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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

für den Augenblick lebendig wird, es lebt und schwebt genauer zwischen ihnen
und in ihnen und über ihnen zugleich.

Das klingt wohl mystisch und ist doch thatsächlich. Es ist aber zugleich
das Geheimnis des großen Weltlebens, das uns darin einmal näher rückt oder
empfunden in uns kommt, daher eben die wunderbare Wirkung, die Musik auf
uns übt, daß uns für den Augenblick die Welt wie ganz und vollkommen vor¬
kommt. Ist doch jedes rechte Kunstwerk eine kleine geschlossene Welt für sich,
kann ein Ganzes im Kleinen geben und muß also auch die Lebensbedingungen und
Gesetze des großen Ganzen im Kleinen zeigen. Ganz besonders die Musik,
denn für sie ist, kann man sagen, die Bewegung selber der Stoff und die Seele
zugleich, auch alles Leben aber ist Bewegung und die Welt im Ganzen Be¬
wegung, das bleibt doch wohl das Sicherste, was wir von ihr aussagen können,
Bewegung, die ihr Ziel nicht außer sich, sondern in sich hat oder sucht und
findet, wie das Singen auch, namentlich das Zusammensingen.

Noch eine andre Form des Zusammenlebens ist für dessen Wesen lehrreich,
auch noch nach andern Seiten als das Singen, nämlich das Spiel, dieses klare
Bild des Menschenlebens in seinem Treiben, daher auch eine Schule für das
Leben, wie keine andere.

Das Spiel ist ein rechter Lebenswecker und Lebenssporn, auch für den, der
nur zuschaut, wie der Gesang für den, der zuhört, in seiner Weise; auftretendes
rechtes Leben wirkt eben belebend in seinen Kreis hinaus, wie Licht und Flamme
mit Helle und Wärme, d. h. auch belebend. Auch ein Verstimmter z. B, der
sich zu regen nicht Lust hat äußerlich und innerlich, wird doch von einem
Kätzchen wider Willen belebt, wenn es z. B. mit einem Garnknäuel so unaus¬
sprechlich spaßhaft und so zwecklos spielt, wie mit einem Gegner. Wie aber
das Spiel in dem Beteiligten, der in seinen bewegten Kreis selber eintritt, das
eigne Leben wach rufen oder rütteln kann, erfährt man z. B. in jungen Jahren,
wenn man da einmal vom Bücherleben weg in ein Gesellschaftsspiel kommt.
Hier gilt nur unmittelbares eigenstes Leben, dort gab es nur vermitteltes,
fernes, aus zweiter, dritter Hand, und wenn es auch dort etwa, mit Großem
beschäftigt, weite schöne Kreise zog, es fehlte ihm doch, das fühlt man nun,
der springende Punkt in der eigensten Mitte mit seiner quellenden Lebenskraft,
der nur durch unmittelbares Leben an oder aufgeregt wird, im bloßen De"k-
leben aber in eine Art schlummernden Zustand kommt, weil er eben nicht im
Kopfe seinen Wohnsitz hat. Daher ist im Gesellschaftsspiel mancher ungelenk
und giebt sich Blößen, der in der Schule gelobt, und mancher glänzt, der dort
getadelt wird. Hier glänzt und siegt eine in sich gefaßte Kraft mit festem
klarem Wollen, Geistesgegenwart und raschem Ergreifen der Gelegenheit, die so
rasch vorüberhuscht, eine Kraft und Kunst, die in der Schule nicht geübt oder
geweckt, eher beschädigt wird, die aber im Weltleben die eigentlich bestimmende
Kraft ist im Kleinen und Großen und da die Entscheidungen herbeiführt, die


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

für den Augenblick lebendig wird, es lebt und schwebt genauer zwischen ihnen
und in ihnen und über ihnen zugleich.

Das klingt wohl mystisch und ist doch thatsächlich. Es ist aber zugleich
das Geheimnis des großen Weltlebens, das uns darin einmal näher rückt oder
empfunden in uns kommt, daher eben die wunderbare Wirkung, die Musik auf
uns übt, daß uns für den Augenblick die Welt wie ganz und vollkommen vor¬
kommt. Ist doch jedes rechte Kunstwerk eine kleine geschlossene Welt für sich,
kann ein Ganzes im Kleinen geben und muß also auch die Lebensbedingungen und
Gesetze des großen Ganzen im Kleinen zeigen. Ganz besonders die Musik,
denn für sie ist, kann man sagen, die Bewegung selber der Stoff und die Seele
zugleich, auch alles Leben aber ist Bewegung und die Welt im Ganzen Be¬
wegung, das bleibt doch wohl das Sicherste, was wir von ihr aussagen können,
Bewegung, die ihr Ziel nicht außer sich, sondern in sich hat oder sucht und
findet, wie das Singen auch, namentlich das Zusammensingen.

Noch eine andre Form des Zusammenlebens ist für dessen Wesen lehrreich,
auch noch nach andern Seiten als das Singen, nämlich das Spiel, dieses klare
Bild des Menschenlebens in seinem Treiben, daher auch eine Schule für das
Leben, wie keine andere.

Das Spiel ist ein rechter Lebenswecker und Lebenssporn, auch für den, der
nur zuschaut, wie der Gesang für den, der zuhört, in seiner Weise; auftretendes
rechtes Leben wirkt eben belebend in seinen Kreis hinaus, wie Licht und Flamme
mit Helle und Wärme, d. h. auch belebend. Auch ein Verstimmter z. B, der
sich zu regen nicht Lust hat äußerlich und innerlich, wird doch von einem
Kätzchen wider Willen belebt, wenn es z. B. mit einem Garnknäuel so unaus¬
sprechlich spaßhaft und so zwecklos spielt, wie mit einem Gegner. Wie aber
das Spiel in dem Beteiligten, der in seinen bewegten Kreis selber eintritt, das
eigne Leben wach rufen oder rütteln kann, erfährt man z. B. in jungen Jahren,
wenn man da einmal vom Bücherleben weg in ein Gesellschaftsspiel kommt.
Hier gilt nur unmittelbares eigenstes Leben, dort gab es nur vermitteltes,
fernes, aus zweiter, dritter Hand, und wenn es auch dort etwa, mit Großem
beschäftigt, weite schöne Kreise zog, es fehlte ihm doch, das fühlt man nun,
der springende Punkt in der eigensten Mitte mit seiner quellenden Lebenskraft,
der nur durch unmittelbares Leben an oder aufgeregt wird, im bloßen De»k-
leben aber in eine Art schlummernden Zustand kommt, weil er eben nicht im
Kopfe seinen Wohnsitz hat. Daher ist im Gesellschaftsspiel mancher ungelenk
und giebt sich Blößen, der in der Schule gelobt, und mancher glänzt, der dort
getadelt wird. Hier glänzt und siegt eine in sich gefaßte Kraft mit festem
klarem Wollen, Geistesgegenwart und raschem Ergreifen der Gelegenheit, die so
rasch vorüberhuscht, eine Kraft und Kunst, die in der Schule nicht geübt oder
geweckt, eher beschädigt wird, die aber im Weltleben die eigentlich bestimmende
Kraft ist im Kleinen und Großen und da die Entscheidungen herbeiführt, die


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[0330] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. für den Augenblick lebendig wird, es lebt und schwebt genauer zwischen ihnen und in ihnen und über ihnen zugleich. Das klingt wohl mystisch und ist doch thatsächlich. Es ist aber zugleich das Geheimnis des großen Weltlebens, das uns darin einmal näher rückt oder empfunden in uns kommt, daher eben die wunderbare Wirkung, die Musik auf uns übt, daß uns für den Augenblick die Welt wie ganz und vollkommen vor¬ kommt. Ist doch jedes rechte Kunstwerk eine kleine geschlossene Welt für sich, kann ein Ganzes im Kleinen geben und muß also auch die Lebensbedingungen und Gesetze des großen Ganzen im Kleinen zeigen. Ganz besonders die Musik, denn für sie ist, kann man sagen, die Bewegung selber der Stoff und die Seele zugleich, auch alles Leben aber ist Bewegung und die Welt im Ganzen Be¬ wegung, das bleibt doch wohl das Sicherste, was wir von ihr aussagen können, Bewegung, die ihr Ziel nicht außer sich, sondern in sich hat oder sucht und findet, wie das Singen auch, namentlich das Zusammensingen. Noch eine andre Form des Zusammenlebens ist für dessen Wesen lehrreich, auch noch nach andern Seiten als das Singen, nämlich das Spiel, dieses klare Bild des Menschenlebens in seinem Treiben, daher auch eine Schule für das Leben, wie keine andere. Das Spiel ist ein rechter Lebenswecker und Lebenssporn, auch für den, der nur zuschaut, wie der Gesang für den, der zuhört, in seiner Weise; auftretendes rechtes Leben wirkt eben belebend in seinen Kreis hinaus, wie Licht und Flamme mit Helle und Wärme, d. h. auch belebend. Auch ein Verstimmter z. B, der sich zu regen nicht Lust hat äußerlich und innerlich, wird doch von einem Kätzchen wider Willen belebt, wenn es z. B. mit einem Garnknäuel so unaus¬ sprechlich spaßhaft und so zwecklos spielt, wie mit einem Gegner. Wie aber das Spiel in dem Beteiligten, der in seinen bewegten Kreis selber eintritt, das eigne Leben wach rufen oder rütteln kann, erfährt man z. B. in jungen Jahren, wenn man da einmal vom Bücherleben weg in ein Gesellschaftsspiel kommt. Hier gilt nur unmittelbares eigenstes Leben, dort gab es nur vermitteltes, fernes, aus zweiter, dritter Hand, und wenn es auch dort etwa, mit Großem beschäftigt, weite schöne Kreise zog, es fehlte ihm doch, das fühlt man nun, der springende Punkt in der eigensten Mitte mit seiner quellenden Lebenskraft, der nur durch unmittelbares Leben an oder aufgeregt wird, im bloßen De»k- leben aber in eine Art schlummernden Zustand kommt, weil er eben nicht im Kopfe seinen Wohnsitz hat. Daher ist im Gesellschaftsspiel mancher ungelenk und giebt sich Blößen, der in der Schule gelobt, und mancher glänzt, der dort getadelt wird. Hier glänzt und siegt eine in sich gefaßte Kraft mit festem klarem Wollen, Geistesgegenwart und raschem Ergreifen der Gelegenheit, die so rasch vorüberhuscht, eine Kraft und Kunst, die in der Schule nicht geübt oder geweckt, eher beschädigt wird, die aber im Weltleben die eigentlich bestimmende Kraft ist im Kleinen und Großen und da die Entscheidungen herbeiführt, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/330>, abgerufen am 24.07.2024.