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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

"Helden des Gedankens," die die Rufer im Streit waren für zwei zum ersten¬
male so nahe, so nackt und so hart auseinander platzende geistige Grundgegen¬
sätze, für die ganze Geschlechter in unerhörter Ausdehnung leidenschaftlich Partei
nahmen, die sich als Entscheider der Geistesgeschichte ansahen und ansehen
durften: sie dienen schon seit geraumer Zeit nur dazu, um in Wissenschaft,
Kunst und Leben Schlagworte zu bilden für gewisse ganz gräßliche, ganz un¬
verzeihliche und beschämende Irrtümer und überwundene Standpunkte, über die
man weit hinaus zu sein, in die man nie, niemals mehr verfallen zu können
glaubt. Man spreche dem Naturforscher, dem gebildeten Mediziner von Schel-
ling, und er wird alsbald dunkle Vorstellungen entwickeln von einer undurch¬
dringlichen geistigen Nacht, die über Deutschland lag, in der die "Naturphilo¬
sophie" herrschte und es zum Grausen des Auslandes machte, Vorstellungen,
die an Brentanos finstern wilden Wald mit den darin hausende" naturphilo¬
sophischen Petschierstechem erinnern, welchen dann erst die wackern, exakten
Gockels von heute mit ihren lichtbringenden "Naturforscherversammlungen" den
Garaus macheu. Man rede dem Historiker, dem Staatsmanne, dem Kunstge-
lehrten vou Hegel, lind er wird sich mehr oder minder wegwerfend äußern über
abstrakte Überhebung, leeren Schematismus, grundlose Svstematisirerci, wenn
er sich nicht gleich im Kraftstil Schopenhauers bis zu "Wischiwaschi" und dia¬
lektischen Veitstanz versteigt. Woher gleichwohl dies allgemeine Interesse für
diesen gerade auf den der Tagespresse näherliegenden Gebieten so verrnfenen
Mann? An ein Wiedererwachen des spekulativen Sinnes -- was ja aus
solchen allgemeinen Anzeichen immerhin zu schließen wäre -- vermögen wir
noch immer nicht recht zu glauben, obwohl der akademische Neuling auf den
Universitäten nicht mehr mit so durchgreifenden philosophischen Teufelaus-
treibuugen empfangen wird wie noch vor wenigen Jahren. Gerade die Natur
und Verbreitung der heutigen Pvpularphilosophen spricht gegen eine solche
Deutung. Nein, es ist der durchaus nicht bedeutungslose, etwa rein klangliche
Zauber eines für die jüngste Vergangenheit, und nicht bloß die rein geistige
Vergangenheit, unendlich wichtigen Namens. Mit diesem Namen verknüpfen sich
noch immer für viele -- und gerade für die vielen -- Vorstellungsreihen, die
vou der Philosophie weit, weit abführe". Hegel -- das bedeutete einmal die
"Emanzipation des Geistes," und zwar des Geistes in so umfassender Bedeutung,
daß die dem Geiste sonst entgegengesetztesten Elemente sich um dies heilige Panier
sammeln konnten; das bedeutete die "absolute Freiheit als Ziel des Weltpro¬
zesses," das bedeutete die Erhebung des "Selbstbewußtseins zur Gottgleichhcit
des Absoluten." In den seltsamsten Formen und Verbrämungen findet der
Erforscher der Staats-, Gesellschafts- und Geistesgeschichte des letzten halben
Jahrhunderts die Grundsätze des Jenenser Privatdozenten und Nürnberger
Schulrektors immer wieder. Sie erklingen an den Thronen der Fürsten und
in den Baracken der Arbeiter, in den Hörsälen der Universitäten und in den


Hegel in seinen Briefen.

„Helden des Gedankens," die die Rufer im Streit waren für zwei zum ersten¬
male so nahe, so nackt und so hart auseinander platzende geistige Grundgegen¬
sätze, für die ganze Geschlechter in unerhörter Ausdehnung leidenschaftlich Partei
nahmen, die sich als Entscheider der Geistesgeschichte ansahen und ansehen
durften: sie dienen schon seit geraumer Zeit nur dazu, um in Wissenschaft,
Kunst und Leben Schlagworte zu bilden für gewisse ganz gräßliche, ganz un¬
verzeihliche und beschämende Irrtümer und überwundene Standpunkte, über die
man weit hinaus zu sein, in die man nie, niemals mehr verfallen zu können
glaubt. Man spreche dem Naturforscher, dem gebildeten Mediziner von Schel-
ling, und er wird alsbald dunkle Vorstellungen entwickeln von einer undurch¬
dringlichen geistigen Nacht, die über Deutschland lag, in der die „Naturphilo¬
sophie" herrschte und es zum Grausen des Auslandes machte, Vorstellungen,
die an Brentanos finstern wilden Wald mit den darin hausende» naturphilo¬
sophischen Petschierstechem erinnern, welchen dann erst die wackern, exakten
Gockels von heute mit ihren lichtbringenden „Naturforscherversammlungen" den
Garaus macheu. Man rede dem Historiker, dem Staatsmanne, dem Kunstge-
lehrten vou Hegel, lind er wird sich mehr oder minder wegwerfend äußern über
abstrakte Überhebung, leeren Schematismus, grundlose Svstematisirerci, wenn
er sich nicht gleich im Kraftstil Schopenhauers bis zu „Wischiwaschi" und dia¬
lektischen Veitstanz versteigt. Woher gleichwohl dies allgemeine Interesse für
diesen gerade auf den der Tagespresse näherliegenden Gebieten so verrnfenen
Mann? An ein Wiedererwachen des spekulativen Sinnes — was ja aus
solchen allgemeinen Anzeichen immerhin zu schließen wäre — vermögen wir
noch immer nicht recht zu glauben, obwohl der akademische Neuling auf den
Universitäten nicht mehr mit so durchgreifenden philosophischen Teufelaus-
treibuugen empfangen wird wie noch vor wenigen Jahren. Gerade die Natur
und Verbreitung der heutigen Pvpularphilosophen spricht gegen eine solche
Deutung. Nein, es ist der durchaus nicht bedeutungslose, etwa rein klangliche
Zauber eines für die jüngste Vergangenheit, und nicht bloß die rein geistige
Vergangenheit, unendlich wichtigen Namens. Mit diesem Namen verknüpfen sich
noch immer für viele — und gerade für die vielen — Vorstellungsreihen, die
vou der Philosophie weit, weit abführe». Hegel — das bedeutete einmal die
„Emanzipation des Geistes," und zwar des Geistes in so umfassender Bedeutung,
daß die dem Geiste sonst entgegengesetztesten Elemente sich um dies heilige Panier
sammeln konnten; das bedeutete die „absolute Freiheit als Ziel des Weltpro¬
zesses," das bedeutete die Erhebung des „Selbstbewußtseins zur Gottgleichhcit
des Absoluten." In den seltsamsten Formen und Verbrämungen findet der
Erforscher der Staats-, Gesellschafts- und Geistesgeschichte des letzten halben
Jahrhunderts die Grundsätze des Jenenser Privatdozenten und Nürnberger
Schulrektors immer wieder. Sie erklingen an den Thronen der Fürsten und
in den Baracken der Arbeiter, in den Hörsälen der Universitäten und in den


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[0034] Hegel in seinen Briefen. „Helden des Gedankens," die die Rufer im Streit waren für zwei zum ersten¬ male so nahe, so nackt und so hart auseinander platzende geistige Grundgegen¬ sätze, für die ganze Geschlechter in unerhörter Ausdehnung leidenschaftlich Partei nahmen, die sich als Entscheider der Geistesgeschichte ansahen und ansehen durften: sie dienen schon seit geraumer Zeit nur dazu, um in Wissenschaft, Kunst und Leben Schlagworte zu bilden für gewisse ganz gräßliche, ganz un¬ verzeihliche und beschämende Irrtümer und überwundene Standpunkte, über die man weit hinaus zu sein, in die man nie, niemals mehr verfallen zu können glaubt. Man spreche dem Naturforscher, dem gebildeten Mediziner von Schel- ling, und er wird alsbald dunkle Vorstellungen entwickeln von einer undurch¬ dringlichen geistigen Nacht, die über Deutschland lag, in der die „Naturphilo¬ sophie" herrschte und es zum Grausen des Auslandes machte, Vorstellungen, die an Brentanos finstern wilden Wald mit den darin hausende» naturphilo¬ sophischen Petschierstechem erinnern, welchen dann erst die wackern, exakten Gockels von heute mit ihren lichtbringenden „Naturforscherversammlungen" den Garaus macheu. Man rede dem Historiker, dem Staatsmanne, dem Kunstge- lehrten vou Hegel, lind er wird sich mehr oder minder wegwerfend äußern über abstrakte Überhebung, leeren Schematismus, grundlose Svstematisirerci, wenn er sich nicht gleich im Kraftstil Schopenhauers bis zu „Wischiwaschi" und dia¬ lektischen Veitstanz versteigt. Woher gleichwohl dies allgemeine Interesse für diesen gerade auf den der Tagespresse näherliegenden Gebieten so verrnfenen Mann? An ein Wiedererwachen des spekulativen Sinnes — was ja aus solchen allgemeinen Anzeichen immerhin zu schließen wäre — vermögen wir noch immer nicht recht zu glauben, obwohl der akademische Neuling auf den Universitäten nicht mehr mit so durchgreifenden philosophischen Teufelaus- treibuugen empfangen wird wie noch vor wenigen Jahren. Gerade die Natur und Verbreitung der heutigen Pvpularphilosophen spricht gegen eine solche Deutung. Nein, es ist der durchaus nicht bedeutungslose, etwa rein klangliche Zauber eines für die jüngste Vergangenheit, und nicht bloß die rein geistige Vergangenheit, unendlich wichtigen Namens. Mit diesem Namen verknüpfen sich noch immer für viele — und gerade für die vielen — Vorstellungsreihen, die vou der Philosophie weit, weit abführe». Hegel — das bedeutete einmal die „Emanzipation des Geistes," und zwar des Geistes in so umfassender Bedeutung, daß die dem Geiste sonst entgegengesetztesten Elemente sich um dies heilige Panier sammeln konnten; das bedeutete die „absolute Freiheit als Ziel des Weltpro¬ zesses," das bedeutete die Erhebung des „Selbstbewußtseins zur Gottgleichhcit des Absoluten." In den seltsamsten Formen und Verbrämungen findet der Erforscher der Staats-, Gesellschafts- und Geistesgeschichte des letzten halben Jahrhunderts die Grundsätze des Jenenser Privatdozenten und Nürnberger Schulrektors immer wieder. Sie erklingen an den Thronen der Fürsten und in den Baracken der Arbeiter, in den Hörsälen der Universitäten und in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/34>, abgerufen am 27.06.2024.