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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Rlagen über die Vernichtung Roms.

neu und sind auch nicht vor hundert Jahren zum ersten male erhoben worden.
Sie begannen, als mit der Wiederbelebung des klassischen Altertums das Inter¬
esse an den alten Baudenkmalen rege wurde, dies zu dem Wunsche, sie zu ver¬
stehen und würdigen zu lernen, führte, als das Emporblühen der Renaissance-
kunst die Künstler veranlaßte, den Trümmern und Überresten der alten römische"
Welt ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Was Pasquino beklagte, die Zerstö-
rnugswnt, die er dem Papste in beißenden Spottreden vorwarf, giebt gewiß
nicht nur die Empfindung des Einzelne" wieder; wie er dachte, so dachten auch
andre, nur daß sie ihre freie Meinung unterdrücken mußten. Geschah doch das
Zerstörungswerk meist w ur^oren ohl Ftormin. Und die Päpste waren "icht
geneigt, einen Widerspruch gegen ihr Thun und Lassen zu ertragen. Die Ge¬
schichte weiß es mit dem Mantel der Nachsicht und Schonung zu umhüllen,
und sie Pflegt von einer systematischen, aber "sozusagen friedlichen Zerstörung"
zu spreche". Man tröstet sich mit dem Gedanken, daß die alten Ruinen und
die Mauern des Kolosseums den großen Renaissancebauten zu Gute gekommen
sind, daß die mächtigen Travertinauader in der Peterskirche, in der Cancelleria
und im Palazzo Farnese anch ihre Bestimmung erfüllen. Und gewiß soll auch
angesichts der herrlichen Baute" eines Bramante, Michelangelo und Sangallo
jeder Tadel gegen ihr Thun und jede Klage über die Denkmäler, die durch ihre
Schöpfungen in Trümmer zerfallen sind, verstummen. Sie haben aus dem
alten Nom ein neues geschaffen, das die Nachwelt mit Bewunderung und Be¬
geisterung erfüllt hat. Goethe spricht sich hierüber offener ans, wenn er sagt:
"Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die beide über
unsre Begriffe gehen. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister
des neue" Roms verwüstet." Solche Klagen werden heutigen Tages nicht mehr
laut. Jetzt rechtet man mit der Gegenwart, und die Losung für die vielen aus
der Gelehrten- lind ans der Laienwelt kommenden Klagen über die Neugestal¬
tung der Verhältnisse, der die ewige Stadt sich unterwerfen muß, lautet: Die
Vernichtung Roms durch die jetzige" Italiener! Die Vernichtung Roms in des
Wortes umfassendster Bedeutung, eine Vernichtung, die das jetzt lebende Ge¬
schlecht aus Mangel an Verständnis für die Bedeutung von kirchlichen und
profanen Bauten und Anlagen, ans Rücksichtslosigkeit gegen das Hergebrachte
und den Charakter der Stadt, aus Nichtachtung gegen andre Völker, sür deren
Entwicklung und Geschichte Rom ein maßgebendes Wort gesprochen hat, ver¬
schuldet. Einer der namhaftesten Kunstgelehrten unsrer Zeit faßt die Eindrücke,
die er jüngst empfangen hat, in die Worte zusammen: "Wenn dann, wenn
harte Tage, wie jedem Volke, so auch dem italienischen komme" könnten, wieder
von Rom die Rede sein sollte, von der heiligen, "ewigen Stadt," so würde kühl
geantwortet werden, daß diesem Nom denn doch, wie alle Welt ja wisse, in den
achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts von den Italienern selbst ein
Ende gemacht worden sei."


Die Rlagen über die Vernichtung Roms.

neu und sind auch nicht vor hundert Jahren zum ersten male erhoben worden.
Sie begannen, als mit der Wiederbelebung des klassischen Altertums das Inter¬
esse an den alten Baudenkmalen rege wurde, dies zu dem Wunsche, sie zu ver¬
stehen und würdigen zu lernen, führte, als das Emporblühen der Renaissance-
kunst die Künstler veranlaßte, den Trümmern und Überresten der alten römische»
Welt ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Was Pasquino beklagte, die Zerstö-
rnugswnt, die er dem Papste in beißenden Spottreden vorwarf, giebt gewiß
nicht nur die Empfindung des Einzelne» wieder; wie er dachte, so dachten auch
andre, nur daß sie ihre freie Meinung unterdrücken mußten. Geschah doch das
Zerstörungswerk meist w ur^oren ohl Ftormin. Und die Päpste waren »icht
geneigt, einen Widerspruch gegen ihr Thun und Lassen zu ertragen. Die Ge¬
schichte weiß es mit dem Mantel der Nachsicht und Schonung zu umhüllen,
und sie Pflegt von einer systematischen, aber „sozusagen friedlichen Zerstörung"
zu spreche». Man tröstet sich mit dem Gedanken, daß die alten Ruinen und
die Mauern des Kolosseums den großen Renaissancebauten zu Gute gekommen
sind, daß die mächtigen Travertinauader in der Peterskirche, in der Cancelleria
und im Palazzo Farnese anch ihre Bestimmung erfüllen. Und gewiß soll auch
angesichts der herrlichen Baute» eines Bramante, Michelangelo und Sangallo
jeder Tadel gegen ihr Thun und jede Klage über die Denkmäler, die durch ihre
Schöpfungen in Trümmer zerfallen sind, verstummen. Sie haben aus dem
alten Nom ein neues geschaffen, das die Nachwelt mit Bewunderung und Be¬
geisterung erfüllt hat. Goethe spricht sich hierüber offener ans, wenn er sagt:
„Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die beide über
unsre Begriffe gehen. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister
des neue» Roms verwüstet." Solche Klagen werden heutigen Tages nicht mehr
laut. Jetzt rechtet man mit der Gegenwart, und die Losung für die vielen aus
der Gelehrten- lind ans der Laienwelt kommenden Klagen über die Neugestal¬
tung der Verhältnisse, der die ewige Stadt sich unterwerfen muß, lautet: Die
Vernichtung Roms durch die jetzige» Italiener! Die Vernichtung Roms in des
Wortes umfassendster Bedeutung, eine Vernichtung, die das jetzt lebende Ge¬
schlecht aus Mangel an Verständnis für die Bedeutung von kirchlichen und
profanen Bauten und Anlagen, ans Rücksichtslosigkeit gegen das Hergebrachte
und den Charakter der Stadt, aus Nichtachtung gegen andre Völker, sür deren
Entwicklung und Geschichte Rom ein maßgebendes Wort gesprochen hat, ver¬
schuldet. Einer der namhaftesten Kunstgelehrten unsrer Zeit faßt die Eindrücke,
die er jüngst empfangen hat, in die Worte zusammen: „Wenn dann, wenn
harte Tage, wie jedem Volke, so auch dem italienischen komme» könnten, wieder
von Rom die Rede sein sollte, von der heiligen, »ewigen Stadt,« so würde kühl
geantwortet werden, daß diesem Nom denn doch, wie alle Welt ja wisse, in den
achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts von den Italienern selbst ein
Ende gemacht worden sei."


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[0372] Die Rlagen über die Vernichtung Roms. neu und sind auch nicht vor hundert Jahren zum ersten male erhoben worden. Sie begannen, als mit der Wiederbelebung des klassischen Altertums das Inter¬ esse an den alten Baudenkmalen rege wurde, dies zu dem Wunsche, sie zu ver¬ stehen und würdigen zu lernen, führte, als das Emporblühen der Renaissance- kunst die Künstler veranlaßte, den Trümmern und Überresten der alten römische» Welt ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Was Pasquino beklagte, die Zerstö- rnugswnt, die er dem Papste in beißenden Spottreden vorwarf, giebt gewiß nicht nur die Empfindung des Einzelne» wieder; wie er dachte, so dachten auch andre, nur daß sie ihre freie Meinung unterdrücken mußten. Geschah doch das Zerstörungswerk meist w ur^oren ohl Ftormin. Und die Päpste waren »icht geneigt, einen Widerspruch gegen ihr Thun und Lassen zu ertragen. Die Ge¬ schichte weiß es mit dem Mantel der Nachsicht und Schonung zu umhüllen, und sie Pflegt von einer systematischen, aber „sozusagen friedlichen Zerstörung" zu spreche». Man tröstet sich mit dem Gedanken, daß die alten Ruinen und die Mauern des Kolosseums den großen Renaissancebauten zu Gute gekommen sind, daß die mächtigen Travertinauader in der Peterskirche, in der Cancelleria und im Palazzo Farnese anch ihre Bestimmung erfüllen. Und gewiß soll auch angesichts der herrlichen Baute» eines Bramante, Michelangelo und Sangallo jeder Tadel gegen ihr Thun und jede Klage über die Denkmäler, die durch ihre Schöpfungen in Trümmer zerfallen sind, verstummen. Sie haben aus dem alten Nom ein neues geschaffen, das die Nachwelt mit Bewunderung und Be¬ geisterung erfüllt hat. Goethe spricht sich hierüber offener ans, wenn er sagt: „Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die beide über unsre Begriffe gehen. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister des neue» Roms verwüstet." Solche Klagen werden heutigen Tages nicht mehr laut. Jetzt rechtet man mit der Gegenwart, und die Losung für die vielen aus der Gelehrten- lind ans der Laienwelt kommenden Klagen über die Neugestal¬ tung der Verhältnisse, der die ewige Stadt sich unterwerfen muß, lautet: Die Vernichtung Roms durch die jetzige» Italiener! Die Vernichtung Roms in des Wortes umfassendster Bedeutung, eine Vernichtung, die das jetzt lebende Ge¬ schlecht aus Mangel an Verständnis für die Bedeutung von kirchlichen und profanen Bauten und Anlagen, ans Rücksichtslosigkeit gegen das Hergebrachte und den Charakter der Stadt, aus Nichtachtung gegen andre Völker, sür deren Entwicklung und Geschichte Rom ein maßgebendes Wort gesprochen hat, ver¬ schuldet. Einer der namhaftesten Kunstgelehrten unsrer Zeit faßt die Eindrücke, die er jüngst empfangen hat, in die Worte zusammen: „Wenn dann, wenn harte Tage, wie jedem Volke, so auch dem italienischen komme» könnten, wieder von Rom die Rede sein sollte, von der heiligen, »ewigen Stadt,« so würde kühl geantwortet werden, daß diesem Nom denn doch, wie alle Welt ja wisse, in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts von den Italienern selbst ein Ende gemacht worden sei."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/372>, abgerufen am 29.06.2024.