Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Klagen über die Vernichtung Roms.

Diese Anklage ist schwer, und sie hat umso mehr an Bedeutung und Um¬
fang gewonnen, je mehr sie in der deutschen Gelehrtenwelt als berechtigt an¬
erkannt worden ist und lebhaften Wiederhall gefunden hat. Die Frage ist für
alle, die auf römischem Boden ihre Interessen zu verfolgen haben, eine bren-
nende geworden; ist sie gerechtfertigt, so darf die Kritik von neuem auf die
moderne Barbarei hinweisen, ist sie übertriebe", so darf sie die Klage wegen der
engen Beziehungen, welche die italienische zur deutschen Gelehrtenwelt hat, bei der
Gleichartigkeit der Bestrebungen, die das italienische mit dem deutschen Volle
verbinden, in die Grenzen ihrer Berechtigung verweisen. Wir lassen unberück¬
sichtigt, was die Italiener auf diese Beschuldigungen entgegnet haben, weil dies
unter dem Einflusse parteiischer Rücksichten stehen könnte, nud berufen uns nur
auf das, was die eigne Anschauung und Kenntnis der Sachlage und zuverlässige
Hilfsmittel für das Für und Wider an Beweismaterial darbieten.

Wer jetzt durch Rom wandert, wird von gewissen Teilen der Stadt einen
möglichst ungünstigen Eindruck hinwegnehmen. Große Züge von Wagen, die
schwer mit Steinen, Erde und anderen Vcmmnterial beladen sind, durchkreuzen
von den Thoren ans in allen Richtungen die Straßen und verursachen hier
Unannehmlichkeiten, wie sie stets im Gefolge einer großen und umfassenden Bnu-
periobe sind. Das Leben und Treiben der Carrettieri, die wegen ihrer Roh-
heit überall verrufen sind und nebst den übrigen bei den Neubauten beschäftigten
Arbeitern als ein in der Zukunft gefährliches Gespenst vor aller Augen stehen,
der Staub, der im Sommer, der Schmutz, der im Winter viele Wege, nament¬
lich vor den Thoren, ungangbar macht, alles dies wirkt niederdrückend auf den,
der nach Rom kommt, um hier zu schwärmen. Wir dürfen aber nicht vergessen,
daß wir uns in einer Zeit des Überganges befinden, und daß die Bauperiode
doch einmal -- es läßt sich nicht sagen wann -- beendigt werden wird. Nehmen
wir indessen die Zustände, wie sie jetzt sind, so ist es erklärlich, daß die ganze
gewaltige Bauthätigkeit einen Rückschlag ans den frühern Charakter der Stadt
ausüben muß, daß dieser in gewissen Gegenden ganz verschwinden, in andern ein
wesentlich andrer werden wird. Hier setzen die Klagen über die Vernichtung
Roms ein. Mit der allgemeinen, viel gehörten Redensart: Rom ist moderne
Großstadt geworden und hat den Pflichten und Bedürfnissen einer solchen nach¬
zukommen, beweist man den erhobenen Klagen gegenüber für die Art und Weise
des jetzigen Umschwunges im allgemeinen nicht viel. Wir schicken zum Ver¬
ständnis später folgender Erörterungen zunächst einige Bemerkungen über die
frühere Begrenzung der Stadt voraus.

Die Grenzen der Stadt waren früher im wesentlichen bedingt dnrch den
Manerzug, mit dem Kaiser Aurelian die Stadt zum Schutze gegen die drohenden
Einfälle der Barbaren umgeben ließ. Die gewaltigen Massen, die den Stürmen
des Mittelalters getrotzt haben, erfüllten wie vor anderthalb Jahrtausenden,
so auch später ihren Zweck und dienen jetzt als Abgrenzung des städtischen Zoll-


Die Klagen über die Vernichtung Roms.

Diese Anklage ist schwer, und sie hat umso mehr an Bedeutung und Um¬
fang gewonnen, je mehr sie in der deutschen Gelehrtenwelt als berechtigt an¬
erkannt worden ist und lebhaften Wiederhall gefunden hat. Die Frage ist für
alle, die auf römischem Boden ihre Interessen zu verfolgen haben, eine bren-
nende geworden; ist sie gerechtfertigt, so darf die Kritik von neuem auf die
moderne Barbarei hinweisen, ist sie übertriebe», so darf sie die Klage wegen der
engen Beziehungen, welche die italienische zur deutschen Gelehrtenwelt hat, bei der
Gleichartigkeit der Bestrebungen, die das italienische mit dem deutschen Volle
verbinden, in die Grenzen ihrer Berechtigung verweisen. Wir lassen unberück¬
sichtigt, was die Italiener auf diese Beschuldigungen entgegnet haben, weil dies
unter dem Einflusse parteiischer Rücksichten stehen könnte, nud berufen uns nur
auf das, was die eigne Anschauung und Kenntnis der Sachlage und zuverlässige
Hilfsmittel für das Für und Wider an Beweismaterial darbieten.

Wer jetzt durch Rom wandert, wird von gewissen Teilen der Stadt einen
möglichst ungünstigen Eindruck hinwegnehmen. Große Züge von Wagen, die
schwer mit Steinen, Erde und anderen Vcmmnterial beladen sind, durchkreuzen
von den Thoren ans in allen Richtungen die Straßen und verursachen hier
Unannehmlichkeiten, wie sie stets im Gefolge einer großen und umfassenden Bnu-
periobe sind. Das Leben und Treiben der Carrettieri, die wegen ihrer Roh-
heit überall verrufen sind und nebst den übrigen bei den Neubauten beschäftigten
Arbeitern als ein in der Zukunft gefährliches Gespenst vor aller Augen stehen,
der Staub, der im Sommer, der Schmutz, der im Winter viele Wege, nament¬
lich vor den Thoren, ungangbar macht, alles dies wirkt niederdrückend auf den,
der nach Rom kommt, um hier zu schwärmen. Wir dürfen aber nicht vergessen,
daß wir uns in einer Zeit des Überganges befinden, und daß die Bauperiode
doch einmal — es läßt sich nicht sagen wann — beendigt werden wird. Nehmen
wir indessen die Zustände, wie sie jetzt sind, so ist es erklärlich, daß die ganze
gewaltige Bauthätigkeit einen Rückschlag ans den frühern Charakter der Stadt
ausüben muß, daß dieser in gewissen Gegenden ganz verschwinden, in andern ein
wesentlich andrer werden wird. Hier setzen die Klagen über die Vernichtung
Roms ein. Mit der allgemeinen, viel gehörten Redensart: Rom ist moderne
Großstadt geworden und hat den Pflichten und Bedürfnissen einer solchen nach¬
zukommen, beweist man den erhobenen Klagen gegenüber für die Art und Weise
des jetzigen Umschwunges im allgemeinen nicht viel. Wir schicken zum Ver¬
ständnis später folgender Erörterungen zunächst einige Bemerkungen über die
frühere Begrenzung der Stadt voraus.

Die Grenzen der Stadt waren früher im wesentlichen bedingt dnrch den
Manerzug, mit dem Kaiser Aurelian die Stadt zum Schutze gegen die drohenden
Einfälle der Barbaren umgeben ließ. Die gewaltigen Massen, die den Stürmen
des Mittelalters getrotzt haben, erfüllten wie vor anderthalb Jahrtausenden,
so auch später ihren Zweck und dienen jetzt als Abgrenzung des städtischen Zoll-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201802"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Klagen über die Vernichtung Roms.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_873"> Diese Anklage ist schwer, und sie hat umso mehr an Bedeutung und Um¬<lb/>
fang gewonnen, je mehr sie in der deutschen Gelehrtenwelt als berechtigt an¬<lb/>
erkannt worden ist und lebhaften Wiederhall gefunden hat. Die Frage ist für<lb/>
alle, die auf römischem Boden ihre Interessen zu verfolgen haben, eine bren-<lb/>
nende geworden; ist sie gerechtfertigt, so darf die Kritik von neuem auf die<lb/>
moderne Barbarei hinweisen, ist sie übertriebe», so darf sie die Klage wegen der<lb/>
engen Beziehungen, welche die italienische zur deutschen Gelehrtenwelt hat, bei der<lb/>
Gleichartigkeit der Bestrebungen, die das italienische mit dem deutschen Volle<lb/>
verbinden, in die Grenzen ihrer Berechtigung verweisen. Wir lassen unberück¬<lb/>
sichtigt, was die Italiener auf diese Beschuldigungen entgegnet haben, weil dies<lb/>
unter dem Einflusse parteiischer Rücksichten stehen könnte, nud berufen uns nur<lb/>
auf das, was die eigne Anschauung und Kenntnis der Sachlage und zuverlässige<lb/>
Hilfsmittel für das Für und Wider an Beweismaterial darbieten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_874"> Wer jetzt durch Rom wandert, wird von gewissen Teilen der Stadt einen<lb/>
möglichst ungünstigen Eindruck hinwegnehmen. Große Züge von Wagen, die<lb/>
schwer mit Steinen, Erde und anderen Vcmmnterial beladen sind, durchkreuzen<lb/>
von den Thoren ans in allen Richtungen die Straßen und verursachen hier<lb/>
Unannehmlichkeiten, wie sie stets im Gefolge einer großen und umfassenden Bnu-<lb/>
periobe sind. Das Leben und Treiben der Carrettieri, die wegen ihrer Roh-<lb/>
heit überall verrufen sind und nebst den übrigen bei den Neubauten beschäftigten<lb/>
Arbeitern als ein in der Zukunft gefährliches Gespenst vor aller Augen stehen,<lb/>
der Staub, der im Sommer, der Schmutz, der im Winter viele Wege, nament¬<lb/>
lich vor den Thoren, ungangbar macht, alles dies wirkt niederdrückend auf den,<lb/>
der nach Rom kommt, um hier zu schwärmen. Wir dürfen aber nicht vergessen,<lb/>
daß wir uns in einer Zeit des Überganges befinden, und daß die Bauperiode<lb/>
doch einmal &#x2014; es läßt sich nicht sagen wann &#x2014; beendigt werden wird. Nehmen<lb/>
wir indessen die Zustände, wie sie jetzt sind, so ist es erklärlich, daß die ganze<lb/>
gewaltige Bauthätigkeit einen Rückschlag ans den frühern Charakter der Stadt<lb/>
ausüben muß, daß dieser in gewissen Gegenden ganz verschwinden, in andern ein<lb/>
wesentlich andrer werden wird. Hier setzen die Klagen über die Vernichtung<lb/>
Roms ein. Mit der allgemeinen, viel gehörten Redensart: Rom ist moderne<lb/>
Großstadt geworden und hat den Pflichten und Bedürfnissen einer solchen nach¬<lb/>
zukommen, beweist man den erhobenen Klagen gegenüber für die Art und Weise<lb/>
des jetzigen Umschwunges im allgemeinen nicht viel. Wir schicken zum Ver¬<lb/>
ständnis später folgender Erörterungen zunächst einige Bemerkungen über die<lb/>
frühere Begrenzung der Stadt voraus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_875" next="#ID_876"> Die Grenzen der Stadt waren früher im wesentlichen bedingt dnrch den<lb/>
Manerzug, mit dem Kaiser Aurelian die Stadt zum Schutze gegen die drohenden<lb/>
Einfälle der Barbaren umgeben ließ. Die gewaltigen Massen, die den Stürmen<lb/>
des Mittelalters getrotzt haben, erfüllten wie vor anderthalb Jahrtausenden,<lb/>
so auch später ihren Zweck und dienen jetzt als Abgrenzung des städtischen Zoll-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] Die Klagen über die Vernichtung Roms. Diese Anklage ist schwer, und sie hat umso mehr an Bedeutung und Um¬ fang gewonnen, je mehr sie in der deutschen Gelehrtenwelt als berechtigt an¬ erkannt worden ist und lebhaften Wiederhall gefunden hat. Die Frage ist für alle, die auf römischem Boden ihre Interessen zu verfolgen haben, eine bren- nende geworden; ist sie gerechtfertigt, so darf die Kritik von neuem auf die moderne Barbarei hinweisen, ist sie übertriebe», so darf sie die Klage wegen der engen Beziehungen, welche die italienische zur deutschen Gelehrtenwelt hat, bei der Gleichartigkeit der Bestrebungen, die das italienische mit dem deutschen Volle verbinden, in die Grenzen ihrer Berechtigung verweisen. Wir lassen unberück¬ sichtigt, was die Italiener auf diese Beschuldigungen entgegnet haben, weil dies unter dem Einflusse parteiischer Rücksichten stehen könnte, nud berufen uns nur auf das, was die eigne Anschauung und Kenntnis der Sachlage und zuverlässige Hilfsmittel für das Für und Wider an Beweismaterial darbieten. Wer jetzt durch Rom wandert, wird von gewissen Teilen der Stadt einen möglichst ungünstigen Eindruck hinwegnehmen. Große Züge von Wagen, die schwer mit Steinen, Erde und anderen Vcmmnterial beladen sind, durchkreuzen von den Thoren ans in allen Richtungen die Straßen und verursachen hier Unannehmlichkeiten, wie sie stets im Gefolge einer großen und umfassenden Bnu- periobe sind. Das Leben und Treiben der Carrettieri, die wegen ihrer Roh- heit überall verrufen sind und nebst den übrigen bei den Neubauten beschäftigten Arbeitern als ein in der Zukunft gefährliches Gespenst vor aller Augen stehen, der Staub, der im Sommer, der Schmutz, der im Winter viele Wege, nament¬ lich vor den Thoren, ungangbar macht, alles dies wirkt niederdrückend auf den, der nach Rom kommt, um hier zu schwärmen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir uns in einer Zeit des Überganges befinden, und daß die Bauperiode doch einmal — es läßt sich nicht sagen wann — beendigt werden wird. Nehmen wir indessen die Zustände, wie sie jetzt sind, so ist es erklärlich, daß die ganze gewaltige Bauthätigkeit einen Rückschlag ans den frühern Charakter der Stadt ausüben muß, daß dieser in gewissen Gegenden ganz verschwinden, in andern ein wesentlich andrer werden wird. Hier setzen die Klagen über die Vernichtung Roms ein. Mit der allgemeinen, viel gehörten Redensart: Rom ist moderne Großstadt geworden und hat den Pflichten und Bedürfnissen einer solchen nach¬ zukommen, beweist man den erhobenen Klagen gegenüber für die Art und Weise des jetzigen Umschwunges im allgemeinen nicht viel. Wir schicken zum Ver¬ ständnis später folgender Erörterungen zunächst einige Bemerkungen über die frühere Begrenzung der Stadt voraus. Die Grenzen der Stadt waren früher im wesentlichen bedingt dnrch den Manerzug, mit dem Kaiser Aurelian die Stadt zum Schutze gegen die drohenden Einfälle der Barbaren umgeben ließ. Die gewaltigen Massen, die den Stürmen des Mittelalters getrotzt haben, erfüllten wie vor anderthalb Jahrtausenden, so auch später ihren Zweck und dienen jetzt als Abgrenzung des städtischen Zoll-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/373>, abgerufen am 01.07.2024.