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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Redaktionen der Zeitungen, auf der Tribüne der Parlamente und auf der
Bühne der Theater. Sie durchflute" in breiten Strömen die Literaturen der
Kulturvölker bis zum flüchtigen Eisenbahnroman und Eintagsfeuilleton hinab.
Wie wenig in diesem Meere von Wirkungen mag auf die Quelle selbst zurück¬
zuführen sein! Aber diese Quelle war bekannt, sie dient noch in zehnfacher
Ableitung dem Schöpfer ihres geistigen Heiltranks als letzte Autorität, und sie
gilt -- ihm und seinein Publikum meist gleich dunkel und unbekannt -- als
unerschöpflicher, unvergleichlicher Bronnen ewiger Weisheit. Das hält alles
noch vor, trotz der Ernüchterung, des Widerwillens und im Gefolge davon des
allmählichen Vergessens, welches inzwischen an die Stelle jener allgemeinen
Geltung getreten ist. Es erklärt die Wirkungen, die dieser Name auch fern
von seinem eigentlichen Kreise noch immer hervorruft.

Wunderlicher Gegensatz des Geistigen, den er selbst so tief gefühlt hat, daß
er ihn zum System erhob: der scheu verehrte, dunkeltiefe Weise, der Herrscher
im Reiche des Absoluten, das mächtige Schulen- und Parteienhaupt und zugleich
der preußische Staatsphilosoph -- als schlichter, freundlicher, anspruchs- und
sehr lange aussichtsloser deutscher Gelehrter tritt er jetzt hier vor die nun¬
mehr von seinem Geiste so tief berührte Welt. Der deutschen Nation wird vor
den andern oft das stolze Gefühl zu Teil, auf weltbewegende Geistesthaten ihrer
Söhne hinweisen zu können, die bei Lebzeiten, durch nichts ausgezeichnet, als
schlichte, ja ärmliche Bürger unter ihr weilten, unbeachtet, wenig gefördert, desto
mehr gehindert, durch nichts aufgemuntert als durch den Genius im eignen
Busen. Auch Hegel zählt für den größten Teil seines Lebens zu ihnen. Und
man könnte trotz der Wehmut und Bitterkeit, die sich in jenes stolze Gefühl
mischt, gerade heute fast wünschen, daß dem so bliebe. Eine erquickende Lektüre
sind diese Briefe des Geistvollsten unter all den Edeln, die jemals kleine Jungen
in die Geheimnisse der lateinischen Grammatik eingeführt und auf dem Katheder
Noten und Rügen ausgeteilt haben! Ganz besonders erquickend, wenn man sie
mit den Erlassen jener früh verwöhnten Kinder des Glückes vergleicht, die nicht
wie jene hehre Ausnahme unter ihnen "früh das strenge Wort gelesen hatten,
das dem Leiden und dem Tod vertraut"; vornehmlich mit den hier am nächsten
liegenden unwirscher Selbstbespiegelungcn Schellings, der eigentlich nur in den
Briefen an seine Familie liebenswürdig ist. In all diesen traurigen, engen,
gedrückten Verhältnissen nicht ein Ton der Klage, des Selbstbedaucrns, des sich
unglücklich und verkannt Fühlens. In dieser Hinsicht verdienen die Hegelschen
Briefe ein leuchtendes Beispiel zu werden in der gesamten Weltliteratur. Ein
wahrhaft philosophisches Werk, das sich würdig dem schönen Denkmal philo¬
sophischer Persönlichkeit an die Seite stellt, welches die Welt bereits in dem
erhabenen Briefwechsel Spinozas besitzt. Wir empfehlen es aufs angelegent¬
lichste all den "verkannten Genies," an denen unsre Zeit -- leider -- so reich
ist. Wo sich wirklich einmal Unmut zu regen wagt, da gilt er der Zerfahren-


Redaktionen der Zeitungen, auf der Tribüne der Parlamente und auf der
Bühne der Theater. Sie durchflute» in breiten Strömen die Literaturen der
Kulturvölker bis zum flüchtigen Eisenbahnroman und Eintagsfeuilleton hinab.
Wie wenig in diesem Meere von Wirkungen mag auf die Quelle selbst zurück¬
zuführen sein! Aber diese Quelle war bekannt, sie dient noch in zehnfacher
Ableitung dem Schöpfer ihres geistigen Heiltranks als letzte Autorität, und sie
gilt — ihm und seinein Publikum meist gleich dunkel und unbekannt — als
unerschöpflicher, unvergleichlicher Bronnen ewiger Weisheit. Das hält alles
noch vor, trotz der Ernüchterung, des Widerwillens und im Gefolge davon des
allmählichen Vergessens, welches inzwischen an die Stelle jener allgemeinen
Geltung getreten ist. Es erklärt die Wirkungen, die dieser Name auch fern
von seinem eigentlichen Kreise noch immer hervorruft.

Wunderlicher Gegensatz des Geistigen, den er selbst so tief gefühlt hat, daß
er ihn zum System erhob: der scheu verehrte, dunkeltiefe Weise, der Herrscher
im Reiche des Absoluten, das mächtige Schulen- und Parteienhaupt und zugleich
der preußische Staatsphilosoph — als schlichter, freundlicher, anspruchs- und
sehr lange aussichtsloser deutscher Gelehrter tritt er jetzt hier vor die nun¬
mehr von seinem Geiste so tief berührte Welt. Der deutschen Nation wird vor
den andern oft das stolze Gefühl zu Teil, auf weltbewegende Geistesthaten ihrer
Söhne hinweisen zu können, die bei Lebzeiten, durch nichts ausgezeichnet, als
schlichte, ja ärmliche Bürger unter ihr weilten, unbeachtet, wenig gefördert, desto
mehr gehindert, durch nichts aufgemuntert als durch den Genius im eignen
Busen. Auch Hegel zählt für den größten Teil seines Lebens zu ihnen. Und
man könnte trotz der Wehmut und Bitterkeit, die sich in jenes stolze Gefühl
mischt, gerade heute fast wünschen, daß dem so bliebe. Eine erquickende Lektüre
sind diese Briefe des Geistvollsten unter all den Edeln, die jemals kleine Jungen
in die Geheimnisse der lateinischen Grammatik eingeführt und auf dem Katheder
Noten und Rügen ausgeteilt haben! Ganz besonders erquickend, wenn man sie
mit den Erlassen jener früh verwöhnten Kinder des Glückes vergleicht, die nicht
wie jene hehre Ausnahme unter ihnen „früh das strenge Wort gelesen hatten,
das dem Leiden und dem Tod vertraut"; vornehmlich mit den hier am nächsten
liegenden unwirscher Selbstbespiegelungcn Schellings, der eigentlich nur in den
Briefen an seine Familie liebenswürdig ist. In all diesen traurigen, engen,
gedrückten Verhältnissen nicht ein Ton der Klage, des Selbstbedaucrns, des sich
unglücklich und verkannt Fühlens. In dieser Hinsicht verdienen die Hegelschen
Briefe ein leuchtendes Beispiel zu werden in der gesamten Weltliteratur. Ein
wahrhaft philosophisches Werk, das sich würdig dem schönen Denkmal philo¬
sophischer Persönlichkeit an die Seite stellt, welches die Welt bereits in dem
erhabenen Briefwechsel Spinozas besitzt. Wir empfehlen es aufs angelegent¬
lichste all den „verkannten Genies," an denen unsre Zeit — leider — so reich
ist. Wo sich wirklich einmal Unmut zu regen wagt, da gilt er der Zerfahren-


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[0035] Redaktionen der Zeitungen, auf der Tribüne der Parlamente und auf der Bühne der Theater. Sie durchflute» in breiten Strömen die Literaturen der Kulturvölker bis zum flüchtigen Eisenbahnroman und Eintagsfeuilleton hinab. Wie wenig in diesem Meere von Wirkungen mag auf die Quelle selbst zurück¬ zuführen sein! Aber diese Quelle war bekannt, sie dient noch in zehnfacher Ableitung dem Schöpfer ihres geistigen Heiltranks als letzte Autorität, und sie gilt — ihm und seinein Publikum meist gleich dunkel und unbekannt — als unerschöpflicher, unvergleichlicher Bronnen ewiger Weisheit. Das hält alles noch vor, trotz der Ernüchterung, des Widerwillens und im Gefolge davon des allmählichen Vergessens, welches inzwischen an die Stelle jener allgemeinen Geltung getreten ist. Es erklärt die Wirkungen, die dieser Name auch fern von seinem eigentlichen Kreise noch immer hervorruft. Wunderlicher Gegensatz des Geistigen, den er selbst so tief gefühlt hat, daß er ihn zum System erhob: der scheu verehrte, dunkeltiefe Weise, der Herrscher im Reiche des Absoluten, das mächtige Schulen- und Parteienhaupt und zugleich der preußische Staatsphilosoph — als schlichter, freundlicher, anspruchs- und sehr lange aussichtsloser deutscher Gelehrter tritt er jetzt hier vor die nun¬ mehr von seinem Geiste so tief berührte Welt. Der deutschen Nation wird vor den andern oft das stolze Gefühl zu Teil, auf weltbewegende Geistesthaten ihrer Söhne hinweisen zu können, die bei Lebzeiten, durch nichts ausgezeichnet, als schlichte, ja ärmliche Bürger unter ihr weilten, unbeachtet, wenig gefördert, desto mehr gehindert, durch nichts aufgemuntert als durch den Genius im eignen Busen. Auch Hegel zählt für den größten Teil seines Lebens zu ihnen. Und man könnte trotz der Wehmut und Bitterkeit, die sich in jenes stolze Gefühl mischt, gerade heute fast wünschen, daß dem so bliebe. Eine erquickende Lektüre sind diese Briefe des Geistvollsten unter all den Edeln, die jemals kleine Jungen in die Geheimnisse der lateinischen Grammatik eingeführt und auf dem Katheder Noten und Rügen ausgeteilt haben! Ganz besonders erquickend, wenn man sie mit den Erlassen jener früh verwöhnten Kinder des Glückes vergleicht, die nicht wie jene hehre Ausnahme unter ihnen „früh das strenge Wort gelesen hatten, das dem Leiden und dem Tod vertraut"; vornehmlich mit den hier am nächsten liegenden unwirscher Selbstbespiegelungcn Schellings, der eigentlich nur in den Briefen an seine Familie liebenswürdig ist. In all diesen traurigen, engen, gedrückten Verhältnissen nicht ein Ton der Klage, des Selbstbedaucrns, des sich unglücklich und verkannt Fühlens. In dieser Hinsicht verdienen die Hegelschen Briefe ein leuchtendes Beispiel zu werden in der gesamten Weltliteratur. Ein wahrhaft philosophisches Werk, das sich würdig dem schönen Denkmal philo¬ sophischer Persönlichkeit an die Seite stellt, welches die Welt bereits in dem erhabenen Briefwechsel Spinozas besitzt. Wir empfehlen es aufs angelegent¬ lichste all den „verkannten Genies," an denen unsre Zeit — leider — so reich ist. Wo sich wirklich einmal Unmut zu regen wagt, da gilt er der Zerfahren-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/35>, abgerufen am 30.06.2024.