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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

das Leben des Ganzen wie der Einzelnen oft auf lange hinaus bestimmen, im
Kriege wie im Friede". Solche Kraft ist auch der rechte Lebensquell, wenn
sie sich paart mit klarem überschauenden Kopfe, der zugleich die großen Ziele
sieht. Ihre Schule ist das Leben selbst, im Kleinen aber das Spiel, und es
ist der Reiz des Spiels, sich darin zu erproben und an kleinen oder großen
Erfolgen sich in solcher Kraft und Kunst selbst fühlen zu lernen.

So ist Streit und Reibung das Wesen alles Spiels, mit freier Entfesse¬
lung der Kräfte. Wie entschieden das die Seele des Spiels ist, erfährt man
recht deutlich in jungen Jahren, wo das Spiel, z. B. Billard- oder Kartenspiel,
als ein neuer köstlicher Lebensreiz an uns kommt. Da kam es vor, daß man zu
der mit Spannung erwarteten Stunde den Freund nicht als Mitspieler haben
konnte und nun Wohl den Versuch machte, den Gegner selbst mit darzustellen, allein
zu zweien zu spielen. Aber der Versuch wurde sehr bald aufgegeben als ein
völlig verfehlter, weil der Reiz des Wettstreits ausblieb und damit die ganze
Lust. Freiheit war wohl da, sogar ganz unbeschränkte, aber auch ihr Reiz blieb
aus, weil man auch das Gefühl der eignen Freiheit nnr am Widerstände gewinnt.

Auch das Spiel also mit seinem Streit und seiner Freiheit ist doch Leben
nur als ein Zusammenleben, dem die Einzelnen etwas verdanken, zu dem sie
jeder aus sich nie kommen würden. Wie lebhaft auch in einem lustigen Gesell¬
schaftsspiel die einzelnen Kräfte durch einander und wider einander gehen, sie
müssen doch zugleich zusammengehen, sonst hört das Spiel als solches auf und
geht auseinander, wie ein in seine Bestandteile zerbrochenes schönes Ganze.
Das wird recht deutlich, wenn einmal im Spiel einer ungeschickt die Spiel¬
regeln nicht einhalten kann oder gar eigenwillig und trotzig nicht einhalten
oder für sich gelten lassen will, die Regeln, die auch die gegebene Freiheit selbst
im Übermut wie an einem unsichtbaren Zaume lenken und als Ganzes das
Durch- und Widereinander der Bewegung wie in einem festen Kreise einhegen.
Man ruft ihm zu: "Das gilt nicht!" ("gelten" vom Gesetz, aus der alten Rechts¬
sprache entlehnt), hilft das aber nicht, will er sich in das Zusammen durchaus
nicht einstigen und sich willkürliche Gesetze selbst machen, so ist das Spiel selbst
zerstoben oder doch die Lust daran, es kann sogar einen großen Verdruß geben.
Es ist, wie wenn beim Zusammensingen eine Stimme plötzlich eine eigne Linie
einschlagen wollte, die das Ganze in seiner Harmonie durchbricht und zerbricht.
Ein solcher heißt von unsern Vätern her ein Spielverderber, und es ist eine
Redensart, mit der man sich in einen Spielkreis einführt: "Ich bin kein Spiel¬
verderber."

So ein Gesellschaftsspiel ist recht deutlich auch wie eine Welt für sich,
wie oben der Gesang; wenn es gelingt, ist aus dem Kreise der Spielenden die
Außenwelt wirklich wie ausgeschlossen samt ihren Sorgen oder Aufgaben, die
sonst die Seele beschäftigen. Auch der Zerstreute, der davon noch in sich be¬
hält, kann zum Spielstörer werden. Das Spiel, sobald man sich ihm ganz


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

das Leben des Ganzen wie der Einzelnen oft auf lange hinaus bestimmen, im
Kriege wie im Friede». Solche Kraft ist auch der rechte Lebensquell, wenn
sie sich paart mit klarem überschauenden Kopfe, der zugleich die großen Ziele
sieht. Ihre Schule ist das Leben selbst, im Kleinen aber das Spiel, und es
ist der Reiz des Spiels, sich darin zu erproben und an kleinen oder großen
Erfolgen sich in solcher Kraft und Kunst selbst fühlen zu lernen.

So ist Streit und Reibung das Wesen alles Spiels, mit freier Entfesse¬
lung der Kräfte. Wie entschieden das die Seele des Spiels ist, erfährt man
recht deutlich in jungen Jahren, wo das Spiel, z. B. Billard- oder Kartenspiel,
als ein neuer köstlicher Lebensreiz an uns kommt. Da kam es vor, daß man zu
der mit Spannung erwarteten Stunde den Freund nicht als Mitspieler haben
konnte und nun Wohl den Versuch machte, den Gegner selbst mit darzustellen, allein
zu zweien zu spielen. Aber der Versuch wurde sehr bald aufgegeben als ein
völlig verfehlter, weil der Reiz des Wettstreits ausblieb und damit die ganze
Lust. Freiheit war wohl da, sogar ganz unbeschränkte, aber auch ihr Reiz blieb
aus, weil man auch das Gefühl der eignen Freiheit nnr am Widerstände gewinnt.

Auch das Spiel also mit seinem Streit und seiner Freiheit ist doch Leben
nur als ein Zusammenleben, dem die Einzelnen etwas verdanken, zu dem sie
jeder aus sich nie kommen würden. Wie lebhaft auch in einem lustigen Gesell¬
schaftsspiel die einzelnen Kräfte durch einander und wider einander gehen, sie
müssen doch zugleich zusammengehen, sonst hört das Spiel als solches auf und
geht auseinander, wie ein in seine Bestandteile zerbrochenes schönes Ganze.
Das wird recht deutlich, wenn einmal im Spiel einer ungeschickt die Spiel¬
regeln nicht einhalten kann oder gar eigenwillig und trotzig nicht einhalten
oder für sich gelten lassen will, die Regeln, die auch die gegebene Freiheit selbst
im Übermut wie an einem unsichtbaren Zaume lenken und als Ganzes das
Durch- und Widereinander der Bewegung wie in einem festen Kreise einhegen.
Man ruft ihm zu: „Das gilt nicht!" („gelten" vom Gesetz, aus der alten Rechts¬
sprache entlehnt), hilft das aber nicht, will er sich in das Zusammen durchaus
nicht einstigen und sich willkürliche Gesetze selbst machen, so ist das Spiel selbst
zerstoben oder doch die Lust daran, es kann sogar einen großen Verdruß geben.
Es ist, wie wenn beim Zusammensingen eine Stimme plötzlich eine eigne Linie
einschlagen wollte, die das Ganze in seiner Harmonie durchbricht und zerbricht.
Ein solcher heißt von unsern Vätern her ein Spielverderber, und es ist eine
Redensart, mit der man sich in einen Spielkreis einführt: „Ich bin kein Spiel¬
verderber."

So ein Gesellschaftsspiel ist recht deutlich auch wie eine Welt für sich,
wie oben der Gesang; wenn es gelingt, ist aus dem Kreise der Spielenden die
Außenwelt wirklich wie ausgeschlossen samt ihren Sorgen oder Aufgaben, die
sonst die Seele beschäftigen. Auch der Zerstreute, der davon noch in sich be¬
hält, kann zum Spielstörer werden. Das Spiel, sobald man sich ihm ganz


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[0331] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. das Leben des Ganzen wie der Einzelnen oft auf lange hinaus bestimmen, im Kriege wie im Friede». Solche Kraft ist auch der rechte Lebensquell, wenn sie sich paart mit klarem überschauenden Kopfe, der zugleich die großen Ziele sieht. Ihre Schule ist das Leben selbst, im Kleinen aber das Spiel, und es ist der Reiz des Spiels, sich darin zu erproben und an kleinen oder großen Erfolgen sich in solcher Kraft und Kunst selbst fühlen zu lernen. So ist Streit und Reibung das Wesen alles Spiels, mit freier Entfesse¬ lung der Kräfte. Wie entschieden das die Seele des Spiels ist, erfährt man recht deutlich in jungen Jahren, wo das Spiel, z. B. Billard- oder Kartenspiel, als ein neuer köstlicher Lebensreiz an uns kommt. Da kam es vor, daß man zu der mit Spannung erwarteten Stunde den Freund nicht als Mitspieler haben konnte und nun Wohl den Versuch machte, den Gegner selbst mit darzustellen, allein zu zweien zu spielen. Aber der Versuch wurde sehr bald aufgegeben als ein völlig verfehlter, weil der Reiz des Wettstreits ausblieb und damit die ganze Lust. Freiheit war wohl da, sogar ganz unbeschränkte, aber auch ihr Reiz blieb aus, weil man auch das Gefühl der eignen Freiheit nnr am Widerstände gewinnt. Auch das Spiel also mit seinem Streit und seiner Freiheit ist doch Leben nur als ein Zusammenleben, dem die Einzelnen etwas verdanken, zu dem sie jeder aus sich nie kommen würden. Wie lebhaft auch in einem lustigen Gesell¬ schaftsspiel die einzelnen Kräfte durch einander und wider einander gehen, sie müssen doch zugleich zusammengehen, sonst hört das Spiel als solches auf und geht auseinander, wie ein in seine Bestandteile zerbrochenes schönes Ganze. Das wird recht deutlich, wenn einmal im Spiel einer ungeschickt die Spiel¬ regeln nicht einhalten kann oder gar eigenwillig und trotzig nicht einhalten oder für sich gelten lassen will, die Regeln, die auch die gegebene Freiheit selbst im Übermut wie an einem unsichtbaren Zaume lenken und als Ganzes das Durch- und Widereinander der Bewegung wie in einem festen Kreise einhegen. Man ruft ihm zu: „Das gilt nicht!" („gelten" vom Gesetz, aus der alten Rechts¬ sprache entlehnt), hilft das aber nicht, will er sich in das Zusammen durchaus nicht einstigen und sich willkürliche Gesetze selbst machen, so ist das Spiel selbst zerstoben oder doch die Lust daran, es kann sogar einen großen Verdruß geben. Es ist, wie wenn beim Zusammensingen eine Stimme plötzlich eine eigne Linie einschlagen wollte, die das Ganze in seiner Harmonie durchbricht und zerbricht. Ein solcher heißt von unsern Vätern her ein Spielverderber, und es ist eine Redensart, mit der man sich in einen Spielkreis einführt: „Ich bin kein Spiel¬ verderber." So ein Gesellschaftsspiel ist recht deutlich auch wie eine Welt für sich, wie oben der Gesang; wenn es gelingt, ist aus dem Kreise der Spielenden die Außenwelt wirklich wie ausgeschlossen samt ihren Sorgen oder Aufgaben, die sonst die Seele beschäftigen. Auch der Zerstreute, der davon noch in sich be¬ hält, kann zum Spielstörer werden. Das Spiel, sobald man sich ihm ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/331>, abgerufen am 04.07.2024.