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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

Wir haben mit Frankreich nichts zu teilen. . . . Unsre orientalischen Angelegen¬
heiten haben nichts mit denen Frankreichs in Afrika, Hinterindien und China
gemein, nur in Ägypten sind unsre Interessen dieselben, d. h. England feindlich--
Indes würde es noch nicht genügen, wenn in Frankreich eine feste Regierung
entstünde, sie müßte auch zu Nußland eine ganz aufrichtige Stellung ein¬
nehmen. Trotz den in der russischen Gesellschaft vorhandenen Sympathien für
Frankreich, die auf der Vorliebe der Slawen für alles Französische und be¬
sonders auf dem Einfluß der französischen Aufklärung des achtzehnten Jahr¬
hunderts beruhten, konnten wir zwei Jahrhunderte hindurch mit dessen Be¬
wohnern durchaus nicht zufrieden sein, ausgenommen vielleicht in der Regierungs¬
zeit Karls X., die aber gerade in Frankreich sehr geringschätzig beurteilt wird.
Ein Bündnis wird durch gründliche Bekanntschaft mit Rußland -- womit ein
Anfang gemacht wurde -- und durch Erkenntnis der Vorteile einer Annäherung
bedingt. Es darf nicht ausschließlich in der Furcht der Franzosen vor Deutschland
wurzeln. Rußland darf keine andre Politik als russische treiben, und wir hoffen,
daß es in Zukunft für niemand die heißen Kastanien aus dem Feuer holen
wird." Bekannt ist, daß Katkoff zwar durchaus kein Freund der Deutschen
war, aber für den französischen Geist und seine politischen Äußerungen und
Leistungen noch viel weniger Sympathie empfand. Der "Grcischdanin," welcher
als Erbe der Meinungen und Absichten auftritt, die dieser Vertrauensmann
Alexanders III. mit seinem Moskaner Preßsprachrohr seinen Landsleuten und
der gesamten westlichen Welt predigte, sagte bei der Nachricht von dem auf¬
fälligen franzosenfreundlichen Toaste, den der Großfürst Nikolaus auf dem
"Uruguay" vom Stapel zu lassen für gut gehalten hatte, nachdem er deren Rich¬
tigkeit bezweifelt, dann sie als phantastisch und für die russische Politik und deren
Leiter nichts bedeutend bezeichnet hatte: "Sympathien für Deutschland bestehen
in Rußland freilich nicht,... aber von hier bis zu einer Feindschaft, welche die
Negierung in kriegerische Pläne hinsichtlich Deutschlands hineintreiben könnte,
ist ein tiefer und breiter Abgrund, und dieser Abgrund möge -- das wünscht
jeder vernünftige Russe -- noch lange ein solcher bleiben. Die Sympathien
zu Frankreich aber bedeuten nichts als einen seelischen Luxus, welchen sich die
Russen erlauben, die Zeit dazu übrig behalten, indem sie nicht daheim an der
eignen Sache mitarbeiten, sich jeder geistigen Teilnahme an Volk und Kirche
Rußlands enthalten, und die sich nicht in die gegenwärtige Hoffnungslosigkeit
der sittlichen Lage Frankreichs hineinzudenken vermögen. Jedem, der zu Hause
für die eigne Sache sdie Verwirklichung des slawisch-byzantinischen Ideals
Katkoffs und PobedonoszeW thätig ist, erscheinen ernstliche russische Hinneigungen
zu Frankreich, das durch die Revolution in einen Saturn verwandelt worden
ist, als etwas höchst Sonderbares; das Geschwätz aber von einem politischen
Bündnisse mit Frankreich ist ihm ein Unheil und eine Gefahr. Denn welcher
von allen Russen, die ernst und besonnen die Dinge ins Auge fassen, wüßte


Politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

Wir haben mit Frankreich nichts zu teilen. . . . Unsre orientalischen Angelegen¬
heiten haben nichts mit denen Frankreichs in Afrika, Hinterindien und China
gemein, nur in Ägypten sind unsre Interessen dieselben, d. h. England feindlich—
Indes würde es noch nicht genügen, wenn in Frankreich eine feste Regierung
entstünde, sie müßte auch zu Nußland eine ganz aufrichtige Stellung ein¬
nehmen. Trotz den in der russischen Gesellschaft vorhandenen Sympathien für
Frankreich, die auf der Vorliebe der Slawen für alles Französische und be¬
sonders auf dem Einfluß der französischen Aufklärung des achtzehnten Jahr¬
hunderts beruhten, konnten wir zwei Jahrhunderte hindurch mit dessen Be¬
wohnern durchaus nicht zufrieden sein, ausgenommen vielleicht in der Regierungs¬
zeit Karls X., die aber gerade in Frankreich sehr geringschätzig beurteilt wird.
Ein Bündnis wird durch gründliche Bekanntschaft mit Rußland — womit ein
Anfang gemacht wurde — und durch Erkenntnis der Vorteile einer Annäherung
bedingt. Es darf nicht ausschließlich in der Furcht der Franzosen vor Deutschland
wurzeln. Rußland darf keine andre Politik als russische treiben, und wir hoffen,
daß es in Zukunft für niemand die heißen Kastanien aus dem Feuer holen
wird." Bekannt ist, daß Katkoff zwar durchaus kein Freund der Deutschen
war, aber für den französischen Geist und seine politischen Äußerungen und
Leistungen noch viel weniger Sympathie empfand. Der „Grcischdanin," welcher
als Erbe der Meinungen und Absichten auftritt, die dieser Vertrauensmann
Alexanders III. mit seinem Moskaner Preßsprachrohr seinen Landsleuten und
der gesamten westlichen Welt predigte, sagte bei der Nachricht von dem auf¬
fälligen franzosenfreundlichen Toaste, den der Großfürst Nikolaus auf dem
„Uruguay" vom Stapel zu lassen für gut gehalten hatte, nachdem er deren Rich¬
tigkeit bezweifelt, dann sie als phantastisch und für die russische Politik und deren
Leiter nichts bedeutend bezeichnet hatte: „Sympathien für Deutschland bestehen
in Rußland freilich nicht,... aber von hier bis zu einer Feindschaft, welche die
Negierung in kriegerische Pläne hinsichtlich Deutschlands hineintreiben könnte,
ist ein tiefer und breiter Abgrund, und dieser Abgrund möge — das wünscht
jeder vernünftige Russe — noch lange ein solcher bleiben. Die Sympathien
zu Frankreich aber bedeuten nichts als einen seelischen Luxus, welchen sich die
Russen erlauben, die Zeit dazu übrig behalten, indem sie nicht daheim an der
eignen Sache mitarbeiten, sich jeder geistigen Teilnahme an Volk und Kirche
Rußlands enthalten, und die sich nicht in die gegenwärtige Hoffnungslosigkeit
der sittlichen Lage Frankreichs hineinzudenken vermögen. Jedem, der zu Hause
für die eigne Sache sdie Verwirklichung des slawisch-byzantinischen Ideals
Katkoffs und PobedonoszeW thätig ist, erscheinen ernstliche russische Hinneigungen
zu Frankreich, das durch die Revolution in einen Saturn verwandelt worden
ist, als etwas höchst Sonderbares; das Geschwätz aber von einem politischen
Bündnisse mit Frankreich ist ihm ein Unheil und eine Gefahr. Denn welcher
von allen Russen, die ernst und besonnen die Dinge ins Auge fassen, wüßte


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[0322] Politische Zustände und Aussichten in Frankreich. Wir haben mit Frankreich nichts zu teilen. . . . Unsre orientalischen Angelegen¬ heiten haben nichts mit denen Frankreichs in Afrika, Hinterindien und China gemein, nur in Ägypten sind unsre Interessen dieselben, d. h. England feindlich— Indes würde es noch nicht genügen, wenn in Frankreich eine feste Regierung entstünde, sie müßte auch zu Nußland eine ganz aufrichtige Stellung ein¬ nehmen. Trotz den in der russischen Gesellschaft vorhandenen Sympathien für Frankreich, die auf der Vorliebe der Slawen für alles Französische und be¬ sonders auf dem Einfluß der französischen Aufklärung des achtzehnten Jahr¬ hunderts beruhten, konnten wir zwei Jahrhunderte hindurch mit dessen Be¬ wohnern durchaus nicht zufrieden sein, ausgenommen vielleicht in der Regierungs¬ zeit Karls X., die aber gerade in Frankreich sehr geringschätzig beurteilt wird. Ein Bündnis wird durch gründliche Bekanntschaft mit Rußland — womit ein Anfang gemacht wurde — und durch Erkenntnis der Vorteile einer Annäherung bedingt. Es darf nicht ausschließlich in der Furcht der Franzosen vor Deutschland wurzeln. Rußland darf keine andre Politik als russische treiben, und wir hoffen, daß es in Zukunft für niemand die heißen Kastanien aus dem Feuer holen wird." Bekannt ist, daß Katkoff zwar durchaus kein Freund der Deutschen war, aber für den französischen Geist und seine politischen Äußerungen und Leistungen noch viel weniger Sympathie empfand. Der „Grcischdanin," welcher als Erbe der Meinungen und Absichten auftritt, die dieser Vertrauensmann Alexanders III. mit seinem Moskaner Preßsprachrohr seinen Landsleuten und der gesamten westlichen Welt predigte, sagte bei der Nachricht von dem auf¬ fälligen franzosenfreundlichen Toaste, den der Großfürst Nikolaus auf dem „Uruguay" vom Stapel zu lassen für gut gehalten hatte, nachdem er deren Rich¬ tigkeit bezweifelt, dann sie als phantastisch und für die russische Politik und deren Leiter nichts bedeutend bezeichnet hatte: „Sympathien für Deutschland bestehen in Rußland freilich nicht,... aber von hier bis zu einer Feindschaft, welche die Negierung in kriegerische Pläne hinsichtlich Deutschlands hineintreiben könnte, ist ein tiefer und breiter Abgrund, und dieser Abgrund möge — das wünscht jeder vernünftige Russe — noch lange ein solcher bleiben. Die Sympathien zu Frankreich aber bedeuten nichts als einen seelischen Luxus, welchen sich die Russen erlauben, die Zeit dazu übrig behalten, indem sie nicht daheim an der eignen Sache mitarbeiten, sich jeder geistigen Teilnahme an Volk und Kirche Rußlands enthalten, und die sich nicht in die gegenwärtige Hoffnungslosigkeit der sittlichen Lage Frankreichs hineinzudenken vermögen. Jedem, der zu Hause für die eigne Sache sdie Verwirklichung des slawisch-byzantinischen Ideals Katkoffs und PobedonoszeW thätig ist, erscheinen ernstliche russische Hinneigungen zu Frankreich, das durch die Revolution in einen Saturn verwandelt worden ist, als etwas höchst Sonderbares; das Geschwätz aber von einem politischen Bündnisse mit Frankreich ist ihm ein Unheil und eine Gefahr. Denn welcher von allen Russen, die ernst und besonnen die Dinge ins Auge fassen, wüßte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/322>, abgerufen am 27.06.2024.