Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Hegel in seinen Briefen. heit, der Unangemessenheit der Sachen, nicht den Wünschen und Beschwerden Hegel in seinen Briefen. heit, der Unangemessenheit der Sachen, nicht den Wünschen und Beschwerden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201465"/> <fw type="header" place="top"> Hegel in seinen Briefen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_63" prev="#ID_62" next="#ID_64"> heit, der Unangemessenheit der Sachen, nicht den Wünschen und Beschwerden<lb/> der Person. Ein überlegener Humor erhebt aber auch diesen edeln, stets be¬<lb/> rechtigten Groll in die Kreise einer heiteren, sich selbst gleichen Geistesfreiheit.<lb/> Hegel verstand zu warten — das war ein Teil seines Genies, das bildet eine<lb/> Grundlage seiner Philosophie. Der Wert einer solchen Natur ist unschätzbar<lb/> selbst in den gewöhnlichsten menschlichen Verhältnissen, aber unter dem nervös<lb/> erregten Treiben geistig hervorragender Gesellschaftsschichten berührt sie stets<lb/> wie ein halbes Wunder. Und sicher ist anch bei dieser seltenen Erscheinung das<lb/> Verdienst nicht geringer als die Anlage. Hölderlin, Hegels sowie Schellings<lb/> Jugendfreund, mußte mit seinem ganz entgegengesetzten Wesen die Vorzüge des<lb/> ersteren ganz besonders empfinden. Er erklärt die „wohlthätigen Wirkungen<lb/> seines Umgangs" (in Frankfurt a. M., wo beide Hauslehrer waren) aus der<lb/> Eigentümlichkeit der „ruhigen Verstandesmenschen, bei denen man sich so gut<lb/> orientiren kann, wenn man nicht recht weiß, in welchem Falle man mit sich<lb/> und der Welt begriffen ist." Allein Hegel war doch nicht so ganz der „ruhige<lb/> Verstandesmensch," als welchen ihn Hölderlin hier hinstellt. Es konnte in ihm<lb/> brausen und stürmen, er setzte sich nicht so ohne weiteres auseinander mit der<lb/> Wirklichkeit, er nahm das Gegebene nicht so selbstverständlich an. „Der ich<lb/> viele Jahre lang auf dem freyen Felsen bey dem Adler nistete," so schreibt der<lb/> bald Vierzigjährige als Redakteur der Bamberger Zeitung auf das Gerücht'<lb/> daß eine gewöhnliche Schullogik von ihm erscheine, „und reine Gebirgsluft<lb/> zu atmen gewohnt war, sollte itzt lernen von den Leichnamen verstorbener oder<lb/> totgebohrener Gedanken zehren und in der Bleyluft des leeren Geschwätzes<lb/> vegetiren!" Die genialische Gährung, die Signatur seiner Zeit, hat ihn nicht<lb/> unberührt gelassen. Wer seine in ihr empfangenen Grundwerke, die „Phäno-<lb/> menologie des Geistes" und die „Wissenschaft der Logik" nicht bloß aus den<lb/> Geschichten der Philosophie kennt, wird wissen, wie sie da mitunter sehr stürmisch,<lb/> wenn nicht absurd zum Durchbruch kommt; die „Phänomenologie des Geistes"<lb/> ist nicht bloß in ihren Grundgedanken eines der revolutionärsten Werke aller<lb/> Zeiten. Und noch in der letzten, abgeklärten Periode seines Lebens weiß der<lb/> einzige Zeuge seiner innersten Persönlichkeit, seine ausgezeichnete Gattin, von<lb/> Ausbrüchen zu berichte», in denen er das Dasein des Philosophen in dieser<lb/> Welt verfluchte. Aber es scheint eben, daß ein zweites Selbst dazu gehörte,<lb/> um zu diesen geheimsten Regionen seines Wesens Zutritt zu erlangen. Der<lb/> Welt gegenüber ist Hegel von Anfang an in seinem Charakter der Fertige, Ab¬<lb/> geschlossene, Reife, von nichts Menschlichem berührt und wie von Natur befähigt,<lb/> ÄLlMun 801'v-M insutöm rvdus in s-ranis. Seine „feierlich gravitätische Gegen¬<lb/> wart" in der Gesellschaft bemerkt schon in seinen dreißiger Jahren sein Nürn¬<lb/> berger Freund, der Theologe Paulus. „Was muß entstehen, wenn deine Reife<lb/> sich noch Zeit nimmt, ihre Früchte zu reifen," schreibt Schelling (Aus Schellings<lb/> Leben in Briefen II, S. 112) schon etwas höflich, aber offenbar in ehrlicher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Hegel in seinen Briefen.
heit, der Unangemessenheit der Sachen, nicht den Wünschen und Beschwerden
der Person. Ein überlegener Humor erhebt aber auch diesen edeln, stets be¬
rechtigten Groll in die Kreise einer heiteren, sich selbst gleichen Geistesfreiheit.
Hegel verstand zu warten — das war ein Teil seines Genies, das bildet eine
Grundlage seiner Philosophie. Der Wert einer solchen Natur ist unschätzbar
selbst in den gewöhnlichsten menschlichen Verhältnissen, aber unter dem nervös
erregten Treiben geistig hervorragender Gesellschaftsschichten berührt sie stets
wie ein halbes Wunder. Und sicher ist anch bei dieser seltenen Erscheinung das
Verdienst nicht geringer als die Anlage. Hölderlin, Hegels sowie Schellings
Jugendfreund, mußte mit seinem ganz entgegengesetzten Wesen die Vorzüge des
ersteren ganz besonders empfinden. Er erklärt die „wohlthätigen Wirkungen
seines Umgangs" (in Frankfurt a. M., wo beide Hauslehrer waren) aus der
Eigentümlichkeit der „ruhigen Verstandesmenschen, bei denen man sich so gut
orientiren kann, wenn man nicht recht weiß, in welchem Falle man mit sich
und der Welt begriffen ist." Allein Hegel war doch nicht so ganz der „ruhige
Verstandesmensch," als welchen ihn Hölderlin hier hinstellt. Es konnte in ihm
brausen und stürmen, er setzte sich nicht so ohne weiteres auseinander mit der
Wirklichkeit, er nahm das Gegebene nicht so selbstverständlich an. „Der ich
viele Jahre lang auf dem freyen Felsen bey dem Adler nistete," so schreibt der
bald Vierzigjährige als Redakteur der Bamberger Zeitung auf das Gerücht'
daß eine gewöhnliche Schullogik von ihm erscheine, „und reine Gebirgsluft
zu atmen gewohnt war, sollte itzt lernen von den Leichnamen verstorbener oder
totgebohrener Gedanken zehren und in der Bleyluft des leeren Geschwätzes
vegetiren!" Die genialische Gährung, die Signatur seiner Zeit, hat ihn nicht
unberührt gelassen. Wer seine in ihr empfangenen Grundwerke, die „Phäno-
menologie des Geistes" und die „Wissenschaft der Logik" nicht bloß aus den
Geschichten der Philosophie kennt, wird wissen, wie sie da mitunter sehr stürmisch,
wenn nicht absurd zum Durchbruch kommt; die „Phänomenologie des Geistes"
ist nicht bloß in ihren Grundgedanken eines der revolutionärsten Werke aller
Zeiten. Und noch in der letzten, abgeklärten Periode seines Lebens weiß der
einzige Zeuge seiner innersten Persönlichkeit, seine ausgezeichnete Gattin, von
Ausbrüchen zu berichte», in denen er das Dasein des Philosophen in dieser
Welt verfluchte. Aber es scheint eben, daß ein zweites Selbst dazu gehörte,
um zu diesen geheimsten Regionen seines Wesens Zutritt zu erlangen. Der
Welt gegenüber ist Hegel von Anfang an in seinem Charakter der Fertige, Ab¬
geschlossene, Reife, von nichts Menschlichem berührt und wie von Natur befähigt,
ÄLlMun 801'v-M insutöm rvdus in s-ranis. Seine „feierlich gravitätische Gegen¬
wart" in der Gesellschaft bemerkt schon in seinen dreißiger Jahren sein Nürn¬
berger Freund, der Theologe Paulus. „Was muß entstehen, wenn deine Reife
sich noch Zeit nimmt, ihre Früchte zu reifen," schreibt Schelling (Aus Schellings
Leben in Briefen II, S. 112) schon etwas höflich, aber offenbar in ehrlicher
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