutes, fideles Haupt, daß man den hohen Mann von
Genie und unversiegbarer Energie des Talents darüber vergißt," so sieht er
leider immer noch nicht vor der Phantasie der meisten Deuschen. Sein Zeugnis
vom alt-Goethischen Weimar, dem ganzen, unbefangen liebenswerten, traulich
patriarchalischen Verhältnis, dem „guten, alten, etwas tauben Herrn," dem
Großherzog, der auf ein Paar Stündchen zur abendlichen Plauderei zu Goethe
kommt und Hegel „angenagelt auf dem Sopha neben sich" festhält, um sich
„über Paris" berichten zu lassen, während sich „Zelter und Riemer klüglicher¬
weise >d. h. wohl des politischen Gesprächs wegen^ in das daranstoßende Zimmer
setzen" — alles dies ist darum denen doppelt zu empfehlen, welche den „Riemer,
Eckermaun und andern Goethischen Kreaturen" noch immer hartnäckig ihren
Glauben versagen. Durch Goethes Vermittlung wohl wurde in Berlin Zelter
der Hausfreund von Hegels Familie. In Heidelberg waren es Kreuzer und
der von seiner Philosophie, wie der Theologe weiß, geradezu berückte Daub.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/40>, abgerufen am 22.07.2024.